Tichys Einblick
Seebrücke nach Polen?

»Im Solibus nach Belarus«: Wie Migrations-NGOs in Polen scheiterten

Die EU möchte die »Quoten für Umsiedlungen von Flüchtlingen« erhöhen. Im Falle Weißrusslands waren einige NGOs schneller – und scheiterten doch. Ihr Bus kam nicht mal bis zur Grenze. Die NGOs waren aufgebrochen, um den Rechtsrahmen zu überschreiten. Am Ende bestätigten sie ihn.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Die Aufnahme von Migranten, die sich außerhalb des deutschen Staatsgebiets befinden, bedarf noch immer einer Erlaubnis des Bundesinnenministeriums. Das zu wissen, ist einerseits beruhigend, löst andererseits aber auch Besorgnis aus. Einerseits führt es zu einer gewissen Zuversicht, weil ein Bundesministerium solche Fragen eben nicht willkürlich entscheiden kann und darf. Andererseits weiß man nicht, welche Entscheidungen ein sozialdemokratisch oder grün geführtes Innenministerium in der nahen Zukunft in diesen Fragen fällen könnte.

Und genau auf diesen zweiten Fall setzt offenbar ein Bündnis aus zwei oder drei humanitär gesinnten Vereinen, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, mit einem Bus an die weißrussische Grenze zu fahren, um dort einerseits Hilfsgüter abzugeben, etwa Rettungsdecken und warme Schuhe. Doch damit beginnen schon die Fragen: An wen sollen die Decken gehen, an Lukaschenkos Grenzkräfte? Daneben will man den weißen XL-Bus auch gleich voll laden mit offenbar willkürlich einzusammelnden Migranten, die dann dem deutschen Sozialstaat überantwortet werden. So lässt sich die Idee der Fahrt kurz zusammenfassen. Entstanden war sie offenbar schon Anfang des Monats, also bevor sich die Lage in Polen so sehr zuspitzte.

»Wir haben einen Bus! Jetzt brauchen wir euch – und die Bundesregierung.« Die einleitenden Worte dieses Spendenaufrufs auf Facebook fassen Natur und Absicht einer neuen Initiative gültig zusammen. Man merkt: Das Brauchen steht im Vordergrund. Nicht nur die privaten Spender und Unterstützer werden gebraucht, sondern auch die politischen Erlauber. Abschließend heißt es: »Seid jetzt mit uns laut, schreibt den Politiker:innen Mails und taggt sie hier. Teilt unseren Beitrag und zeigt eure Solidarität. Spendet uns, wenn ihr könnt (Link in Bio).« Das Wichtigste zum Schluss.

In einem Video verkündet die Sprecherin, im leeren Bus sitzend: »Auf dem Rückweg haben wir Platz, Menschen mitzunehmen.« Auch hier ist natürlich ein Spendenaufruf angehängt. Für ihren Gratismut wollen die Bewegten beschenkt werden. So wie sie selbst irreguläre Migranten mit einem Busfahrschein in den goldenen Westen beschenken wollen.

Beachtlich scheint an diesen Webseiten, dass hier offenbar ein ganzer Zweig der Wohltätigkeit mit veralteten Bildern für sich wirbt: Immer wieder taucht das abgebrannte, vielfach angezündete Lager Moria auf, das als Emblem von irgendetwas dient. Ebenso scheint die Parole »Mauerfall jetzt« leicht aus der Zeit gefallen zu sein, zumal man ja gerade erst dabei ist, Zäune und andere solide Barrieren zu errichten. Von Mauern sprach bisher nur ein vereinzelter CDU-Politiker.

Hat die Bundesregierung Interesse an den Dublin-Regeln?

Im Vorhinein hatte die Seebrücke einen höflichen Brief an das Bundesinnenministerium gerichtet, in dem man darum bat, »dass dem Bus auf der Rückreise eine Erlaubnis erteilt wird, geflüchtete Menschen auf einem sicheren Weg nach Deutschland […] zu bringen«. Doch das Schreiben liegt nun schon eine gute Woche im Ministerium. Eine Antwort scheint ausgeblieben zu sein. Aus dem Ministerium verlauteten nur Sätze wie: »Eine unautorisierte Beförderung und eine etwaige unerlaubte Einreise kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.« Oder auch: «Die Ankündigung eines solchen Vorgehens ändert daran nichts.«

Ja, der merkwürdige Satz schlechthin soll auch noch aus dem Innenministerium gedrungen sein: Die Bundesregierung habe ein »Interesse daran, dass die Dublin-Regeln eingehalten würden, die festlegen, in welchem EU-Mitgliedstaat ein Schutzsuchender seinen Asylantrag stellen muss«. So übernommen bei Radio Rur von dpa. Von dieser Regelung hat man wirklich lange nichts mehr gehört, zumal an der deutsch-polnischen Grenze alltäglich etwas ganz anderes praktiziert wird: das Durchwinken der illegalen Migranten in die Asyl-Bearbeitungsstraße in Frankfurt (Oder). Laut vertraulichen Informationen aus der Bundespolizei wurden Grenzfahndung und -kontrolle inzwischen auf ein Minimum zurückgefahren.

Für die Humanitären war die Erwiderung des Innenministeriums ein Rückschlag. Inzwischen heißt es in einem ihrer Tweets: »Jetzt steht nur noch das @BMI_Bund im Weg.« Genau so, und so darf man es wohl auch verstehen: Das Bundesinnenministerium ist im Weg, soll geistig-ideell abgeräumt werden. Man könnte auch sagen, verschrottet, man braucht es nicht mehr, vor allem nicht als Heimatministerium, das es im Grunde nie war. Aber Dienstherr der Sicherheitskräfte, das ist der Amtsinhaber eben doch und als solcher auch oberster Grenzschützer.

Doch die NGO-Leute mit dem Bus fordern tapfer weiter, schließlich sind gerade Koalitionsverhandlungen, wer weiß, was da herauskommen könnte: »Wir erwarten von den Ampel-Parteien dass sie unseren humanitären Korridor durchsetzen: Städte und Länder sind bereit und wir fahren jetzt Richtung Grenzübergang.« Wohin genau? Offenbar zweitrangig. Einfach losfahren und gucken, was passiert. Wer steckt hinter solchem wirren Aktionismus?

Was die »Kabulluftbrücke« will, kann das Außenamt schon lange

Wer gehört also zu dem Bündnis? Hinter der Instant-NGO »Mauerfall.jetzt« (bei Twitter seit Oktober 2021) steht der Verein civilfleet-support e.V. des inzwischen schon leidlich bekannten Photographen und grünen EU-Abgeordneten Erik Marquardt. Auch das Hashtag-Grüppchen #LeaveNoOneBehind gehört zu Marquardts kleinem NGO-Reich, in dem die Sonne allerdings nur schwer aufgeht. Marquardt hatte jüngst mit seiner eigenen Version der Kabul-Luftbrücke auf sich aufmerksam zu machen versucht (TE berichtete). Daneben ist er nun schon seit Jahren mit großer Ausdauer bemüht, ein Schiff ins Mittelmeer zu bringen, was offenbar schwieriger ist, als man es sich vorstellt.

Auch mit der Kabul-Luftbrücke ist der EU-Grüne mit Sitz im Parteirat grandios gescheitert, und zwar nach eigener Deutung an der unbarmherzigen deutschen »Ministerialbürokratie«. Inzwischen will die NGO (veröffentlicht unter dem Titel »Long time, no see?«) ganzen 423 Personen zur Ausreise aus Zentralasien verholfen haben – »darunter 9 Kinder«. Das Trauma »Ministerialbürokratie« verfolgt Erik Marquardt positiv wie negativ. Marquardt sieht sich auch dieses Mal scheitern und lässt seine unbedarften Mitstreiter dennoch losfahren. Er hat sich in die Bundesministerien regelrecht verbissen, die er doch für seine natürlichen Schutzmächte hält. Vielleicht werden sie es bald, nach Antritt der neuen Bundesregierung auch sein. Zumindest einige.

Der Verweis auf die Kinder zeigt zumindest eins: Der Grüne weiß, wie man Spenden aquiriert. Allerdings ›schafft‹ die Bundeswehr innerhalb von zwei Wochen etwa dieselbe Zahl an Evakuierungen, wie aus einer parlamentarischen Frage der Abgeordneten Beatrix von Storch (Nr. 10-144, Antwort vom 25. Oktober) hervorgeht. Danach führte die Bundesregierung zwischen dem 27. September und dem 21. Oktober vier Charterflüge von Islamabad nach Leipzig bzw. Hannover durch, wobei jedes Mal rund 220 »besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sowie Ortskräfte« nach Deutschland kamen. Dass die erste Kategorie der »gefährdeten Afghanen« die letztgenannte der »Ortskräfte« inzwischen weitgehend verschlungen hat, ist die Grundlage dieser verspäteten Evakuierungsaktionen. »Weitere Flüge werden bedarfsorientiert geplant und kurzfristig durchgeführt, sobald eine entsprechende Anzahl an berechtigten Personen zur Ausreise bereitsteht«, so das Auswärtige Amt. Man ist inzwischen bemüht, seine Flieger voll zu haben.

Eine Welt ohne Abschottung, dafür mit Gendersternen

Zurück zur weißrussischen Grenze. Neben den beiden Marquardt-Grüppchen ist vor allem der lose Verein Seebrücke federführend mit dabei, der seinerseits eine unauffällige Briefkastenadresse in Berlin-Zehlendorf unterhält. Dabei handelt es sich um die Dachorganisation der »Sicheren Häfen«. Das sind derzeit 267 deutsche Stadtverwaltungen, die stellvertretend für ihre Bürger beschlossen haben, irregulären und illegalen Migranten mit Wohnungen auszuhelfen. Was die Weißrussland-Migranten angeht, verkündet die Organisation auf Facebook: »Mit Berlin, München und Rottenburg am Neckar haben bereits 3 deutsche Städte konkrete Aufnahmebereitschaft geäußert.« Und später heißt es wieder irgendwo: »Rottenburg a.N. bereitet Wohnungen zur Aufnahme vor. Die Zivilgesellschaft ist bereit. Mach endlich den Weg frei @BMI_Bund.« Auf dem Photo dazu sieht man auch den gescheiterten Bundestagskandidaten der Grünen, den syrischen Migranten Tareq Alaows, beim Hilfsgüterpacken. Jetzt bleibt nur die Frage: Wissen es die Rottenburger schon?

Daneben gibt es auch ein Statement der Berliner Integrationsbeauftragten (s. Tweet oben), mit dem sie schlichtweg das Spiel der Schleuser und Lukaschenkos mitspielt. Die »dramatische«, gerne auch »katastrophale Lage« im Grenzgebiet kennt offenbar nur eine Lösung. Auf ihrer Website behauptet die Seebrücke, sie entwerfe »die Vision einer Welt ohne Abschottung, ohne Lager und ohne Abschiebungen«. Was bleibt da noch? Doch nur die Aufnahme von allen, die sich nicht selbst von uns fernhalten, »Bewegungsfreiheit für alle Menschen«, wie es anderswo heißt. Die Seebrücke fordert ein »Europa der Solidarität und des freiwilligen (zusätzlichen) Engagements« – das ist ja fast schon ein CDU-Programm mit (freiwilligem) Dienst für alle. Oder erinnert es doch an ein ganz anderes System? Langfristig wird der Dienst vielleicht nicht freiwillig bleiben. Es geht dabei in letzter Konsequenz um eine Welt der bejahten Entropie, und diesen Gedanken muss man eben auch wirtschaftlich und finanziell zu Ende denken.

Und noch eine Botschaft hat die Seebrücken-Website für uns: »Jede*r, der*die unsere politischen Ziele unterstützt und sich beteiligen möchte, ist bereits Teil der Bewegung.« Man muss also nur die Grundwahrheiten des Genderismus unterschreiben, schon steht der eigenen Bewegungswerdung nichts mehr entgegen.

Details einer unvollendeten Busfahrt nach Polen

Die Grundidee der Exkursion war erneut typisch für das NGO-Milieu, und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, es sei die Wählerbasis der Grünen, die hier agiert. Erst verkünden grüne Führungskräfte wie Robert Habeck oder Katrin Göring-Eckardt, es dürfe keine »Pushbacks« geben, und dass die an der polnischen Grenze ankommenden Migranten schlicht auf die EU-Partner verteilt werden sollen. Flugs fahren Seebrücke & Co. an den Ort des Geschehens und versuchen einfach mal ihr Glück. Die Aktionen der Marquardtianer entsprechen zu 100 Prozent den politischen Vorschlägen der Grünen.

Am Ende war sie zum Scheitern verurteilt. In einer kalten Nacht wurde der Bus von der polnischen Polizei hinter Bialystok aufgehalten und zum Umkehren gezwungen. Jetzt ist wieder das Kapitel Wehklagen (über die eigenen verpassten Chancen) und Werben (um weitere Geldwertspenden) eröffnet. Von dem Zwischenfall an der Grenze zum polnischen Notstandsgebiet bleibt ein interessanter Dialog mit einem polnischen Polizisten:

Die Menschen sterben. [Nicht in Massen und nicht auf polnischem Staatsgebiet.] Sie müssen ihnen auch helfen. [Genauso wie wir…]
Sie [die Menschen] können nicht in Polen bleiben. Sie können die Grenze nicht überschreiten, wissen Sie. Ich kann die Grenze nicht überschreiten. Dazu brauche ich einen Pass. Den habe ich nicht.
Vielleicht haben die Menschen ja einen Pass, sie überprüfen das noch nicht einmal. Sie haben die Grenze einfach geschlossen. [Weil unordentliche Zustände herrschten.]
Wir haben die Grenze geschlossen?
Ja, haben Sie.
Was tun Sie? Was?

Bei den letzten beiden Fragen, kann man hören, wie der Unglauben in den Mann kriecht ob so viel Naivität auf der Seite des NGO-Busfahrers. Die korrekten Antworten lauten: Niemand hat eine Grenze geschlossen. Sie war für Reisende ohne gültige Papiere immer geschlossen. Doch was die NGOs in der Notstandszone vorhatten, das wissen sie am Ende ganz allein. Wollten sie den Grenzzaun von polnischer Seite eindrücken, um die Migranten aus Weißrussland zu befreien? Hätten sie mit ihnen gefiebert, dass die polnischen Sicherheitskräfte sie nach Deutschland reisen lassen? Hätten sie einen Sitzstreik vor dem Innenministerium begonnen, bis der jeweilige Amtsinhaber der »Aufnahme« der Migranten zugestimmt hätte? Alles das bleiben die unbekannten Details einer unvollendeten Busfahrt nach Polen.

Und dabei hatte die Bundesregierung noch gewarnt: Eine unautorisierte Beförderung und eine etwaige unerlaubte Einreise könnten strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, so erneut das Innenministerium. Also nur eventuell. Das werden sich die Seebrückler und #LeaveNoOneBehinder vielleicht für baldige Aktionen merken.

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