Tichys Einblick
Kein Anti-Salvini in Sicht

Kleine Fische und große Haie

Warum es plötzlich ein Potential in der italienischen Gesellschaft gegen Ex-Innenminister Salvini gibt? Weil seine linken Herausforderer allesamt gescheitert sind.

tefano Montesi - Corbis/Corbis via Getty Images

Sardinen schwimmen im Schwarm, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Der Gefährlichste im politischen Wasser Italiens heißt Matteo Salvini. Daher war es nur naheliegend, dass sich die Protestbewegung gegen den Lega-Chef so nannte. Die Aktion beschert der heimischen wie der internationalen Presse einen Befreiungsschlag. Gegen den Mann, der als „Capitano“ auf den Straßen gefeiert wird, schien kein Kraut gewachsen. Mit den kleinen Fischen hat der Hai endlich einen Herausforderer, den man als ernstzunehmenden Faktor der italienischen Politik darstellen kann.

Das ist zuerst einmal ein demütigendes Zeugnis für die etablierte Anti-Salvini-Politik Italiens. Denn wenn die Presse lieber auf eine alternativ-anarchische Protestbewegung setzt statt auf einen „Anti-Salvini“ in der Politik, dann heißt das schlicht: Es gibt auf dem politischen Parkett niemanden, der Salvini mit normalen Mitteln Herr wird. Die amorphe Sardinenmasse gilt gefährlicher als der Chef des Partito Democratico (PD), Nicola Zingaretti; gefährlicher als Ex-Premier Matteo Renzi, der sich mit seinem Projekt „Italia Viva“ von den sozialdemokratischen Genossen gelöst hat; und auch gefährlicher als Luigi Di Maio, Salvinis Ex-Koalitionspartner von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S).

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Will man nämlich den Grund verstehen, warum es plötzlich ein Potential in der italienischen Gesellschaft gegen den Ex-Innenminister gibt, dann deswegen, weil seine linken Herausforderer allesamt gescheitert sind. Der sozialdemokratische PD und die basislinken Sterne arbeiten seit September zusammen, womit ein Zustand eintritt, der für die Linken stets eine Nagelprobe war: Regierungsverantwortung. Der Zustand der deutschen PD-Schwester, der SPD, zeigt dies ganz deutlich auf. Nach Jahren der Regierung sehnt sich die Basis nach der wohligen sozialistischen Ideologie zurück. Sie will Opposition sein, revolutionär, nicht dem Establishement angehören, sondern der Avantgarde.

Der PD hat seinen linken Nimbus in den 2000er und den 2010er Jahren eingebüßt. Der M5S war eine Generationenablösung, ähnlich wie die Grünen ohne Abnabelung von der Sozialdemokratie kaum zu verstehen sind. Der M5S konnte ein Jahrzehnt lang den Mythos bedienen, es gäbe eine neue, eine reformierte Linke, eine, die sich gegen die korrupten Eliten wendet. Das gelang auch in der Regierungsverantwortung, solange sie den PD als Erzrivalen bekämpfte. Die Allianz mit den Sozialdemokraten, nicht nur in Rom, sondern auch auf Wahllisten wie in Umbrien (und im Januar in der Emilia-Romagna) hat eine Illusion zerstört, der viele Wähler von der Mitte bis zur Linken teilte.

Die Sterne waren mal eine junge, eine dynamische Partei. Ein Jahrzehnt später zeigt sich, dass sie das kurze Liebäugeln mit der Macht als Dilettanten demaskiert hat. Symptomatisch steht dafür bis heute das Mandat der römischen Bürgermeisterin Virginia Raggia von der M5S. Als Hoffnungsträgerin trat sie für Rom an, als Verwalterin der Missstände führte sie ihr Mandat, mittlerweile ist sie komplett entzaubert. Vieles war gut gemeint. Noch mehr war schlecht gemacht.

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Der Filz des PD und die Enttäuschung über die Sterne hat im linksliberalen Spektrum ein breites Vakuum hinterlassen. Angesichts der drohenden Niederlage in der Emilia-Romagna, der Heimat der italienischen Linken, fühlen sich viele Wähler ohnmächtig. Der Beginn der Sardinen als Protestbewegung erinnert stark an den Beginn des M5S, der anfangs mit dem sogenannten V-Day ein Event für enttäuschte Anhänger aus der linken Mitte ins Leben rief. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass der M5S von Anfang an breit aufgestellt war und die Probleme Italiens nicht an einer Person oder einer Partei, sondern am politischen System selbst festmachte. Damit konnten sie auch im moderaten bzw. liberalen Lager punkten, nämlich bei Wählern, die das Hauptproblem Italiens in seinem „Kastenwesen“ sahen.

Die Sardinen sind anders. Salvini ist ihr betontes Feindbild. Während die Sterne überdies mit Beppe Grillo von Anfang an polemisierten und auch zum schroffen Umgang standen, schlagen die Sardinen einen moralistischeren Ton an. Mattia Santori, einer der Väter der Sardinen fordert eine andere Sprache in der Politik. Zitat: „Wir sind nicht mehr die Leute aus den 1990er-Jahren. Vor euch steht eine Generation, die Lügen von der Wahrheit unterscheiden kann.“ Das ist ein starkes Stück. Denn mit der Behauptung, dass alle Italiener vor seiner eigenen politischen Mündigkeit im Grunde dumm waren, ist Santori in etwa auf dem Niveau der Presse anzusiedeln, die lieber selbst entscheiden würde, wer an den Wahlurnen zu gewinnen hat, statt diese gefährliche Entscheidung dem Wahlvolk zu überlassen. Das mag in Anti-Salvini-Kreisen gut ankommen, wo man sowieso jeden Lega-Wähler für einen wutbürgerlichen Ignoranten hält, aber mehrheitsfähig ist eine solche Position nicht.

Kein Anti-Salvini in Sicht
In der Tat: Santoris Truppe hat es geschafft, in Bologna Salvini auszustechen. Nun ist aber Bologna in etwa das Prenzlauer Berg Italiens, und dort mehr „Sardinen“ als Salvini-Anhänger zu mobilisieren, keine Kunst. Zwar bildet sich das Phänomen auch mittlerweile in anderen Städten ab – Salvini will auftreten, die Sardinen melden das, und anschließend sollen mehr Sardinen als Lega-Anhänger die Stärke der Bewegung demonstrieren – aber in ihrer Freude um einen echten Salvini-Antipoden übersehen die Medien gleich mehrere Faktoren. Erstens hat Salvini ein hervorragendes Social Media Team, das bereits sehr früh mit einer Gegenbewegung „Gattini con Salvini“ („Kätzchen für Salvini“) ins Leben rief, auf deren Logo eine Katze eine Sardine verspeist; das Kräfteringen im Internet ist also mitnichten eine reine Sardinenangelegenheit. Zweitens steckt im Sardinenaufstand eine Endzeitstimmung, um die rote Emilia-Romagna noch im letzten Moment zu retten – es ist nicht gesichert, ob nach einer möglichen Niederlage des linken Lagers das Experiment noch lange hält.

Zuletzt kommt der politische Faktor und die Kultur der Mehrheitsgesellschaft hinzu. Die Sardinen formieren sich aus Anhängern des linken Lagers. Sie sind nicht gesellschaftsübergreifend. Es gibt tatsächlich Studien, die davon ausgehen, dass eine „Sardinenpartei“ in Italien zehn Prozent der Stimmen erreichen könnte. Sie werden aber nur vom linken Lager, insbesondere vom M5S abgezogen. Die Proteste richten sich zwar gegen Salvini, aber als Partei würden die Sardinen das eigene Lager eher schwächen. Trotz des Bolognesischen Krieges liegt Salvini in italienischen Umfragen bei 35 Prozent, in der Emilia Romagna bei 33 Prozent. Insgesamt kommt das rechte Lager derzeit in der Emilia-Romagna auf 51 Prozent der Stimmen. An diesen Zahlen kann keine Sardine bisher rütteln. Mancher kleiner Fisch endet am Ende doch nur als Fischfutter für die großen, grinsenden Salvini-Haie.

Marco Gallina schreibt auf www.marcogallina.de

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