Tichys Einblick
Leggeris Nachfolger gibt sich handzahm

Neuer Frontex-Direktor: Türen für NGOs öffnen – keine Beteiligung an „Pushbacks“

Unter dem designierten Frontex-Exekutivdirektor, dem niederländischen Militärpolizisten Hans Leijtens, droht ein weiterer Rückzug der EU-Grenzschutzagentur, die doch personell gestärkt werden soll. Fraglich bleibt, was die 10.000 Frontex-Reservisten eigentlich tun sollen, wenn legitimer EU-Außengrenzschutz systematisch mit „Pushbacks“ in Verbindung gebracht wird.

IMAGO / Belga

Am 20. Dezember war die Wahl gefallen. Hans Leijtens, zuvor Chef der niederländischen Militärpolizei, wird zum 1. März neuer Exekutivdirektor von Frontex. Er sei gut darin, „mit Menschen eine Richtung zu finden“, sagt Leijtens. Sein Leitspruch sei: „Mit den Menschen, die ich habe, das Maximale leisten.“ Im vergangenen April war der alte Frontex-Chef Fabrice Leggeri zurückgetreten, weil ihm die Rolle von Frontex bei Zurückweisungen an der EU-Außengrenze vorgeworfen wurde, aber auch weil seine Führungsmethoden im Inneren kritisiert wurden.

Leijtens, der als Berufssoldat in Afghanistan war, hat Soziologie und Psychologie studiert und wurde 2008 über Führungskultur promoviert. In der Karibik kämpfte er gegen Korruption, im niederländischen Finanzministerium wollte er für kurze Zeit neue Ideen umsetzen und traf auf Widerstand.

Um den Posten hatte sich auch die derzeitige Interims-Direktorin von Frontex beworben, die lettische Polizistin Aija Kalnaja, die bei aller Veränderung als Kandidatin der Kontinuität galt. Daneben bewarb sich die Kroatin Terezija Gras, bisher Staatssekretärin im Laibacher Innenministerium, um den Leitungsposten. Sie erklärte sich ausdrücklich bereit, den Artikel 46 der Frontex-Verordnung auszulösen, mit dem ein Einsatz beendet werden kann, wenn Verstöße gegen Grundrechte befürchtet werden. Das Argument sollte offenbar ihre Herkunft ausgleichen, denn als Kandidatin aus einem Land mit EU-Außengrenze dürfte Gras argwöhnisch beäugt worden sein. Sie hätte ja am Ende die Interessen ihres Landes auch in ihrem Amt bei der EU-Behörde bedenken können.

„Haben unsere Möglichkeiten bisher nicht ausgeschöpft“

Genau diese Überlegungen werden am Ende zu dem niederländischen Militärpolizisten Hans Leijtens geführt haben, der als Kritiker im Frontex-Rat aufgefallen war. Die Situation an den EU-Außengrenzen bezeichnete er im Dezember als „herausfordernd“. Damit meinte er einerseits wachsende Migrantenzahlen, andererseits die „gleichzeitige Wahrung der Grundrechte“. Der neue Exekutivdirektor müsse Frontex daher „zukunftssicher“ machen: „Ich bewerbe mich dafür, weil ich  beunruhigt bin, dass wir unsere Möglichkeiten als Agentur für Grenz- und Küstenschutz bisher nicht ausschöpfen.“

Worin bestehen aber diese unausgeschöpften Möglichkeiten? Leijtens’ Worte bieten keine direkte Aufklärung. Was ihm aber zu viel ist, sagte er nun bei seiner ersten Pressekonferenz als Exekutivdirektor von Frontex deutlich: „Ich bin dafür verantwortlich, dass meine Leute sich nicht an etwas beteiligen, dass Pushback genannt wird. Ich denke, das ist absolut klar und der rechtliche Rahmen, in dem ich arbeite.“ Pushbacks seien nicht rechtmäßig.

Allerdings hat sich in letzter Zeit eine Diskussion herauskristallisiert, in der es darum geht, ob und wo es eigentlich „Pushbacks“ an den EU-Außengrenzen geben kann. Das gilt für die Grenze zwischen Frankreich und Großbritannien genauso wie für die zwischen der Türkei und der EU. Die griechische Regierung hat hier die Entscheidung getroffen, die Migranten aus den wichtigsten Herkunftsstaaten als nicht gefährdet anzusehen – jedenfalls nicht in der Türkei Erdogans, die so zum sicheren Ursprungsland für durchziehende Migranten wird. Diese Annahme war im Grunde schon die Voraussetzung für die gemeinsame Erklärung von EU und Türkei im Jahr 2016. Etwas Ähnliches ließe sich von Serbien sagen, wo ebenso keine Gefahr der politischen Verfolgung für Migranten besteht.

Leijtens glaubt nun, dass „Grenzschutz und Menschenrechte zusammengehören“. Frontex-Beamte sollten nicht an Aktionen teilnehmen, die zum Zurückdrängen von Migranten an den Außengrenzen führen. Das wiederum könnte zu einer stärkeren Zurückhaltung der EU-Grenzschutzagentur führen, die bisher an mancher Stelle – etwa mit Aufklärung – nationale Grenzschützer unterstützt hatte.

Faeser: Wollen Neuanfang bei Frontex, Pushbacks müssen enden

Spannend ist allerdings die Frage, was die bald 10.000 Grenzschützer in Frontex-Sold dann eigentlich machen sollen. Angesichts der (bisher verbalen) Ausrichtung des neuen Direktors ist zu befürchten, dass Frontex sich endgültig zum Organ der Kontrolle, Überwachung und Einhegung nationaler Grenzschützer entwickelt. Deren Arbeit würde so nicht unterstützt, sondern eingeschränkt. Das hieße dann weniger Grenzschutz mit den 10.000 Frontex-Beobachtern als ohne sie.

Innenministerin Faeser begrüßte Leijtens’ Aussagen auf Twitter: „Wir wollen einen echten Neuanfang bei Frontex. Und der kann jetzt gelingen. Illegale #Pushbacks müssen ein Ende haben – und die Menschenrechte überall an den europäischen Grenzen geschützt und gewahrt werden.“ Dieser Tweet zeigt einmal mehr die Prioritäten der Bundesinnenministerin, die es nicht auf Grenzschutz oder eine Begrenzung der illegalen Migration abgesehen hat – eher auf das Gegenteil.

Auch Leijtens sendet noch mehr zweifelhafte Signale, wenn er sich offen für eine Zusammenarbeit mit „NGOs“ zeigt. Er wolle keinen „Zaun um Frontex“ ziehen: „Ich möchte die Türen öffnen. Nichtregierungsorganisationen sind mehr als willkommen, ihre Informationen an uns und mich zu geben. Und ich versichere ihnen, sie bekommen eine Antwort auf ihre Fragen.“ Informationen können ja nie schaden. Derzeit ist noch offen, wozu Leijtens Politik der „offenen Türen“ führen wird. Zu befürchten ist, dass sein Ohr stärker den Brüsseler Kreisen gehören wird als den nationalen Regierungen, die meist im Süden und Osten der EU für den Grenzschutz verantwortlich sind.

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