Tichys Einblick
Alternative zu SWIFT

Russlands Rohstoffreichtum könnte nun nach Indien fließen

Indien profitiert nun vielleicht von Kohle, Gas und Öl, das eigentlich für Europa bestimmt war. Und: Man denkt über eine Alternative zum SWIFT-System nach.

Russlands Präsident Wladimir Putin und der indische Premierminister Narendra Modi am 7. Dezember 2021 in Neu-Delhi

IMAGO / Hindustan Times

Man hätte es ahnen können: Bereits bei der UN-Resolution in der Vollversammlung über den Angriff auf die Ukraine hatte Indien sich mit einer Verurteilung Russlands zurückgehalten. Auch wenn die Mehrheit der UN-Mitglieder den Ukraine-Krieg missbilligte, kann das Ergebnis nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit Indien und China mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung nicht für die ukrainische Sache – und damit für Sanktionen – zu gewinnen war.

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Die Abstimmung war insbesondere für Washington ein Schlag in die Magengrube. Noch am 3. März hatte die US-Regierung darauf gehofft, Neu-Delhi und Moskau einander zu entfremden. Sie rief gezielt dazu auf, dass sich Indien von Russland distanzieren sollte – und damit von einem der wichtigsten Waffenhändler des Subkontinents. Noch im Jahr 2018 hatte Indien einen Handel über 5,5 Milliarden Dollar geschlossen, um fünf Einheiten des Boden-Luft-Raketensystems S500-Triumf zu erwerben.
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Mit den eingesetzten Sanktionen, insbesondere dem Ausschluss aus dem SWIFT-Bankensystem, drohen Russland in Zukunft Barrieren für solche Deals. „Es wird für jedes Land der Welt sehr schwierig sein, große Waffensysteme von Russland zu kaufen, wegen der umfassenden Sanktionen, die jetzt gegen russische Banken verhängt werden“, sagte Donald Lu, Assistant Secretary of State for South and Central Asian Affairs im US-Außenministerium.

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Doch trotz dieses deutlichen Fingerzeigs konnte man sich in Neu-Delhi nicht dazu durchringen, Russland öffentlich zu verurteilen. Es blieb bei einer allgemeinen Verurteilung der Gewalt. Die Haltung weicht damit nicht sonderlich von der Pekings ab – doch im Gegensatz zu China gilt Indien eigentlich als traditioneller Verbündeter der USA. Das Manöver zeigt, dass in Indien eine eigene Strategie im Vordergrund steht. Das Milliardenland betreibt seit Jahren Großmachtsambitionen, insbesondere, seitdem die hindu-nationalistische Regierung an der Macht ist.

Das Ziel der indischen Strategie offenbart sich jetzt, eine Woche später. Obwohl Indien selbst als einer der weltweit größten Förderer von Kohle gilt, verlangt die wachsende Wirtschaft eine immer größere Zufuhr. Neben China gilt Indien als einer der Hauptauslöser der Energiekrise seit dem September. Der Kohlehunger ist so groß, dass das Land auf den Import angewiesen ist – darunter auch aus Russland.

Eine Alternative zum SWIFT-System?

Am 10. März hat die Nachrichtenagentur Reuters deswegen gemeldet, dass die russischen Kohleeinfuhren im März die höchsten in zwei Jahren sein könnten. Russland gilt als sechsgrößter indischer Kohlelieferant und könnte bessere Konditionen anbieten, wenn die Lieferungen nicht mehr nach Europa gehen sollten. Es gibt eine Reihe von Spekulationen, dass Russland und Indien über ein Rubel-Rupien-Abkommen den SWIFT-Boykott umgehen könnten.

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Überlegungen zur Umgehung des SWIFT-Systems reifen in Indien schon länger. Dabei spielte in erster Linie die Befürchtung vor Versorgungsengpässen beim russischen Dünger eine zentrale Rolle. Beamte sagten, der Plan sei, russische Banken und Unternehmen dazu zu bringen, Konten bei einigen staatlichen Banken in Indien für die Handelsabwicklung zu eröffnen. Eine anonyme Bankquelle versicherte Reuters, man werde die Transaktion nicht in Dollar abwickeln, sondern habe die Einrichtung eines Rupienkontos vorgeschlagen.

Die SWIFT-Sanktion des Westens könnte also dazu führen, dass der Dollar an seiner Stellung als allgegenwärtige Leitwährung an Bedeutung verliert. Aber nicht nur im Bereich des Kohle-Handels tut sich etwas in den russisch-indischen Beziehungen.

Russland will sein Öl- und Gasgeschäft mit Indien ausweiten

Am Freitag wandte sich Russland mit einem Vorschlag an die aufstrebende Großmacht. „Wir sind daran interessiert, weitere indische Investitionen in den russischen Öl- und Gassektor zu locken und die Vertriebsnetze russischer Unternehmen in Indien auszubauen“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Nowak. Bereits jetzt besitzen indische Staatsbetriebe Anteile an russischen Gas- und Ölfeldern, der russische Energieriese Rosneft besitzt wiederum Mehrheitsanteile am indischen Raffineriekonzern Nayara Energy. „Russlands Öl- und Erdölproduktexporte nach Indien haben sich der 1-Milliarde-Dollar-Marke angenähert, und es gibt klare Möglichkeiten, diese Zahl zu steigern“, sagte Nowak.

Es steht dabei offen, wie lukrativ diese Geschäfte tatsächlich für die russische Seite sind, die nun nach Ersatz sucht, und womöglich unter Druck nicht dieselben Konzessionen durchsetzen kann, wie sie es ohne westliche Alternative könnte. Dass aber nicht nur China, sondern auch Indien Nutznießer des Konfliktes in Europa sind, dürfte bereits jetzt feststehen. Die Neigung in Neu-Delhi und Peking, dem Bären in den Rücken zu fallen, dürfte bei diesen Aussichten gering sein. Umso offensichtlicher wird damit, wie sehr die alte Weltordnung europäisch-amerikanischer Natur zugunsten erwachender asiatischer Akteure abtritt. Peter Scholl-Latour nannte es „Die Angst des Weißen Mannes“.

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