Tichys Einblick
Amtseinführung von Giorgia Meloni

Ministerpräsident, nicht Ministerpräsidentin

Giorgia Meloni ist Italiens neuer Ministerpräsident. Von der Propaganda einer langen, schwierigen Regierungsbildung ist ebenso wenig übrig wie von einer angeblichen Isolation in Europa und der Welt. Nur ein bekannter deutscher Journalist zeigt seine Kleinkariertheit.

IMAGO / Xinhua

Giorgia Meloni hat einmal gesagt, ihre bedeutendsten Vorbilder seien Ronald Reagan und Johannes Paul II. In diesem Sinne begann ihre Amtseinführung als erste Frau auf dem Stuhl des italienischen Ministerpräsidenten: Denn der 22. Oktober ist der Gedenktag des polnischen Papstes. „Ich hatte die Ehre und das Privileg, ihn zu kennen, und ich fühle mich geehrt, dass er der Heilige dieses ganz besonderen Tages für mich ist“, schreibt Meloni auf Facebook.

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Angesichts der machiavellistischen Intrigenspiele italienischer Hinterzimmerpolitik ist die Fürsprache eines Heiligen durchaus angebracht. Wer am Samstag in die starre Miene Matteo Salvinis blickte, der sah in ein Gesicht der Enttäuschung, das vor allem eines Aussprach: Eigentlich hätte das sein Tag sein sollen.

Der Lega-Chef wird auch nicht das von ihm favorisierte Innenministerium erhalten, sondern wird Minister für Infrastruktur. Das ist nicht so unwichtig, wie der Name klingt, aber es ist nicht sein Wunschministerium – und keines, mit dem er auf PR-Touren gehen kann wie damals mit seiner Aktion der „geschlossenen Häfen“. Mit der Position eines Vizepremiers hat er jedoch seine Stellung in der Regierung gewahrt.

Silvio Berlusconi hatte im Vorfeld der Regierungsbildung versucht, seinen alten Einfluss geltend zu machen. Doch Meloni hat ihn in die Schranken gewiesen – auch mithilfe Salvinis. Die Wahl von Melonis Vertrautem Ignazio La Russa zum Senatspräsidenten an der Stelle eines Kandidaten aus dem Lager von Berlusconis Forza Italia war ein heftiger Rückschlag. Einige Beobachter behaupteten, damit stünde auch die Regierungsbildung der drei Mitte-Rechts-Parteien auf dem Spiel.

Doch stattdessen stand zuletzt Berlusconis eigenes politisches Überleben auf dem Spiel. Dass Antonio Tajani Außenminister und Vizepremier geworden ist, ist auch ein deutlicher Hinweis auf die Zukunft der Forza Italia. Er ist Vizechef von Berlusconis Partei und viele Wähler wünschen sich ihn als Nachfolger des ewigen „Cavaliere“ an der Spitze. Der ehemalige EU-Kommissar und EU-Parlamentspräsident gilt als vorzeigbar. Mit ihm könnte die zur Kleinpartei gedemütigte ehemalige Volkspartei vielleicht wieder auf zweistellige Ergebnisse kommen.

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Damit war der Vorlauf zu Melonis Ernennung eine Weichenstellung. Meloni hat im eigenen Lager gezeigt, dass sie ihre Linie durchsetzen kann. Salvini hat seine neue Position dabei offenbar akzeptiert, wenn auch mit einem Schuss Bitterkeit. Berlusconi hat es dagegen mit einem Schuss vor den Bug lernen müssen, dass er mit seiner 8-Prozent-Partei nur ein Anhängsel von Melonis Fratelli d’Italia ist. Ob diese Konstellation dazu geeignet ist, fünf Jahre durchzustehen, ist damit noch nicht gesagt.

Doch den Unkenrufen zum Trotz hat das rechte Lager nicht nur zusammengehalten; es hat sich auch sehr schnell zusammengerauft. Von einer schwierigen oder langen Regierungsbildung kann nicht die Rede sein. Linke und außeritalienische Medien hatten dieses Narrativ durchzusetzen versucht, was aber angesichts von nur 27 Tagen zwischen Wahl und Amtseinführung in sich zusammenfällt. Das ist nicht nur für italienische Verhältnisse ein guter Durchschnitt. Nach der Ernennung am Samstag müssen in der kommenden Woche noch beide Parlamentskammern ihr Vertrauensvotum aussprechen.

Ebenso wenig kam es zu herbeiphantasierten Sanktionen und gar einem Affront, ob nun von den inneritalienischen Verfassungsträgern oder außenpolitischen Vertretern. Staatspräsident Sergio Mattarella setzte die Regierung zügig ein, Vorbehalte gegen ministerielle Personalien oder gar die Premierministerin gab es keine. Zur Verstimmung führte einzig eine elfminütige Verspätung Melonis beim Zeremoniell. Ansonsten stand der Tag unter dem Motto: zügig regieren. Den Italienern in der Krise müssten nun Antworten gegeben werden, statt lange zu streiten.

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Auch im Ausland gab es überraschend viel Akzeptanz. Dass der ungarische Premier Viktor Orbán von einem „großen Tag für die europäische Rechte“ sprach, und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die neue Regierung einen „Verbündeten in Rom“ nannte, überraschte wenig. Doch auch der kanadische Regierungschef Justin Trudeau, Bundeskanzler Olaf Scholz und sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierten Meloni zur Betrauung mit den Amtsgeschäften. Sowohl US-Außenminister Antony Blinken als auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sahen der künftigen Zusammenarbeit positiv entgegen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der israelische Ministerpräsident Yair Lapid gratulierten, letzterer nannte zudem explizit Tajani einen „treuen und alten Freund“.

Sehr viel Akzeptanz und Applaus für eine vermeintliche „Postfaschistin“. Von einer Isolation der Meloni-Regierung kann daher keine Rede sein, zumindest existieren noch die formellen Höflichkeiten, die man so manchem konservativ regierten Staat in der Vergangenheit vorenthalten hat. Italien ist als achtgrößte Volkswirtschaft mit rund 60 Millionen Einwohnern und einer geostrategisch wichtigen Situation im Mittelmeer eben auch ein anderes Kaliber, mit dem man sich arrangieren muss. Dass die deutsche Italien-Berichterstattung in vielen Teilen nicht nur ideologisch verblendet ist und qualitativ zu wünschen übriglässt, sondern auch zu einem gewissen Grad kleinkariert ist, zeigte sich am Einwurf des ARD-Journalisten Georg Restle, der die Glückwünsche von Olaf Scholz kritisierte: „‚Ich freue mich…‘ Ernsthaft?“ Anscheinend versucht man in der ARD eine antifaschistische Widerstandszelle zu errichten und warnt weiterhin vor dem Schreckgespenst Meloni.

Außerhalb des öffentlich-rechtlichen Studios nimmt die Welt indes ungestört ihren Gang. Die Wahl der Minister und auch Melonis Auftreten haben mit Sicherheit dazu beigetragen, dass die neue Regierung dafür steht, dass man außenpolitisch in der Tradition der Vorgänger bleibt: insbesondere bei der Ukraine- und Nato-Politik. Mit der Ernennung des EU-Kenners Tajani hat Rom Brüssel erst einmal den Olivenzweig angeboten: Man kommt in friedlicher Absicht und möchte konstruktiv zusammenarbeiten (so lange es möglich ist). Dass Meloni bereits nächste Woche nach Brüssel reisen will, ist dabei allerdings wohl vorrangig eine Nato- denn eine EU-Sache. Auch mit dem französischen Präsidenten Macron will sich Meloni zügig treffen, zudem bestehen Überlegungen bezüglich eines ersten Washington-Termins.

Die Schachzüge sollte man nicht als Anbiederung missverstehen. Meloni kann sich angesichts der Energiekrise und Inflation keine zweite oder gar dritte Front erlauben. Italien wird die nächsten Monate, wenn nicht Jahre, im Zentrum der Regierungspolitik stehen. Italien zuerst – aus reiner Notwendigkeit. Das ist zudem genau das, was der Wähler erwartet. Schöne Treffen mit ausländischen Staats- und Regierungschefs kann jeder. Es herrscht die Stimmung, dass das Schicksal der neuen Regierung bereits in den nächsten acht Wochen entschieden wird, sollte sie nicht in der Lage sein, die größte wirtschaftliche Krise der Nachkriegszeit so zu gestalten, dass sie für die Italiener zumindest erträglich ist.

Meloni selbst hatte sich in den vier Wochen seit der Wahl auffällig zurückhaltend gezeigt. Nur selten trat sie in der Öffentlichkeit auf. Der Samstag war damit wie eine Rückkehr. Ihren Stil hatte sie dabei deutlich geändert: Sie erschien in einem einfarbigen Modestil, der Eleganz und Autorität zugleich ausstrahlte. Auch in anderen Angelegenheiten setzte Meloni am ersten Tag auf eine ganz eigene Note. Sie setzte sich damit durch, dass es auch in Zukunft „der Ministerpräsident“ (il presidente del consiglio) und nicht „die Ministerpräsidentin“ (la presidente del consiglio) in den offiziellen Dokumenten heißt. Für Meloni steht also das Amt weiterhin über der Person. Das unterscheidet sie von einem anderen, bekannten Fall, als Briefköpfe zugunsten einer Bundeskanzlerin abgeändert werden mussten. Und vermutlich nicht nur in diesen Belangen.

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