Tichys Einblick
Selbst Neuwahlen nicht ausgeschlossen

Sebastian Kurz vor schwereren Wochen denn je

SPÖ und FPÖ sind tief in Machtkämpfe um Führung und Selbstfindungsprozesse verstrickt, mit den Neos hat Kurz keine Mehrheit. Damit bleiben nur die Grünen übrig. Aber deren Politikpositionen sind nicht mit denen der Volkspartei kompatibel.

HELMUT FOHRINGER/APA/AFP via Getty Images

Unerschütterliche FPÖ-Fans meinen immer noch, dass Sebastian Kurz nach dem Beginn des Ibiza-Skandals die türkis-blaue Koalition einfach hätte fortsetzen sollen. Das kann nur so sehen, wer die Augen davor verschließt, was vom Dunstkreis Ibiza aus in der FPÖ aufgebrochen ist. Die Selbstbedienung des Ehepaares Strache aus den Kassen ihrer Partei ist ein Skandal für sich. Der tatsächliche Umfang der Gier solcher Emporkömmlinge ist wohl noch lange nicht abschließend geklärt. Frau Strache wurde aus der FPÖ ausgeschlossen. Kenner der Szene sagen mir, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Herr Strache seinen nun (zum zweiten mal) angekündigten Weg in einen Zivilberuf in die Gründung einer eigenen Partei münden lässt, die 2020 bei den Landtagswahlen in Wien gegen die FPÖ antritt.

Die verheerenden Auswirkungen der Skandalserie Strache auf die FPÖ hätten spätestens die türkis-blaue Regierung gesprengt. Freunde, die in der österreichischen Politik zuhause sind, meinen, Kurz habe einfach das richtige Gespür zur rechten Zeit gehabt, um mit seiner Neuen Volkspartei nicht in den Strudel einer FPÖ gezogen zu werden, die sich selbst zerfleischt.

Kärntens Landeshauptmann Kaiser fragt seine SPÖ erbost: „Sind 21 Prozent noch immer zu viel?“

Eine Umfrage für die Tageszeitung „Österreich“ gibt Kaiser (SPÖ) die Antwort und zeigt die SPÖ mit 19 Prozent erstmals unter der 20er Marke – die FPÖ mit 15 gleichauf mit den Grünen: die Volkspartei unverändert bei 38 Prozent, die Neos bei neun.

Ins Auge fällt: Dieses klassische Syndrom von Emporkömmlingen, die nicht genug kriegen können, kaum sind sie „oben“ angekommen,  ist ja aus allen Teilen von Gesellschaft und Wirtschaft schon immer bekannt ist – und macht sich offenkundig auch in der Politik breit. Und zwar nicht allein bei der FPÖ, wie ausgerechnet eine Serie von Fällen in der SPÖ beweist. Andreas Schieder, Leiter der SPÖ-Delegation im EU-Parlament und früherer Klubobmann im Nationalrat empfiehlt seiner Partei den Weg in die Opposition. Da gibt es weniger Möglichkeiten für die Raffkes.

Noch mehr aber zeigen diese Serien, dass SPÖ und FPÖ tief in Machtkämpfe um die Führung und den Kurs ihrer Parteien verstrickt sind. Womit sie sich selbst für längere Zeit als Partner für Kurz ausschließen könnten. Zur Zeit gehen die meisten Journalisten davon aus, dass Kurz mit den einzigen koalieren muss, die übrig bleiben: den Grünen. Aber darin erkenne ich mehr den Wunsch vieler Medien als ihre nüchterne Lagebeurteilung. Denn der Volkspartei und der Grünen Politikpositionen sind nicht kompatibel.

Sebastian Kurz hat Sondierungsgespräche mit SPÖ, FPÖ und Neos geführt, mit den Grünen will er sie am 8. November abschließen. „In den Tagen danach“ will die Volkspartei dann auch entscheiden, mit wem sie in Koalitionsverhandlungen eintritt. »Er habe natürlich vor, „deutlich vor der Steiermark-Wahl bekanntzugeben, mit wem wir Regierungsverhandlungen führen werden“.«, meldet Die Presse. Die Steiermark wählt am 24. November. Experten rechnen dort mit Platz eins für Kurz‘ Volkspartei vor SPÖ oder FPÖ.

Es gibt politisch keine Mehrheit gegen Kurz

Meine Quellen sagen mir, dass Kurz jetzt sagen muss, er wolle bald Klarheit schaffen. Aber da ist der Wunsch Vater es Gedankens. Denn es heißt noch lange nicht, dass er das auch kann; einfach weil sich bei den hoch kontroversen Positionen von Türkis und Grün keine Einigkeit erzielen lässt. Und ein Ereignis, von dem nur noch niemand weiß, wann es eintritt, aber niemand mehr daran zweifelt, dass es vor der Tür steht, kann überhaupt alles ändern: wenn die nächste große Welle illegaler Einwanderer nach Norden drängt. Dann muss Kurz die Grünen vor eine Entscheidung stellen, denn er kann seine Position in dieser Frage nicht ändern.

Kommen Kurz und die Grünen nicht zusammen, stehen SPÖ und FPÖ wieder auf der Tagesordnung – die Neos auch und wer weiß, vielleicht irgendeine Konstellation zwischen Regierung und Parlament, die es noch nicht gab. Dieser Sondierungs-Verhandlungs-Prozess kann sehr lange dauern. Und nach allem, was ich höre, halte ich auch nicht mehr für ausgeschlossen, dass Sebastian Kurz Anfang 2020 dem Bundespräsidenten sagen muss, ich kann den Auftrag zur Regierungsbildung nicht verwirklichen – und Neuwahlen vorschlägt, damit die Wähler den gordischen Knoten durchhauen können. Denn sein Hauptwahlziel hat Kurz erreicht: es gibt politisch keine Mehrheit gegen seine Volkspartei.

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