Tichys Einblick
POLNISCHES ABTREIBUNGSRECHT

Proteste in Polen: Manege frei für Antiklerikale

Wie die westlichen Medien berichten, gehen in Polen "alle" Frauen gegen eine Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts auf die Straße, die das Abtreibungsgesetz verschärft. Wirklich alle? Und ist das Gesetz so unmenschlich, wie es hierzulande dargestellt wird?

Antiklerikale Demonstration in Warschau am 2. Oktober

imago images / Eastnews

Seit einigen Tagen gehen die westeuropäischen Redakteure wieder mit roten Bäckchen und überhöhtem Eifer gegen die „faschistische“ Regierung in Polen vor. Präsident Andrzej Duda werde bald mit „militärischen Mitteln“ durchgreifen, heißt es. Was ist passiert? Hierzulande lesen wir, dass Polen auf eine weitere „Verschärfung“ seines ohnehin strengen Abtreibungsrechts zusteuere. Es sei zu Tumulten auf den Straßen gekommen, nachdem das polnische Verfassungsgericht eine bislang geltende „Ausnahmeregelung“ vom Abtreibungsverbot für verfassungswidrig erklärte. Für eine kurze Zeit konnte man den Eindruck gewinnen, dass in den deutschen Medien sogar die Unruhen in Belarus zeitweilig in den Hintergrund gerieten. In den meisten Zeitungen lesen wir aber wieder emotionsgeladene Artikel darüber, wie der Regierungsparteichef Jarosław Kaczyński sein Land einmal mehr ins „mittelalterliche Jenseits“ befördert habe. Seitdem gingen linke Menschenrechtsaktivisten und die polnische Opposition gegen den „Diktator aus Żoliborz“ vor. Na klar, wer sonst? Bevor jedoch noch weitere Opfer der „linksintellektuellen“ Tollwut verfallen, sollten sie vielleicht das polnische Abtreibungsgesetz einer genaueren Betrachtung unterziehen.

Es stimmt, die konservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) setzt sich seit geraumer Zeit für eine Änderung des Abtreibungsrechts ein. Das zuletzt ergangene Urteil des Verfassungsgerichts in Warschau ebnet den Weg für die Bewilligung eines Gesetzesentwurfs, der einen willkürlichen Schwangerschaftsabbruch verbietet. Doch er ist keineswegs mit einem „totalen Abtreibungsverbot“ gleichzusetzen. Der induzierte Abort ist in Polen nach wie vor zugelassen, sofern sich die Schwangerschaft negativ auf die Gesundheit der Mutter auswirkt oder etwa das ungeborene Kind aus einer Handlung hervorgeht, die als kriminell einzustufen ist. Und dies sind nur zwei Beispiele. Die Liste der Ausnahmeregelungen wird letztlich sehr lang ausfallen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sicherte zudem seinen Landsfrauen unlängst einen breiteren Zugang zu pränataldiagnostischen Verfahren zu, und zwar in einem Umfang, wie es die links-liberalen Vorgängerregierungen nie getan haben. Wenn folglich im Westen in höchst provokanten Artikeln beteuert wird, die Polinnen würden alsbald das „frauenfeindliche“ PiS-Kabinett stürzen, dann ist es, gelinde gesagt, übertrieben.

Im Zusammenhang mit Polen geht es diesen Redakteuren aber ohnehin nicht mehr um eine eindeutige Verifizierung von Quellen oder Situationen. Vielmehr soll eine (immer größer werdende) Nachfrage nach PiS-kritischen Artikeln bedient werden, die zum „guten Ton“ gehören. Dumm nur, dass unsere ahnungslose heimische Opposition in diesem klamaukhaften Theaterstück mitspielt. Die polnischen Regierungskritiker unternehmen sehr viel, um wieder an die politische Macht zu kommen. Ein Großteil der Beiträge über das Abtreibungsgesetz zielt aber lediglich auf eine unverkennbare Denunzierung der Regierungspartei ab, wie es bereits vorher bei den Themen Justizreform, Medien oder LGBT versucht wurde. Jede Gelegenheit wird als Manege genutzt, um einen medialen Krieg gegen die „Ultras“ aus Warschau loszutreten, wobei auch diesmal in der Berichterstattung über einige Informationen beflissentlich geschwiegen wird, wie z. B. über die Tatsache, dass unter den polnischen Abtreibungsgegnern sehr viele Frauen sind.

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Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass die Abtreibungsdebatte erneut die polnischen Gemüter erhitzt. Sie macht immer wieder sichtbar, was viele Menschen ansonsten verdrängen, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Es wird in Europa nur wenig über die Abtreibungsindustrie sowie ihre Tarnorganisationen diskutiert. Über die zerstückelten Gliedmaßen von oftmals gesunden ungeborenen Kindern, die psychischen Belastungen jener junger Frauen, die einen solchen Eingriff unterschätzten oder ihn gar nicht erst wollten, der ihnen aber zuvor von zweifelhaften Ärzten mit einstudierter Überzeugungskunst wie ein Markenartikel „verkauft“ wurde. Diese Bilder tun weh, verstören. Es gibt unzählige Reportagen, die das hässliche Gesicht dieser Branche zeigen, welche die oft verunsicherten Frauen stets in dieselbe Richtung berät. Vor allem geht es aber auch um die Frage, wer es sich anmaßen darf, über Leben zu entscheiden.

Spätestens bei dieser Frage stehen die heißblütigen Antikleriker in den Startlöchern und blasen bald zum Angriff auf die katholische Kirche. Dies ist die andere Seite der jüngsten „friedlichen“ Frauenproteste in Polen, die allerdings in den deutschen Beiträgen sorgsam ausgespart wird. In den letzten Tagen zeigten sich viele polnische Gläubige entsetzt über die plötzlichen Hassdelikte gegen Priester und christliche Symbole. Kirchen und Pfarrämter wurden großflächig mit politischen Parolen besprüht, Gottesdienste von fanatischen Jugendlichen gestört. Teilweise wurden sogar Denkmäler von Johannes Paul II. beschmiert, dem polnischen Papst, der den verirrten Linksradikalen die Meinungsfreiheit in ihrem Land ermöglichte. In den meisten christlichen Ländern wird die gezielte Entwürdigung sakraler Symbole und Gegenstände strafrechtlich verfolgt. Vermutlich hätte in diesem Fall auch ein „sozialdemokratischer“ Bundespräsident hart durchgegriffen. Wie dem auch sei: Viele Polen mussten leider zähneknirschend zugeben, dass selbst die atheistischen Machthaber in der kommunistischen Volksrepublik sich noch einen letzten Funken Anstand zu bewahren wussten und bei all dem Terror zumindest die Gläubigen in den Kirchen beten ließen.

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