Tichys Einblick
Und das Imperium hat ein Problem

Polen und Ungarn unterwerfen sich nicht

Polen und Ungarn haben das EU-Corona-Hilfsprogramm von 750 Milliarden Euro und den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre mit ihrem Veto blockiert. Das ist nicht erstaunlich, sondern dass die EU-Bürokraten und die Regierungen der Mitgliedstaatendavon ausgingen, dass Polen und Ungarn sich unterwerfen würden.

imago images / Eastnews

Grund des – lange angekündigten – Vetos ist die geplante Verknüpfung der Auszahlungen an die Einhaltung der sogenannten Rechtsstaatlichkeit. Polen und Ungarn werden schon seit Jahren (genaugenommen seitdem dort konservative Regierungen gewählt wurden) mit Klagen vor dem EuGH wegen angeblicher Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit geradezu überschwemmt. Die Anklagen reichten von schlechter Behandlung von „Flüchtlingen” bis hin zu Verurteilungen wegen angeblicher Verstöße gegen die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit oder wegen fehlender Medienfreiheit. Die Urteile waren fast durchgängig fragwürdig, zum Teil haarsträubend, meistens wurden Polen und Ungarn wegen Vorgehensweisen angeklagt und verurteilt, die weiter westlich ungeahndet praktiziert werden, wie zum Beispiel im Falle der Ablehnung der Umverteilung von sogenannten Flüchtlingen.

Bisher war der Anklageweg noch einigermaßen umständlich. Es musste einer her, der sich bei der Kommission beklagte, meistens eine NGO, oder von NGO-Mitgliedern und Oppositionsparteien angestiftete „Bürger“. Für die Verurteilung wegen Vertragsverletzung Paragraph 7 waren bisher nur die Festlegungen des EU-Vertrages maßgeblich, nicht irgendwelche nebulösen, nicht weiter definierten Rechtsstaatlichkeitsnormen, und die letzte Entscheidung lag beim Europäischen Rat (also den Regierungschefs), und nicht bei der Kommission, bzw. beim EuGH.

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Der EuGH funktioniert wie eine Art Exekutivkomitee der Kommission, die die ideologischen Abweichungen in den Mitgliedstaaten sanktioniert. Mit der Verknüpfung von Geld und Rechtsstaatlichkeit sollte der Klageweg einen gewissen Automatismus erhalten, man „überprüft“ in regelmäßigen Abständen automatisch – nicht etwa die Einhaltung der EU-Verträge, sondern das, was die Kommission oder der EuGH für sanktionierbar hält. Dabei geht es um die Prüfung, ob sich das Land an die Breschnew-Doktrin der EU hält: freie Einwanderung, Kniefall vor dem Islam, Gender-Theorie und ihre Umsetzung, Ökoextremismus, no nations, no borders, Aufgabe der nationalen Kultur und Tradition. Statt jedoch offen zu erklären, dass es eben darum und nichts anderes geht, sucht man Anlässe, die nach Rechtsstaatlichkeit aussehen: die angebliche Eliminierung der unabhängigen Justiz in Polen, die angeblich fehlende Medienfreiheit in Ungarn. Letztendlich geht es immer darum, den regierenden Konservativen so viel Ärger und Kosten zu verursachen, wie es nur geht, und vor allem die schwache Opposition in diesen Ländern mit Slogans und Argumenten zu füttern.

Die Rechtsstaatlichkeits-Verfahren sind eine der vielen Methoden, die die EU anwendet, um einen Regierungs- und Systemwechsel in den beklagten Ländern herbeizuführen, und die verhassten Fidesz- und PiS-Regierungen abwählen zu lassen, oder noch besser, zu stürzen. Dazu gehören außerdem die Finanzierung und Anleitung von NGO, Schüren von Konflikten mit Minderheiten (wie in Ungarn mit den Roma) und direkte Einmischung von westeuropäischen und EU-Politikern in innere Angelegenheiten. In einem ihrer lichten Momente hat Katharina Barley, SPD-Politikerin im Dienste des Imperiums, ausgeplappert, worum es bei der Rechtsstaatlichkeitsprüfung gehen soll: um das „Aushungern“ des Widerstandes.

Dahinter steht eine durchaus realistische Einschätzung der imperialen Bürokraten: Obwohl die EU-Doktrin von der überwiegenden Mehrheit in Polen und Ungarn abgelehnt wird (insbesondere die grenzenlose Einwanderung und die Kapitulation vor dem Islam), ist die Mehrheit auch davon überzeugt, dass ihr neu erworbener, spektakulär gestiegener Wohlstand der EU zu verdanken sei. Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger linker Propaganda, die die EU als den Wohltäter ersten Ranges darstellt und die Vorstellung verbreitet, ohne sie gebe es keine Zukunft. Deshalb rechnete man in Brüssel damit, dass sich Polen und Ungarn, wenn man ihren Bevölkerungen mit Geldentzug drohte, der Erpressung fügen würden.

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Allerdings zeugt das von einer groben Fehleinschätzung des osteuropäischen, insbesondere des Orbánschen Charakters. Warum sollte ein Mann, der in einem von den Russen besetzten Land öffentlich den Abzug der russischen Truppen zu fordern gewagt hat, vor von der Leyen einknicken? Es gibt keinen einfachen Ausweg aus dieser Lage, und es wird weiterhin eine diplomatische Gratwanderung sein, einerseits der EU-Erpressung nicht nachzugeben, und andererseits doch noch – so lange es geht – in der EU bleiben. Ein Austritt, oder auch nur der Versuch dazu, würde sowohl in Polen als auch in Ungarn wahrscheinlich zum Sturz der konservativen Regierungen und zu einer unversöhnlichen Spaltung der Gesellschaft führen. Ebenso aber würde auch ein Nachgeben zum Sturz der konservativen Regierungen führen. In Polen steht schon eine noch radikalere konservative Kraft bereit, in diesem Falle die Regierungsgeschäfte von der PiS zu übernehmen, Innenminister Ziobros „Solidarisches Polen“.

Die andere Fehleinschätzung, der die Kommission erlegen war, betrifft das EU-Parlament. Nun hat es sich gerächt, dass es seit Jahrzehnten als der Ort gilt, wohin man die national nicht mehr Tragbaren, Versager und Unruhestifter abgeschoben hat. Inzwischen ist dieses Parlament zum Tummelplatz gescheiterter Existenzen geworden, die nichts anderes im Sinn haben, als sich auf Kosten europäischer Steuerzahler zu bereichern und sich an den zu Hause gebliebenen Parteifreunden zu rächen, indem sie sich noch radikaler als diese gebärden. Die nicht einfangbaren Radikalen aller Parteien, ob Grüne, Sozialdemokraten, FDP- und CSU-Mitglieder, gerieren sich, als seien sie eine NGO, die europäische Stoßtruppe im Kampf für den Endsieg. Da wird auch keine Rücksicht mehr auf sorgsam ausgehandelte Kompromisse der Kommission und des Europäischen Rates genommen, wie man sonst auch keine Rücksicht auf jedwede Realität nimmt.

Orbán auf jeden Fall bleibt bei seiner Ablehnung, auch nachdem Merkel selbst versucht hatte, ihn davon abzubringen. „Es gibt keine Vereinbarung über irgendetwas, so lange es keine Vereinbarung über alles gibt“, schrieb Orbán in seinem Brief an die Kommission. Zusammen mit seinem polnischen Kollegen schlug er in dem Brief den Weg zu einem möglichen Kompromiss vor: Der Rechtsstaatlichkeits-Automatismus soll sich nur auf Fälle beziehen, die unmittelbar mit den EU-Finanzen zu tun haben. Auch wenn der Vorschlag konziliant daherkommt, er eliminiert gerade das Hauptanliegen des ursprünglichen Vorhabens, und ist deshalb in der Form für die EU kaum akzeptabel.

Der Video-Gipfel am Donnerstag wird sich – neben Corona – mit der Lage befassen. Wir dürfen gespannt sein.

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