Tichys Einblick

Marokko wird entscheidend im Kampf gegen den Terror

Das nordafrikanische Land taucht wenig auf in den internationalen Medien und Strategieberatungen, wenn es darum geht, gegen die Ausbildung und Finanzierung von ISIS-Terroristen vorzugehen. Dabei kommen viele der Täter aus dem Maghreb.

Morocco's King Mohammed VI and his wife Princess Lalla Salma (2ndR) welcoming French President Emmanuel Macron (L) and his wife Brigitte Macron upon their arrival for an Iftar meal, the evening meal when Muslims end their daily Ramadan fast at sunset, at the King Palace in Rabat, as part of Macron's 24-hour visit to Morocco, 14th of June 2017

© Abdeljalil Bounhar/AFP/Getty Images

Wer in Marokko im Gefängnis landet, der hat nichts zu lachen. Das Land, das de facto König Mohammed VI. regiert, auch wenn ein Parlament alle fünf Jahre gewählt wird, geht hart gegen illegale Immigranten vor, die versuchen die Zäune der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu überwinden. Die Exklaven werden von den marokkanischen Soldaten dank wirtschaflicher Abkommen mit Spanien wie ihr Augapfel bewacht, aber manchmal schauen sie nicht so genau hin.

Marokko erpresst Spanien, ist aber auch von ihm abhängig

So auch an zwei Tagen im August 2014, als in nur 36 Stunden 1.200 illegale Einwanderer die Zäune der Städte stürmten. Auch jetzt kommen wieder ungewöhnlich viele Migranten an Spaniens Küsten an. Tauchen diese Sicherheitslücken auf, dann gibt es meistens irgendeinen bilateralen Konflikt, heißt es aus Kreisen der spanischen Polizei. Oft verstecken sich die aus Mauretanien, dem Senegal, Mali, Niger, Tschad und Sudan kommenden Migranten wochenlang in den Bergen vor den beiden spanischen Städten und warten auf diesen Moment, wo die Soldaten nicht so genau hinschauen. Werden sie jedoch vorher aufgegabelt, blüht ihn ein brutaler Gefängisaufenthalt.

Die Tatsache, dass auch der gerade gefasste und getötete Kleinlaster-Fahrer von Barcelona, Younes Abouyaaqoub, aus Marokko kommt, rückt das 35 Mio. Einwohner-Land wieder in den internationalen Fokus: 40 Prozent der zwischen 2013 und 2016 in Spanien festgenommenen radikalen Islamisten kommen aus Marokko. Gemäss des Bureaus Central d’Investigations Judiciaires der marokkanischen Anti-Terrorzentrale in Rabat, wurden 1.600 Marokkaner in den vergangenen Jahren als Dschihadisten in Syrien und dem Irak ausgebildet. Von dort verteilen sie sich normalweise über Europa. Der Leiter des marokkanischen Anti-Terror Büros, Abdelhak Khiame, bestätigt die enge Zusammenarbeit mit den spanischen Sicherheitsbehörden, auch jetzt bei den Anschlägen in Barcelona.

Mehr Demokratie konnte das Land stabilisieren

Gegen radikale Islamisten geht das Land offiziell hart vor, so zum Beispiel bei den Anschlägen in Casablanca 2003. Als 2011 auf Marokkos Strassen im Zuge der Demokratiebewegungen viele gegen Mohammed VI. protestierten, reagierte der Monarch mit einer Verfassungsänderung, die dem Parlament mehr Macht gab, „aber mit einer europäischen Demokratie ist das nicht zu vergleichen“, sagt die 20jährige Marokkanerin Hajiba Habban, die seit 17 Jahren in Spanien lebt. Derzeit regiert die gemäßigt islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). Habban distanziert sich von den Anschlägen und glaubt, dass diese „Individuen“ nichts mit ihrem Glauben oder ihrer Kultur gemein haben, aber sie distanziert sich in gewisser Weise von ihrer Heimat.

Sie will in Spanien Wirtschaft studieren, auch wenn in der 2011 erlassenen neuen Verfassung festgelegt wurde, dass Mohammed VI. sich nicht mehr seine Regierung selber zusammenstellen kann. Er ernennt nur noch die Minister für das Innen-, das Verteidigungs- und das Außenministerium. Den Spitzenkandidaten der Partei, welche die meisten Wählerstimmen bekommen hat, muss er mit der Regierungsbildung beauftragen.

Ein arabischer Frühling und die Gefahr einer damit einhergehenden Radikalisierung wie es in Nachbarländern zu beobachten ist, konnte durch diese Reformen bisher vermieden werden. Aber auch die harte Hand der Polizei und des Geheimdienstes hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Marokko, umgeben von Chaos und Konflikten, weitgehend stabil ist. Der Muhabarat, wie die marokkanische Spionage-Agentur des Landes heisst, arbeitet nach Aussagen aus spanischen Regierungskreisen komplett unabhängig von Mohammed VI.

Die harte Hand Mohammed VI. bietet Spanien Sicherheit

Trotz der vielen Immigranten, die gerade wieder an den Küsten Spaniens stranden, wurde diese harte Hand Marokkos, die für die spanische Regierung wichtig ist, vom Innenminister Juan Ignacio Zoido jüngst gelobt: “Die Beziehungen zu Marokko sind gezeichnet von einem großen gegenseitigen Vertrauen.” Das bezieht sich auch auf die Geheimdienste. Diese arbeiten, wie es aus spanischen Regierungskreisen heißt, sehr eng zusammen und zahlreiche Festnahmen waren nur möglich, weil die Marokkaner bei den Ermittlungen geholfen haben.

Zum Beispiel im Mai in Badalona und in der Touristenhochburg Salou bei Tarragona, wo zwei Marokkaner festgenommen wurden, weil sie der Organisation “Islamischer Staat” zugerechnet werden. Ein dritter Mann war später dank der marokkanischen Polizei Dirección General de la Vigilancia del Territorio de Marruecos (DGST) in der Freihandelszone Tanger festgenommen worden.

Marokko und Spanien sind kein Liebespaar

Aber die Zusammenarbeit beider Länder ist alles andere als konfliktfrei. Die spanischen Exklaven auf marokkanischem Boden, Ceuta und Melilla, sind immer noch Gegenstand von Konflikten zwischen den beiden Ländern. Genauso wie Marokkos Machtanspruch der Westsahara. Das imperalistische Auftreten Mohammed VI., seine militärische Aufrüstung und die geografische Lage machen das Land de facto zu einer Bedrohung für Spanien. Das Land Spanien versuchte, in den vergangenen Jahren das Vertrauen Marokkos mit wirtschaftlichen Hilfen zu erkaufen, aber in einigen Sektoren wie der Landwirtschaft und Fischerei gibt es klare Kompetenz-Probleme. Marokko droht bei spanischen Lobbyisten in Brüssel immer wieder: „Wenn ihr uns nicht Geld verdienen lasst, dann können wir auch nicht die Grenzen absichern.“

Die meisten Marokkaner wandern nach Spanien und Frankreich aus

5 Millionen Marokkaner leben im Ausland. In Spanien machen sie die zweitstärkste Ausländergruppe aus. Ihre Zahl verdoppelte sich von 2003 bis 2013 auf 800.000. In Frankreich, immer noch das Traumland vieler jungen Marokkaner, kommen sie schon auf mehr als eine Millionen. Aber Spanien hat enorm an Attraktivität gewonnen in den vergangenen Jahren, weil die Gesellschaft Ausländer relativ einfach akzeptiert. Es gibt keine Ghettos, dagegen aber viele einfache Jobs auf dem Bau und in der Gastronomie. Auch 2016 waren die Marokkaner nach den Venezulanern die zweitstärkste Immigranten-Gruppe in Spanien.

Das Profil der marokkanischen Einwanderer, ob über den Landweg oder übers Meer – diesen Weg wählen nur wenige – ist eindeutlich männlich. Sie kommen ohne Anhang. Grund der Auswanderung ist meist die wirtschaftliche Situation. Der starke Zuwachs an Marokkanern in Spanien seit 2003 hat auch mit der Familienzusammenführung zu einem späteren Zeitpunkt zu tun.

Geheimdienste beobachten die Marokkaner in Spanien

In den vergangen Jahren war die illegale Einwanderung aus Marokko leicht rückläufig. 2016 kamen nur 9.634 ohne Einreisegenehmigung ins Land. Solche die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, rutschen nicht selten in den Cannabishandel ab, um Geld zu verdienen. In Marokko ist der Anbau im Norden des Landes unter bestimmten Bedingungen erlaubt, aber das Vertickern in Spanien wird natürlich hart bestraft. Mohammed gehört zu einem der illegalen Einwanderer, die beim Dealen in Spanien erwischt wurden und der dafür jetzt einige Jahre in einem Madrider Gefängnis sitzt. Aber der Gefangene weist jegliche Verbindung seiner dealenden Landsleute mit Isis-Zellen zurück: „Das hat gar nichts miteinander zu tun,“ sagt der 43jährige.

Müllers Märchen
Marshall-Plan mit Afrika: Lösegeld für Bla-Bla
Gewisse Zusammenhänge dürfte es aber geben, denn auch der Iman aus Ripoll, der als Kopf der Terrorzelle in Barcelona gilt, sass vier Jahre wegen Drogenhandel in Spanien im Gefängnis. Diese Information über Abdelbaki es Satty war der regionalen Polizei in Barcelona, den Mossos, jedoch nicht von den zentralen Einheiten in Madrid weitergegeben worden. Anscheinend hatte er auch keinen zentralen Strafregistereintrag, da er sonst gar nicht als Iman hätte tätig sein dürfen. Die Mossos haben ihn für tot deklariert. Seine Überreste sollen bei der Hausexplosion in Alcanar gefunden worden sein.

Sicher ist jedoch, dass die Marokkaner in Spanien Gegenstand der geheimdienstlichen Beobachtungen beider Länder sind, das bestätigt auch der spanische Ex-Spion David R. Vidal, der 2005 beauftragt wurde vom Centro Nacional de Inteligencia (CNI), an Telefonnummern von Marokkanern zu kommen und so ein Abhörsystem namens Careto bei Verdächtigen jeglicher Art zu etablieren. Zudem gab es 2015 gemäß spanischer Zeitungsberichte (El Confidencial) Versuche des marokkanischen Geheimdienstes, Leute in europäischen Diensten zu platzieren, um sensible Information über Terrorgruppen und Immigration, aber auch über Agrarabkommen in der EU zu filtrieren.

Spanien wird zum Schlüssel für Marokkos Macht in Europa

Das Verhältnis Spaniens zu Marokko ist nicht von wirklichem Vertrauen gekennzeichnet, auch wenn offizielle Stellen das so verkünden. Es ist eine Nutzehe, die von viele Abhängigkeiten gekennzeichnet, aber auf keinen Fall auf wirklicher Sympathie basiert. Marokkos König wünscht seit Jahren, zum elitären Club der EU zu gehören und sich vom armen Afrika und dem radikalisierten Islam zu distanzieren. Spanien ist sein Sprungbrett. Im Dezember 2003 hatten beide Länder das bereits 1980 diskutierte Projekt eines Tunnelbaus nach Spanien wieder aufgenommen. Im Jahr 2013 wurde von spanischen, marokkanischen und anderen europäischen Politikern die Notwendigkeit der Realisierung des Gibraltartunnels bekräftigt. Die Kosten sollen etwa 5 Milliarden Euro betragen. Marokko könnte jetzt das Thema wieder aufbringen, um für seine geheimdienstlischen Arbeiten, Grenzüberwachungen und Kampf gegen Isis wie die Türkei den Zugang zur EU in Aussicht gestellt zu bekommen.


Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.