Tichys Einblick
Tod von George Floyd

Derek Chauvin schuldig gesprochen – inmitten aufgeheizter Stimmung

Der Ex-Polizist Derek Chauvin wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Das Gerichtsverfahren stand unter erheblichem politischem und öffentlichem Druck. Ein Überblick.

IMAGO / ZUMA Wire

Fast ein Jahr nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, verkündeten gestern die Geschworenen im Prozess gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin das Urteil: Er wurde für schuldig befunden, in allen drei Anklagepunkten. Allerdings entgegen den meisten Medienberichten nicht wegen Mordes, jedenfalls nicht im Sinne des deutschen Rechts.

Chauvin war wegen „Mord dritten Grades“, „Mord zweiten Grades“ und „Totschlag zweiten Grades“ angeklagt worden. Dabei ist die Definition von Mord und Totschlag im Gesetz von Minnesota anders als im deutschen Strafrecht, keiner der Anklagepunkte meint eine vorsätzliche Tötung.

„Mord im dritten Grad“ ist ein Tötung durch rücksichtslose Handlungen, die mit einer „verkommenen Gleichgültigkeit“ gegenüber dem menschlichen Leben begangen wurden. Typisches Beispiel ist jemand, der wahllos in eine Menge schießt, ohne auf eine bestimmte Person zu zielen. Diesen Anklagepunkt einzubringen ist umstritten.

Prozess gegen Derek Chauvin
Neue Perspektive auf die letzten Minuten von George Floyd
„Totschlag zweiten Grades“ ist eine Tötung, die unbeabsichtigt aufgrund „schuldhafter Fahrlässigkeit“ verursacht wurde. In Minnesota bedeutet das, dass Fahrlässigkeit in Verbindung mit einem „Element der Rücksichtslosigkeit“ nachgewiesen werden muss. Es muss allerdings nicht nachgewiesen werden, dass der Täter beabsichtigte, dem Opfer Schaden zuzufügen. Es galt allgemein als recht wahrscheinlich, dass es in diesem Punkt zu einem Schuldspruch kommt.

„Mord zweiten Grades“ ist der schwerwiegendste Anklagepunkt: eine Tötung die der Täter zwar nicht beabsichtigt, aber beim Begehen einer anderen mutwilligen Straftat – hier wäre es Körperverletzung – begangen hat. In Deutschland entspräche das etwa Körperverletzung mit Todesfolge. Das ist der am schwierigsten nachzuweisende Punkt des Verfahrens gegen Chauvin, die Anklage muss Körperverletzung feststellen, und zwar zweifelsfrei. Der zentrale Punkt war, ob Floyd unmittelbar durch einen Zwangsgriff Chauvins (wie die Staatsanwaltschaft argumentiert) oder anderer Gesundheitsprobleme starb (wie die Verteidigung argumentiert). Jede Seite hatte dabei entsprechende Gutachten, die ihre Sicht unterstützen. Der offizielle Gerichtsmediziner sorgte zuerst für Aufsehen als er davon sprach, er habe „keine körperlichen Befunde“ zur „Unterstützung der Diagnose einer traumatischen Asphyxie oder Strangulation“, stellte dann aber den Tod als „Totschlag“ durch einen Herz-Lungen-Stillstand durch Polizei-Zwangsgriff und die Kompression des Nackens fest. Daher gab es viele Juristen, die die beiden Mordanklagen zweiten und dritten Grades als nicht bewiesen ansahen. Am Ende hat in den USA allerdings jeder Angeklagte in so einem Fall ein Recht auf ein Geschworenengericht – und so lag das Schicksal Chauvins in den Händen der 12 Geschworenen.

Demonstranten sollten „konfrontativer“ werden

Der Ausgang des Verfahrens war also im Vorfeld offen – und auch politisch höchst aufgeladen. Die demokratische Kongressabgeordnete Maxine Waters ermutigte Demonstranten „konfrontativer“ zu werden und „sicherzustellen, dass sie wissen, dass wir es ernst meinen“, falls Chauvin freigesprochen wird. Präsident Biden sagte er hoffe, die Geschorenen werden das „richtige Urteil“ fällen.

Solche Kommentare könnten zusammen mit Unruhen, die teilweise während des laufenden Verfahrens in der Metropolregion Minneapolis stattfanden, als Beeinflussung der Geschworenen eingestuft werden. Der Richter Cahill sagte etwa zu Chauvins Anwalt: „Die Kongressabgeordnete Waters hat Ihnen möglicherweise im Berufungsverfahren etwas gegeben, das dazu führen kann, dass der gesamte Prozess aufgehoben wird.“

Es war zu Befürchten: Wird Chauvin freigesprochen, dann werden wohl wieder amerikanische Großstädte brennen. Kommentatoren würden im Fernsehen Amerika „systemischen Rassismus“ vorwerfen und die Gewalt rechtfertigen. Tatsächlich schien manch einer enttäuscht gewesen zu sein, dass Freispruch und Unruhen ausblieben. Ein MSNBC-Kommentator sagte: „Ich bin nicht glücklich. Ich bin nicht erfreut. Ich bin nicht zufrieden. Ich glaube nicht, dass das System funktioniert … Dies ist das Justizsystem, das versucht zu sagen, hey, das ist ein schwarzes Schaf.“

Und auch wenn dem Land zunächst Unruhen erspart blieben – der Rassismusvorwurf blieb es nicht. Der kam nämlich direkt aus dem Weißen Haus von Präsident Biden, der in einer Fernsehansprache von eben jenem angeblichen „systemischen Rassismus“ der USA sprach. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi sprach in etwas bizarrer Weise den Toten an: „Danke, George Floyd, dass du dein Leben für Gerechtigkeit geopfert hast … Wegen dir und wegen Tausenden, Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die sich für Gerechtigkeit eingesetzt haben, wird dein Name immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein.“

 

Aber auch die Ruhe vor weiterer Gewalt könnte nur temporär sein: Am gleichen Abend ging der Fall eines Polizisten aus Ohio viral, der eine schwarze Teenagerin erschoss, als sie mit einem Messer ein anderes Mädchen attackierte.

Fast 30 Prozent all jener, die sich als „links“ oder „moderat“ oder selbst „konservativ“ sehen, schätzten die von der Polizei jährlich getöteten unbewaffneten Afroamerikaner auf ca. 100. Unter denjenigen die sich als „sehr links“ sehen, schätzten 30 Prozent die Zahl sogar auf 1000, weitere 15 Prozent von ihnen dachten sogar es seihen 10.000. Die von der Washington Post veröffentlichte tatsächliche Statistik von 2019 zeigt jedoch: Es waren 13 Getötete in einem Land mit etwa 42 Mio. Afro-Amerikanern.

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