Tichys Einblick
Schutz der EU-Seegrenzen

NGO-Anwälte wollen Frontex-Chef Leggeri vor Gericht bringen

Fabrice Leggeri wird in Europa von fast allen verfolgt, die Rang und Namen in der Hierarchie der Migrationsbefürworter haben – gleich ob in Parlamenten, NGOs oder an Universitäten. Nun wird sein Fall wohl vor Gericht landen: Drei Anwälte und zwei NGOs wollen den Frontex-Chef verklagen.

IMAGO / GlobalImagens
Hinter Frontex-Direktor Fabrice Leggeri sind inzwischen so einige her. Der Spiegel zählt sie noch einmal alle auf: Die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly stellt Fragen zu den angeblichen Pushbacks in der Ägäis, aber auch zu den inneren Kontrollmechanismen von Frontex und angeblich fehlender Transparenz. Das EU-Parlament hat eine »Frontex Scrutiny Group« eingesetzt, die am Ende dem Innenausschuss berichten soll. Auch hier geht es um Grundrechtsverletzungen, bei denen Frontex Zeuge gewesen sein soll. Ein erster Bericht wird in drei Monaten erwartet. Zu allem Überfluss hat sich auch die EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF in die Angelegenheit eingemischt, obwohl sich ihre Pressemitteilungen zu Frontex und Leggeri bisher überwiegend freundlich- zurückhaltend lasen. Im Hintergrund steht die Führungsfrage: Wie gut ist die Frontex-Direktion im Krisenmanagement? Und ja, dann waren da noch ein paar Fernseh-Aufklärer, die glaubten, noch ein Skandälchen mehr ausgegraben zu haben.

Nun kommt ein internationales Anwaltsteam hinzu, das zudem zwei Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Rücken hat. Die Gruppe von Rechtsanwälten um Omer Shatz, Iftach Cohen und Anastasia Ntailiani wirft Frontex eine Beteiligung an der Zurückweisung von Migranten in der Ägäis vor. Frontex-Beamte sollen in mindestens sieben Fällen in der Nähe von sogenannten Pushback-Aktionen gewesen sein, deren wirklicher Charakter dabei nicht oder noch nicht klar ist. Frontex will dabei 13 Vorfälle selbst prüfen. Die interne Frontex-Arbeitsgruppe hat dabei in acht der Fälle »keine rechtswidrige Zurückweisung« erkennen können und will fünf noch weiter untersuchen, wie Fabrice Leggeri nun der FAZ sagte.

Wüsste Frontex von Menschenrechtsverletzungen, dann müsste es die betreffende Mission abbrechen. Auf diesem Standpunkt stehen zumindest die klagenden Anwälte, die Leggeri zunächst schriftlich zur Beendigung des Ägäis-Mission aufgefordert haben. Wenn das nicht zieht – wovon auszugehen ist –, wollen die Anwälte vor den Gerichtshof der EU (EuGH) in Luxemburg ziehen.

Wer klagt da oder hat es vor?

Der Israeli Omer Shatz ist selbst Mitgründer der NGO »We Are Refugees« und in Rechtsverfahren rund um den Krieg im Gaza-Streifen, aber auch solchen für irreguläre Migranten, überaus erfahren. Im Moment hat er ein Fellowship der School of Transnational Governance inne, mit dem schönen Titel: »Mapping and Analysis of EU external migration policies«. Die School of Transnational Governance ist ihrerseits Teil des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz und Fiesole, das direkt von den EU-Mitgliedsstaaten getragen wird.

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Es ist immer wieder das gleiche Paradox: Wir haben es mit einer EU zu tun, die grundsätzlich sinnvolle Institutionen wie die Grenzschutzagentur Frontex schafft, um sie dann von allen Seiten so zu umstellen, dass sie ihre eigentliche Arbeit vielleicht gar nicht mehr tun kann. Allerdings wollte Shatz auch schon einmal Angela Merkel, Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker wegen illegaler Immigrationsverhinderung verklagen, wie er 2019 dem Neuen Deutschland und der Zeit anvertraute.

Zusammen mit Cohen ist Shatz außerdem Mitglied der NGO »Front-Lex«. Rechtsanwältin Ntailiani arbeitet für die zweite beteiligte NGO: Das »Legal Centre Lesvos« versucht, in langen Tweet-Ketten die Mängel des provisorischen Lagers Kara Tepe zu dokumentieren, und nennt einige der Bewohner seine »Klienten«. Auf der anderen Seite verlangt die NGO, die EU-Außengrenzen noch weiter zu durchlöchern, um noch mehr prekäre Immigration dieses Typs zu ermöglichen. Die griechischen Inseln würden so zum Dampfkessel, der die EU-Migrationsmaschine antreibt.

Viele irreguläre Migranten kehren einfach wieder um

Leider verlieren die Frontex-Kritiker die juristische Definition von Zurückweisungen an der Grenze oder auch Pushbacks vollkommen aus den Augen. Es handelt sich um eine hochgradig politisierte Diskussion. Denn eine Zurückweisung ist nur dann nicht zulässig, wenn Migranten dadurch in ein Land »zurückgeschoben« werden, in dem ihnen Schaden an Leib oder Leben droht und sie aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität verfolgt werden könnten. All das ist aber in der Türkei nicht der Fall, vor allem nicht wenn von muslimischen Migranten die Rede ist, die mithilfe wohltätiger NGOs mit islamischer Ausrichtung in das Land am Bosporus gefunden haben. Dass die Türkei – trotz dieser Mitverantwortung für die illegale Migration – ein sicherer Drittstaat ist, hat EU-Kommissarin Ylva Johansson erst im vergangenen Juli in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage bestätigt.

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Für die skandalisierten Fälle bedeutet das, dass eine »Rettung« der Migranten durch Frontex nur dann geboten gewesen wäre, wenn sich deren Boot in akuter Seenot befand oder aber die griechischen Kollegen der Aktion zugestimmt hätten. Folgt man den bekannten Einsatzberichten, dann beharrt die griechische Küstenwache aber einstweilen noch auf dem rein beobachtenden und unterstützenden Status der Frontex-Kräfte. »Die griechischen Offiziere schätzen die Lage ein«, so bestätigt auch Fabrice Leggeri im Interview mit Thomas Gutschker von der FAZ.

In dem Interview antwortet Leggeri sozusagen allen seinen Kritikern. Aus dem Text gehen die Erfolge des Küstenschutzes in der Ägäis ebenso hervor wie die bleibenden Schwierigkeiten. So bestätigt Leggeri anscheinend die Ausgangsbehauptung von Thomas Gutschker, wenn er sagt, dass viele irreguläre Bootsmigranten inzwischen durch die griechische Küstenwache abgeschreckt werden. Sie wüssten schlicht, so der Frontex-Direktor, dass sie im Grunde kein Anrecht auf Schutz in der EU haben.

Die FAZ findet das merkwürdig, doch Leggeri kann Gutschker die Aufgaben von Frontex erläutern: »Die Außengrenzen-Kontrollen sollen irreguläre Grenzübertritte vermeiden, bei denen die Migranten nicht registriert werden. Die Boote werden oft von kriminellen Organisationen geführt. Wenn der Verdacht des Menschenhandels besteht, kann Griechenland die Boote anweisen, ihren Kurs zu ändern.« Der Frontex-Chef bezieht sich dabei auf die EU-Verordnung Nr. 656/2014 zum Schutz der Seeaußengrenzen aus dem Jahr 2014. Nach ihr sind Frontex und die Mitgliedsstaaten verpflichtet, irreguläre Migration und grenzüberschreitende Kriminalität an den Außengrenzen zu verhindern. Darunter fällt logischerweise auch der Menschenhandel der Schleuser. Wörtlich heißt es in der Verordnung:
»Die Grenzüberwachung dient der Verhinderung unbefugter Grenzübertritte, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Festnahme von Personen, die die Grenze irregulär überschreiten, beziehungsweise der Veranlassung sonstiger Maßnahmen gegen diese Personen.«

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Frontex soll demnach »nicht autorisierte Versuche, die Außengrenzen zu überschreiten«, ausfindig machen und Boote abfangen, die versuchen, unter Umgehung von Grenzkontrollen in einen EU- Staat zu gelangen. Leggeri führt aus, was danach passiert: »Ein Mitgliedstaat kann das Boot dann entweder festsetzen oder es zu einer Kursänderung zwingen, wenn es sich nicht in Seenot befindet. Das ist auch durch internationales Seerecht gedeckt.«

Dass gerettet werden muss, wo nötig, ist klar. Doch für eine Seenot reicht es nicht, wenn die Migranten in einem Schlauchboot ohne Motor anreisen. Das Schlauchboot muss schon ein Loch haben oder die See schon sehr wild sein, um eine Rettung in einem solchen Fall zu rechtfertigen. »Es sind aber nicht alle Menschen in Seenot, die versuchen, die Außengrenze der EU illegal mit einem Boot zu überschreiten«, stellt Leggeri klar. »Es sind auch nicht alle Flüchtlinge.«

Die hybride Bedrohung hält an

Daneben war sich Leggeri in einem der angeblichen Pushback-Fälle nicht sicher, ob griechische Sicherheits- oder Verteidigungsinteressen berührt waren und bat deshalb den griechischen Schiffahrtsminister, die Sache unter die Lupe zu nehmen. Das griechische Verteidigungsministerium hatte schon seit den Geschehnissen des Februar und März 2020 »mehr Befugnisse bei der Verteidigung der Grenzen« bekommen und dieselben seither nie eingebüßt. Athen geht nach wie vor von einer hybriden Bedrohung aus, die sich ebenso an der Land- wie an den Seegrenzen zeigen kann. Und dies wird auch als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen.

Hier müsste außerdem das EU-Gerichtsurteil in Sachen Melilla greifen, wo ebenfalls eine irreguläre Massenimmigration, die die Grenzanlagen der Spanier nicht respektiert, nicht zugelassen wurde. Leggeri führt diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Februar 2020 zu Gunsten der griechischen Küstenschützer an: »Eine Gruppe von Migranten stürmte die Grenze und versuchte, der Grenzkontrolle zu entkommen. Aufgrund dessen entschied der Gerichtshof, dass Spanien keine Verpflichtung hatte, ihnen Zugang zum Asylverfahren zu gewähren.«

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Im letzten Frühjahr haben sich damit zwei Rahmenbedingungen des EU-Außengrenzschutzes gewandelt: Die Gerichtsentscheidung stellte fest, dass ein EU-Mitgliedsland keinen massenhaften, organisierten Angriff auf seine Grenzen hinnehmen muss und den Angreifern nicht auch noch ein Asylverfahren schuldet. Kurz darauf fiel an der griechisch-türkischen Grenze eine organisiertes Schlepperwesen auf, mit dem die türkische Führung versuchte, Druck auf die EU auszuüben. Leggeri erinnert daran, dass ursprünglich alle EU-Mitgliedsstaaten für die Abwehr der türkischen Provokation eingetreten sind. Offenbar ließ Leggeri bei der EU-Kommission anfragen, wie das EGMR-Urteil zu Melilla auf die Seegrenzen übertragen werden kann.

»Industrie-Tage«, bei denen man Unternehmer und Wissenschaftler trifft
Vielleicht stimmt also, was ein Whistleblower der griechischen Tageszeitung Kathimerini verraten hat: Demnach hat Leggeri seinen Mitarbeitern »wiederholt deutlich gemacht«, dass Frontex »kein überteuerter Rettungsschwimmerdienst« ist. Ende März will er dennoch 40 Grundrechtsbeobachter einstellen, die die Arbeit der Grenzschutzagentur zukünftig überwachen sollen. Das gehört vielleicht zu den Kompromissen, die man schließen muss.

Und zum Böhmermann-Lobbyisten-Skandal stellt Leggeri fest, dass Frontex das Mandat habe, Technologien zur Grenzüberwachung zu entwickeln. Die Lösungen sind also noch nicht fertig, sondern in Entwicklung. Daher kein Lobbyismus, sondern »Industrie-Tage«, bei denen man Unternehmer und Wissenschaftler trifft. Und warum auch nicht? Man braucht schließlich Ausrüstung.

Leggeris Schlusswort: »Es gibt Kritik im [EU-]Parlament, aber nicht in allen Fraktionen. Vielleicht haben Sie Kritik in Mitgliedstaaten gehört, aber nicht in allen. Und die Kommissarin hat gerade erst gesagt, dass sie mir vertraut. Es ist meine Pflicht, die Arbeit weiterzuführen, und das werde ich auch tun. Trotz der Pandemie hat die Behörde sehr gute Arbeit geleistet und verdient dafür Anerkennung.«


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