Tichys Einblick
Weissrussland

Lukaschenko hat eine neue Form des Staatsterrorismus erfunden – mit Putins Deckung

Weißrusslands Diktator Lukaschenko hat ein beispielloses Schurkenstück veranstaltet. Ohne Rückendeckung aus Moskau hätte er das nie gewagt. Der Westen muss jetzt unbedingt Härte zeigen und die Freilassung des entführten Oppositionellen Protasewitsch erzwingen.

IMAGO / ITAR-TASS

Die Kaperung eines Verkehrsflugzeuges durch einen Staat ist ein beispielloser Akt in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Über viele Jahrhunderte hinweg wäre so etwas ein Kriegsgrund gewesen. Der amerikanische Präsident Thomas Jefferson schickte vor 200 Jahren eine Flotte von Kriegsschiffen vor die libysche Küste, um das wilde Treiben von Piraten, die im Auftrag des Paschas von Tripolis Handelsschiffe leerräumten, zu vernichten. Die Festnahme eines Oppositionellen mit dem Mittel der militärischen Kaperung eines Flugzeuges steht dazu aus nachvollziehbaren Gründen nicht im Verhältnis. Aber brandgefährlich ist Lukaschenkos Schurkenstück allemal. Die Maschine flog von einem Nato-Mitglied – Griechenland – in ein anderes – Litauen. An Bord befanden sich Bürger mehrerer westlicher Länder, darunter auch Amerikaner und Deutsche. Im Klartext: Eine Diktatur weitete ihr Unrechtsregime über seine Grenzen aus und bediente sich dabei der Mittel von Schwerkriminellen. Für einen Moment musste es jedem normalen Menschen den Atem verschlagen. Nur zwei Männern auf der Welt nicht: Wladimir Putin in Moskau und Alexander Lukaschenko in Minsk.

Ohne jede Hemmung führten sie das verhaftete Pärchen, vor allem aber den im Ausland lebenden oppositionellen Blogger Roman Protasewitsch, mit deutlichen Spuren von Misshandlungen der Öffentlichkeit zum Herauspressen eines „Geständnisses“ vor. Der Westen reagierte diesmal schnell. Der europäische Luftraum wurde für Fluggesellschaften aus Weißrussland gesperrt, die Landerechte in Westeuropa und den USA blockiert, die Botschafter des Landes einbestellt. Erledigt ist damit aber noch gar nichts. Jetzt muss die Freilassung der verschleppten Passagiere ganz oben auf der Agenda des Westens stehen.

Stellt sich die Frage, woher Putin und sein Domestik in Minsk gerade zur Zeit erster zarter Signale zwischen Moskau und Washington die Chuzpe für ihre schäbige Tat nahmen? Erst am Wochenende wurde ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Putin am 16. Juni in Genf bestätigt, kurz zuvor hatte Biden in der Frage von Sanktionen gegen die Pipeline Nordstream 2 Zeichen der Entspannung gesandt – es ist möglich, dass gerade dies in Moskau als Zeichen der Schwäche gedeutet wurde.

Umso mehr muss der Westen jetzt Einigkeit und Härte zeigen. Schon raunt es aus der deutschen Wirtschaft, Weißrussland sei ein wichtiger Partner als Holzexporteur. Doch wenn es um die Frage von Recht und Souveränität geht, darf so etwas keine Rolle spielen. Sonst müssen möglicherweise demnächst die Passagierlisten westlicher Fluggesellschaften vor Abflug den Geheimdiensten Russlands und Co vorgelegt werden – um dann darauf zu warten, welche Zwischenziele zur Landung vorgeschrieben werden, um unliebsame Passagiere von Bord zu holen.

Noch eines, worüber man sich schon lange nicht mehr wundert: Bei jedem noch so kleinsten Vorfall in den USA belagern Zehntausende unsere Innenstädte voller emotionaler Entrüstung. Doch die Moral ist wie immer geteilt – das Schicksal der Menschen in Russland und Weißrussland interessiert hier genauso wenig, wie die tragische Situation des aus der Luft geholten 26jährigen oppositionellen Weißrussen.

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