Tichys Einblick
Historischer Ballast und Hoffnung auf Zukunft

Konservatives Bündnis in Europa – Polens PiS und ihre Probleme mit der AfD

Die Konservativen in der EU wagen den gemeinsamen Schulterschluss gegen den in Brüssel aufkeimenden Neobolschewismus – ohne die AfD. Trotz vieler inhaltlicher Schnittmengen gibt es zwischen der Partei von Jörg Meuthen und der polnischen PiS nach wie vor markante Gegensätze.

An der deutsch-polnischen Grenze bei Schwedt

IMAGO / Hohlfeld

Der Aufschrei im sozialistischen Lager war enorm, als Anfang Juli 16 Parteien aus ganz Europa in einem gemeinsamen Papier eine Kursänderung der etablierten EU-Politik einforderten. Rot-rot-grüne Parteien, die in ihren Ländern um den Wiedereinzug in die Parlamente bangen, bezeichneten das Bündnis als „Nationalistenpack“ sowie einen „Schulterschluss der Verzweifelten“. Sie reagierten erneut mit festgesetzten Klischees und semantischen Verschiebungen, ohne den eindeutigen Stimmungswandel wahrzunehmen.

„Was sich derzeit in der Europäischen Union abspielt, verunglimpft die Pläne ihrer einstigen Ideengeber und wird sie daher früher oder später in eine tiefe Krise führen“, glaubt der polnische Vizepremier Jarosław Kaczyński. Ähnlich wie andere konservative Meinungsführer befürchtet der PiS-Vorsitzende, dass in Brüssel eine Revolution vom Zaun gebrochen wird, die den Interessen vieler Europäer zuwiderlaufe. „Wir haben es hier mit einer fortschreitenden Zentralisierung unserer Gemeinschaft sowie einem unterschwelligen Kulturkampf zu tun, der unsere Freiheit beeinträchtigt“, so Kaczyński. Eine stärkere Impulsgebung seitens jener Parteien, die sich für eine „Union der freien Völker“ einsetzten, sei deshalb notwendiger denn je. Zu den Unterzeichnern zählen neben dem polnischen Regierungsparteichef christdemokratische Schwergewichte wie Ungarns Premier Viktor Orbán, die Vorsitzende des französischen Rassemblement National Marine Le Pen sowie der frühere italienische Innenminister Matteo Salvini. 

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Im Hinblick auf die gemeinsame Erklärung hat sich eine Reihe von thematischen Akzenten und Präferenzen herausgebildet, die eigentlich auch im Wahlprogramm der AfD vermerkt sind. Doch die Partei von Jörg Meuthen und Tino Chrupalla bleibt im konservativen Machtblock unberücksichtigt. Sie sei zur Mitzeichnung nicht aufgefordert worden, heißt es. In parteiinternen Kreisen wurde prompt die These lanciert, die AfD-Abgeordneten in Straßburg hätten sämtliche Warnungen vor politischen Alleingängen missachtet und nun die Quittung erhalten. Wie auch immer: Es bleibt unbestritten, dass es in mehreren Ländern immer noch starke Vorbehalte gegenüber der AfD gibt. Und dies nicht erst seit heute.

Gerüchte über eine konservative Allianz in Europa kursieren bereits seit Jahren. Die deutschen Medien reagieren auf solche Informationen zögernd und abwartend, jedoch ändert dies nichts daran, dass in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer die Diskussion zuletzt in Schwung kam. Anfang April machten Orbán, Salvini und der polnische Ministerpräsident Morawiecki in Budapest ihre Absichten öffentlich, indem sie eine „europäische Renaissance auf der Basis christlicher Werte“ verkündeten. Erste Entwürfe einer Deklaration machten die Runde, woraufhin Parteien wie Fratelli d’Italia und die spanische Vox gleichfalls ihre Berücksichtigung einforderten. Die Annoncen des AfD-Chefs Meuthen stießen indes weiterhin auf taube Ohren. Dabei ist ihm selbst eigentlich kein Vorwurf zu machen, weil er aus Sicht Orbáns und Morawieckis seinem als „populistisch“ verschrienen Lager durchaus „menschliches Antlitz“ zu verleihen versucht. Nach der Meinung des polnischen EKR-Fraktionsvorsitzenden Ryszard Legutko sei insbesondere das Russland-Bild der AfD „im hohen Maße verstörend“. Doch wenn dies der einzige Sargnagel für eine Mitgliedschaft im exklusiven Klub der Konservativen wäre, dann wären auch Salvini und Le Pen nicht dabei, die dem Kremlchef ebenfalls nicht ausnahmslos feindlich gegenüberstehen.

Es geht also um weitaus mehr als nur um die vermeintliche Russlandliebe manch eines AfD-Politikers. Um dem chronischen Ostrazismus in Europa entgegenzuwirken, müssten einige von ihnen vermutlich zunächst einmal ihre Bringschuld an Mäßigung im Ton begleichen. Dem forschenden Auge in Osteuropa entzieht sich nämlich keineswegs der Zusammenhang der Partei mit Personen, die im Wahlkampf hin und wieder gern aus der „völkischen“ Wortschatzkiste schöpfen. Solange politische Debatten mit Termini wie „Fliegenschiss“ und „Mahnmal der Schande“ angereichert werden, wird jenseits der Oder die Skepsis gegenüber der AfD weiter wachsen. Es sind ja nicht nur Landespolitiker, die nur wenig Interesse an der Überwindung historischer Traumata aufbringen und damit eine trügerische Anziehungskraft auf ihre jeweiligen Wählermilieus ausüben. 

„Central Bank Digital Currency“
Der Digital-Euro kommt – und könnte das Finanzsystem umwälzen
Wenn sich im Bundestag einige AfD-Abgeordnete gegen ein Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus aussprechen oder gar behaupten, Josef Stalin habe im September 1939 in Übereinkunft mit Adolf Hitler eine „realpolitische und richtige Entscheidung“ getroffen, dann ist es nicht einmal mehr zynisch (denn so funktioniert zuweilen pluralistische Parteiendemokratie), sondern schlechtweg töricht. Wie kann man im Jahr 2021 im deutschen Parlament allen Ernstes vortragen, Moskau habe „pragmatisch“ gehandelt, weil die Republik Polen keine sowjetischen Truppen auf seinem Territorium duldete? Diese zweifelhafte und verklärende Argumentation suggeriert nicht nur eine polnische Mitschuld am Zweiten Weltkrieg, sondern lässt obendrein außer Acht, welche Ziele Stalin bereits vor 1939 in Polen verfolgte („Großer Terror“). Aus polnischer oder ungarischer Perspektive hat die AfD jedenfalls keinerlei Chancen, am konservativen Block beteiligt zu werden, wenn sich ihr Ehrenvorsitzender zu solchen Äußerungen hinreißen lässt. 

Dabei gibt es ansonsten viele inhaltliche Schnittmengen zwischen der AfD, PiS und Fidesz. Die polemischen Sturzbäche aus dem Osten ergießen sich bekanntlich nicht auf alle konservativen Gruppierungen in der Bundesrepublik. In dem jüngst veröffentlichten Strategiepapier, das sich gegen einen europäischen „Superstaat“ richtet, finden wir ebenso die Unterschrift des AfD-Gründers Bernd Lucke, der später dem Umbau einer engen Parteiführung (erstaunlich geräuschlos) zum Opfer fiel. Ihre heutige Popularität in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft verdankt die AfD ja nicht nur der unheilvollen Rhetorik des „Flügels“, sondern vor allem gezielten Lösungsvorschlägen zu Problemen, deren erfolgreiche Behandlung den etablierten Parteien nicht mehr zugetraut wird. Viele PiS- und AfD-Wähler eint die zutreffende Erkenntnis, dass die EU auf einem gefährlichen integrationspolitischen Irrweg ist. Differenzierte Vorstellungen der Mitgliedsstaaten treffen auf einen verschärften Kurs der Zentralisierung. 

Die einstige europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich zu einer politischen Union entwickelt, in der die Souveränität nationaler Staatsorgane von der „Zentrale“ aufgesogen wird. Die fahrlässigen Konzepte einer „staatenlosen“ Schuldenunion sowie einer von Berlin aus gesteuerten homogenen Zuwanderungspolitik werden heute nicht nur in Warschau und Budapest verworfen, sondern gleichfalls in Wien und Rom. London ist schon längst aus dem einträchtigen Chor der „politisch Anständigen“ ausgeschert. 

Man muss sich nicht zu intellektuellen Höchstleistungen antreiben, um zu erkennen, dass die Führungskräfte einiger EU-Institutionen ein Verhalten an den Tag legen, das nicht wirklich vom Geist freiheitlicher Demokratie erfüllt ist. Die Überdehnung der Machtansprüche der EZB und des EuGH stoßen in Polen auf regsamen Widerstand, der jedoch kein Plädoyer gegen die Europäische Union ist. Er ist vielmehr als ein Anreiz zu begreifen, die zentralistischen Tendenzen zu überdenken und vertikale Kompetenzen zu regeln, damit weiteren Demokratiedefiziten vorgebeugt werden kann. Den Architekten des konservativen Bündnisses geht also vornehmlich um die Zukunft Europas, wobei es gewiss nicht unangenehm wäre, sich darüber mit einer deutschen Partei auszutauschen, die daheim auf geschichtsrevisionistische Positionen verzichtet und nicht dort um Wahlstimmen wirbt, wo es zunehmend hysterischer und das politische Klima vergiftet wird.

Anzeige