Tichys Einblick
„La Quarta Repubblica“ berichtet

Italienische Mediziner schlagen Alarm: Lange besiegte Krankheiten wieder da

Ein italienischer Fernsehbericht aus einer Ambulanz für Migranten in der Hafenstadt Bari: Eine frustrierte Ärztin erzählt von Krankheiten, die nach Europa zurückkehren - von Desinteresse und Unwissen nicht nur der Migranten, sondern auch der Öffentlichkeit und Politik.

Screenprint: „La Quarta Repubblica“

Italiens Küstenwache, die Guardia Costiera, rettet seit Jahren illegale Migranten im Mittelmeer vor dem Ertrinken und ist stets in Alarmbereitschaft. Das sind allerdings genauso die italienischen Ärzte in den Hotspots, wo die ankommenden Migranten zum ersten Mal den Fuß auf europäischen Boden setzen. Und das tun sie nicht nur in Sizilien (zu dem auch Lampedusa gehört). Die Fernsehsendung „La Quarta Repubblica“, zu deutsch: die Vierte Republik, zoomte kürzlich die Hafenstadt Bari näher heran. Der Reporter des Beitrags, Francesco Fossa, ist nicht für Effekthascherei oder Sensationsmache bekannt, im Gegenteil, sein Bericht kommt sehr ausgewogen und ruhig daher – und ist doch sehr beunruhigend.

Fossa geht mitten hinein ins Auffanglager der Hafenstadt Bari, hinein ins medizinische Zentrum, einer Art Ambulanz, wo die Migranten erst einmal untersucht und registriert werden. Rede und Antwort steht die medizinische Leitung im Aufnahmezentrum, Mariarosaria Ferrante. Unter welchen Konditionen kommen die Migranten denn an, wenn sie von ihren Booten oder den Segelschiffen wie „dem Ocean Viking steigen“, möchte der Journalist wissen. Unter ziemlich prekären Umständen, was „Hygiene“ und Gesundheit betrifft, würden die illegalen Migranten in Bari ankommen, berichtet Ferrante. Die medizinische Abteilung und die behandelnden Ärzte stellen über jeden Untersuchten eine persönliche Akte mit den Daten zusammen. In dieser „Patientenakte“ würden natürlich auch die Infektionskrankheiten notiert, auf die man achten müsse, und die mit den Migranten nun in Italien angekommen seien.

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Zum Beispiel „Scabbia“, die Krätze, wirft fragend der Reporter ein. Die Ärztin bestätigt dies, richtig, Krätze, aber dann natürlich auch die verschiedenen Arten von Tuberkulose. Die Ärztin redet zwar offen, aber man merkt doch, dass ihr das Thema unangenehm (oder sehr heikel?) ist. Jedenfalls klärt Doktor Mariarosaria Ferrante gut auf. Ja, Arten von Tuberkulosen, die man seit „Jahrzehnten“ in Italien nicht mehr gesehen habe, mit denen man einfach nicht mehr konfrontiert wurde. Eine Tuberkulose, die sich in den Knochen festsetze, aber auch diffus in anderen Organen. Von der HIV-Häufigkeit wolle sie gar nicht erst reden.

Speziell in den vergangenen elf Jahren seien in dieser Ambulanz über 34.000 Migranten auf ihrer „Durchreise“ untersucht worden. Die erfassten Daten jedoch, erzählt der überraschte Reporter von seinen Recherchen, würden diese Räumlichkeiten nie verlassen. Es bestehe keine Infrastruktur und kein ausgeklügeltes Informationsnetz – nicht in Italien, nicht in der EU. Und, so kann der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit hinzufügen,  kommen die Migranten nach Deutschland oder anderswo hin, startet das ganze medizinische Prozedere von vorn. Sprich: die festgestellte Tuberkulose, welchen Typs auch immer, wird weder behandelt noch weiter verfolgt, weil es auch noch gar keine Mittel und Behandlungsformen dafür gibt (und wenn, vielleicht auch viel zu teuer?).

Die Ärztin beschreibt nun Dinge, die einem die Haare zu Berge stehen lassen: „Es besteht kein Netzwerk, und somit bleiben wir viele kleine ambulante Stationen, so wie hier …“ Es scheint noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen zu sein, so die Ärztin Ferrante, welch fundamental wichtige Arbeit hier geleistet würde. Nun wirkt sie fast schon resigniert: Denn hier würden wichtige Daten und Werte zusammengefasst, die auch auf mögliche Epidemien hinweisen können, und die es auch schon gegeben hätte.

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Rund die Hälfte der Migranten verlasse das Zentrum mit der Krankenerfassung, noch bevor das Asylverfahren zu einem Ergebnis komme. Und damit werden auch etwaige medizinische Behandlungen einfach abgebrochen. Der Migrant zieht weiter und mit ihm als Träger eben auch die Diagnose und die Krankheit. Die Daten und Fakten, Blutwerte und Anamnese stehen zwar in den Akten, nur, stimmen diese später auch noch mit der Identität und den Namen des Infizierten überein?

Die italienische Ärztin lässt nun den Zeigefinger kreisen, und schildert das Problem: „Die ganze Arbeit verliert hier an Wert, der Kranke zieht weiter, und mit ihm die Infektion. In Italien, in Europa, und dadurch wird auch die Tuberkulose verbreitet …“. Doktor Ferrantes Vorschläge, Ideen und Brandbriefe blieben bisher von der politischen Ebene ungehört.

Wie sieht es mit HIV aus? Die Ärztin meint, nicht jeder Migrant lasse sich zu einem Bluttest bewegen, der sei freiwillig. Insgesamt, schätzt die Ärztin, von denen die „gescreent“ wurden, wären es fünf Prozent, die als Träger von HIV erfasst wurden – mit leiser Stimme fügt sie hinzu, dass jedoch alle wüssten, dass die Zahlen auf dem afrikanischen Kontinent ungenau, aber statistisch doch über den gescreenten fünf Prozent liegen.

Skurril auch das Denken vieler afrikanischen Zuwanderer: sie wollen offenbar deshalb kein Blut abgeben, weil sie annehmen, dass es anschließend weiter verkauft werde, so Mariarosaria Ferrante. Gegen das Unwissen der Migranten, das wohl ziemlich groß sei, käme wohl keiner an, spricht Reporter Fossa seinen Text zum Beitrag. Es herrscht ein regelrechter Informationsnotstand über solche Fälle.

Das letzte Wort aber hat die Expertin, und das könnte harscher kaum sein: „Es ist klar, dass wir irgendwann müde werden, immer und immer wieder das gleiche zu wiederholen, aber beim Gegenüber scheint kein Interesse vorhanden zu sein …“, und damit meint sie sicher nicht nur die Migranten. Die Gesundheit der Migranten, sei schließlich auch die unsere. Man möchte hinzufügen: ihre Krankheiten auch.

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