Tichys Einblick
Herr Nehammer, das geht daneben

Österreich: Sonntagsschwur auf die Impfpflicht

Kanzler Nehammer ergriff vor den weiter zunehmenden Protesten auf Österreichs Straßen die Flucht nach vorn. Er und die Seinen möchten Protestwillige vom Demonstrieren abhalten nach dem Motto: Leut', es nutzt eh nix mehr, bleibt's daham. – Mal schau'n, ob das funktioniert.

Screenprint ORF

Kanzler Nehammer trat für die Wiener Presseschar, die sonst jedes Polithusten hört, bevor es ertönt, völlig überraschend am heiligen Sonntag per ORF-Kamera vor das Volk und legte quasi einen Sonntagsschwur auf die Impfpflicht ab und darauf, dass sie im Februar kommt. Leute, die es wissen müssen, bestätigten meinen Eindruck: Nehammer ergriff vor den weiter zunehmenden Protesten auf Österreichs Straßen die Flucht nach vorn. Er und die Seinen möchten damit Protestwillige vom weiteren Demonstrieren abhalten nach dem Motto: Leut‘, es nutzt eh nix mehr, bleibt’s daham.

Ausschweifend beschrieb Nehammer, dass er seine Heimquarantäne nach einem Positivtest ohne Symptome hinter sich gebracht habe, und wie glücklich er sei, dass dies wegen seiner Dreifach-mRNA-Behandlung so gut verlief. Mit Verlaub, Herr Nehammer, das wissen Sie nicht, das kann auch kein Mediziner belegen, diese Wirkung von mRNA ist nur die gängige öffentliche Deutung. Mein Sohn zum Beispiel, der ähnlich alt ist wie Sie, Herr Nehammer, hat eine tatsächliche Covid-19-Infektion fast symptomlos hinter sich gebracht – ungeimpft. Und bei ihm war es Delta, bei Ihnen vermutlich Omikron. Als Bundeskanzler ein persönliches Erlebnis derart zentral als Legitimation einer Impfpflicht für Millionen einzusetzen, ist hoch unseriös.

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Wie das an den Höfen der Herrschenden schon immer war, sind manche Höflinge regelmäßig päpstlicher als der Papst, indem sie in überschießender Loyalität den Herrscher an Härte noch übertreffen wollen. So geschehen in ORF 2 gestern, entbot der Leiter der Wissenschaftsredaktion den Zuschauern den Satz, am Ende bliebe einem ja noch „die Schaufel gegen das Schneebrett vor dem Kopf“ der Impfunwilligen. Die ORF-Kamera zeigte bei diesem Statement auch das Gesicht des Leiters der innenpolitischen Redaktion, das von einem gepflegt distanzierten Lächeln gekennzeichnet war. Nicht der Politik-Redakteur agitierte, sondern der Wissenschafts-Mann. Er ist mir zu Beginn von Corona durch sachlich, abwägende Äußerungen in Erinnerung. Aber davon ist nichts mehr übrig. Tja, Corona hat viele Wirkungen, aber die politischen sind die schlimmsten.

Anmerkung: Dass „Schneebrett vor dem Kopf“ nicht von alpinistischen Kenntnissen zeugt, ist das Vernachlässigenswerte an diesem missglückten Sprachbild.

Zur Impfpflicht in der Praxis schreibt Rainer Nowak, Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse, in seinem Morgenbriefing über die offizielle Aussendung des Kanzleramts: „Die Impfpflicht kommt mit Anfang Februar, die Eingangsphase geht bis Mitte März.“

In dieser Phase sind die Menschen angehalten, sich impfen zu lassen. Kontrolldelikt ab Mitte März: „Jeder Mensch kann kontrolliert werden und muss, wenn er nicht geimpft ist, mit einer Anzeige rechnen. Der Höchst-Strafrahmen reicht von: 600 Euro (im abgekürzten Verfahren) bis 3.600 Euro (im ordentlichen Verfahren).“

Und: „Im Impfregister werden Impfungen und Ausnahmegründe eingetragen. Ausnahmen werden von Amtsärzten und Epidemieärzten, bzw. durch fachlich geeignete Ambulanzen oder Krankenanstalten festgestellt und eingetragen.“

Herr Nehammer, ich bin gespannt, wie wer auf Ihr Eilverfahren reagieren wird, mit dem Sie und die Ihren offensichtlich die Impfpflicht unter Dach und Fach bringen wollen, bevor sie etwa wegen der Folgen von Omikron nicht mehr begründbar ist.

Abschließend, Herr Nehammer, empfehle ich Ihnen, auf diepresse.com zu lesen, was dort über die fehlende Solidarität der Geimpften mit den Nicht-Geimpften steht: „Geimpfte müssen in der maßgeblichen Öffentlichkeit jetzt für Ungeimpfte sprechen. Umso mehr, als diese es nicht mehr für sich selbst tun können, seit man sie als Ganzes verdächtig gemacht hat.”

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