Tichys Einblick
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Spanien: Wer zu sehr am Sessel klebt, wird mit ihm weggefegt

Mariano Rajoy wollte nicht gehen, ruhte sich auf dem Wirtschaftswachstum aus. Aber das reicht heute nicht mehr, um als Politiker zu überleben: Ethik, Würde und Bescheidenheit sind angesagt – auch in Spanien. 

Spanish new Prime Minister Pedro Sanchez (L) shakes hands with former Prime Minister Mariano Rajoy (R) after Sanchez won the no-confidence motion at the Lower House of the Spanish Parliament on June 1, 2018 in Madrid

© Pierre-Philippe Marcou - Pool/Getty Images

Europa kann aufatmen. Mariano Rajoy wollte seinen Tisch nicht räumen, genauso wie das Angela Merkel schwer fällt. Aber am Freitag wurde er per konstruktivem Misstrauensvotum ins politische Aus befördert und damit haben sich für Spanien neue Perspektiven aufgetan. Merkel braucht die Macht, Rajoy dagegen hatte Angst, was danach passieren würde in seiner Partei, wenn er den Sessel räumt. Zu erwarten ist, dass mit seinem Abgang alles über ihm zusammenbrechen wird. Ein vor wenigen Tagen veröffentlichtes richterliches Urteil legt dar, dass die PP von den kriminellen Machschaften einiger Mitglieder zur illegalen Parteienfinanzierung profitiert habe, was dann auch zum Misstrauensvotum führte. Eingeleitet hat das der neue sozialistische Premier Pedro Sánchez (PSOE), der vor allem für mehr Flexibilität im Umgang mit der katalanischen Frage steht.

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Seit 2015 kämpft die PP mit nicht abreißenden Skandalen um Bürgermeister, Regionalpolitiker, ehemalige Minister und korrupte Lokalregierungen. Statt die Verantwortung dafür zu tragen, hielt Rajoy blind an seiner Macht fest: „Niemand meiner Regierung steht unter Verdacht, ich werde deswegen nicht zurücktreten“. Rajoy ruhte sich auf der wachsenden spanischen Wirtschaft aus und war sich der Unterstützung von Angela Merkel sicher. „Sie sollten sich auch in anderen Dingen ein Beispiel an Deutschland nehmen, da treten Politiker schon bei Verdächtigungen zurück und nicht erst, wenn sie vors Gericht gezerrt werden,“ warf Sánchez ihm in der Debatte im Parlament vor.
Aznar heizte die Wirtschaft an, Rajoy muss dafür zahlen 

Der gelernte Rechtsbeamte Rajoy muss sein Leben jetzt komplett umstellen. Er dachte, dass niemand auf die Verbrechen einiger seiner Parteimitglieder schauen würde, dabei sitzen schon einige im Gefängnis, zum Beispiel Rodrigo Rato, ehemaliger Wirtschaftsminister und Chef des IWF. In einer Woche wurden nicht nur zahlreiche Madrider Lokalpolitker und der ehemalige Schatzmeister verurteilt, sondern es wurde auch ein Vertrauter von José Maria Aznar, Eduardo Zaplana, in Valencia festgenommen. Es geht immer wieder um das Gleiche: Schmiergelder, illegale Parteienfinanzierung, Veruntreuung von Staatsgeldern und Geldwäsche, alles im ganz groβen Stil.

Alles fing an mit José María Aznar, der in seiner Zeit als Premier von 1996 bis 2004 die Gesetze so änderte, damit es einfacher wurde, Bauland auszuschreiben. Es begann ein Bauboom, dem ein Kreditboom folgte und dann kam der Solarpark-Boom. Schuldeingeständnisse sind schwierig in der Politik, in der spanischen Politik sind sie fast unmöglich. Aznar wurde bisher nicht vors Gericht zitiert, aber das könnte sich jetzt ändern, wiel „Schwamm drüber“ werden die Spanier nicht mehr akzeptieren. Rajoy musste jetzt erstmal die erste groβe Rechnung für das Leben auf dem groβen Fuβ seiner Partei bezahlen.

Misstrauensvotum verschafft neue Stabilität

Durch die erfolgreiche Abstimmung im Parlament für das Misstrauensvotum ist Sánchez nun Ministerpräsident. Allerdings wird Sánchez Initiativen starten müssen, welche die PP niemals diskutiert hätte wie Verfassungsreform etc., nur Sánchez braucht dafür natürlich erneut Mehrheiten, die hat er nicht automatisch, nur weil er heute mit absoluter Mehrheit gewählt wurde. Er hat damit auch Bewegungsfreiheit, um die Blockade mit den Separatisten in Katalonien zu lösen. Sánchez erstes Versprechen: den neuen separatistischen katalanischen Regierungspräsident Quimen Torra treffen und die Autonomieaussetzung aufheben. Damit könnten die Katalanen wieder komplett über ihre Finanzen verfügen. Rajoy regiert seit 2015 in der Minderheit, weil er keine Koalitionen eingehen wollte. Es wurden kaum Gesetze verabschiedet, weil niemand die PP mehr unterstützen wollte. Mit Sánchez ist dagegen zu erwarten, dass es eine Verfassungs- und auch Wahlrechtsreform geben wird.

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Die spanische Börse reagiert auf die News der Regierungsablösung mit Gewinnen. Der Risikoaufschlag für Spanien, der in den vergangenen Tagen gestiegen war, sank zunächst erneut. Der 46jährige Sánchez hat eine Chance, das Land zu verjüngen und zu modernisieren, aber er muss auch die Tradition seiner Partei beenden, mehr auszugeben als einzunehmen. Spanien weist immer noch ein Haushaltsdefizit von 36 Mrd. Euro, das mit 3,1 Prozent in 2017 die Liste der am meist verschuldeten EU-Länder anführte. Das Durchschnittsgehalt ist zwar leicht gestiegen in den vergangenen Jahren, aber nicht so stark wie die Lebenshaltungspreise. Während Deutschland auf 47.809 Euro kommt, liegt das Durschnittsbruttogehalt in Spanien gerade mal bei 26.710 Euro im Jahr. Zudem sind die Pro-Kopf-Schulden gestiegen in den vergangenen Jahren, wie die Tabelle zeigt.
Spanier verdienen wenig und tragen immer mehr Schuldenlast  

Sánchez, der wahrscheinlich vor 2020 keine Wahlen ausrufen wird, um eine gewisse Stabilität zu garantieren, muss jetzt beweisen, dass er die drei wichtigsten Wirtschafts-Probleme Spaniens lösen kann: Gehälter anzuheben, Schulden abbauen und Arbeitslosigkeit senken. Immer noch finden 34 Prozent der Spanier bis 25 Jahre keinen Job. Gerade Akademiker leiden darunter, dass es zu wenig qualifizierte und würdig bezahlte Arbeit in Spanien gibt. Nicht wenige landen früher oder später in einer Lehre in Deutschland.

Spanien auf dem Weg in die zweite „transición“ 

Krisen sind Chancen, Chancen entstehen durch Veränderungen. Spanien hat sich seit diesem Freitag verändert. Für die einen scheint es ein Staatsputsch, für die anderen ist die neue sozialistische Regierung eine Erlösung, die auch dazu führen könnte, dass die katholische Kirche in Spanien endlich in den Hintergrund tritt und sich die Bürger selber aktiver am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen, mehr nachdenken, protestieren und sich engagieren, egal ob in Schulen, in der Nachbarschaft und auch bei der familiären Erziehung. Spanien kann endlich die zweite „transición“, den wirklichen Übergang in die Demokratie vollziehen, der 1978 begonnen hat.

Spanien hat mit dem Misstrauensvotum Mut bewiesen. Denn es war für Parteien wie die linkspopulistische „Podemos“ oder die baskischen Konservativen der PNV nicht einfach, dem jungen, übereifrigen und als wirtschaftlich wenig kompetent geltenden Sánchez eine Chance zu geben, wohl wissend dass dieser nach der Macht lechzt und bereit war, alles zu opfern. Aber auch der gibt sich erstmal bescheiden: „Ich weiß, welche Verantwortung ich habe, und deswegen werde ich auch an dem Haushalt festhalten, der gerade verabschiedet wurde von der scheidenden Regierung, auch wenn meine Partei PSOE ihn im Parlament nicht unterstützt hat“, sagt er. Aber das macht er natürlich auch nicht freiwillig, sondern das war eine Kondition der PNV, für ihn zu stimmen. Dennoch ist der neue Premier Sánchez erstmal eine gute Nachricht für Spanien.