Tichys Einblick
Sondierungsgespräche in Rom

Italien: Neue Regierung von Draghi mit Salvinis Lega?

Das Gespräch zwischen dem designierten Ministerpräsidenten Mario Draghi und Lega-Chef Matteo Salvini verlief wohl überraschend gut. In der Frage der Migrationspolitik scheint Draghi näher bei Salvini als bei der bislang regierenden PD.

Matteo Salvini nach seinem Gespräch mit Mario Draghi am 6. Februar

IMAGO / Pacific Press Agency

Ausgerechnet Mario Draghi! Der Mann, der als EZB-Präsident mit Nullzinspolitik die Dauerdruckbeatmung des Euro einführte, könnte Italiens Ministerpräsident werden. In Deutschland war der 73-Jährige zuletzt Gegenstand von Empörung, als er aus den Händen Frank-Walter Steinmeiers das Bundesverdienstkreuz erhielt. Etwa dafür, dass er die Ersparnisse und Renten der Deutschen schrumpfen ließ?

Der gebürtige Römer und Absolvent des Jesuitenkollegs sondiert gerade die Möglichkeiten der Regierungsbildung. Viele Italiener vermuten hinter der Personalie eine Order der EU, zu viel hänge an der neuen italienischen Regierungsausrichtung, die man Giuseppe Conte, der zum ‚Giuseppi‘ geschrumpft war, nicht mehr zutraute.

Neuwahlen? Bloß nicht, heißt es in der EU-Elite, ja bitte, und das subito, dagegen bei vielen Italienern.

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Auch der Oppositionsführer und Chef der rechtskonservativen Lega, Matteo Salvini, suchte die Gespräche mit Draghi. Salvini, der ehemalige Innenminister, der die erste Conte-Regierung platzen ließ, sagte, er sei sich der Verantwortung voll bewusst und man stelle sich dieser im Sinne Italiens. Außerdem wiederholte Salvini immer wieder, dass die Lega längst den Beweis erbracht hätte, dass es ihr nicht nur um das Regieren gehe. Schließlich sei die Lega vor zwei Jahren, als die Fünfsterne zu oft Projekte torpedierten, aus der Koalitionsregierung ausgetreten, und die Minister hätten auf ihre Amtssessel verzichtet. Allerdings hatte Matteo Salvini bestimmt schon damals auf Neuwahlen spekuliert. Bis heute sind seine Umfragewerte stabil geblieben.

Nun aber wird es den Sozialisten und selbst ernannten Demokraten der PD um Nicolà Zingaretti wohl etwas mulmig. Denn das Gespräch zwischen Draghi und Salvini soll nicht komplett unharmonisch verlaufen sein, im Gegenteil.

Vor Beginn der Konsultationen noch war Matteo Salvinis Position, auch angesichts seiner politischen Freundin Giorgia Meloni, die sich klar gegen eine Draghi-Regierung ausgesprochen hatte, ziemlich ungewiss. Salvini hörte sich dann nach den Sondierungsgesprächen aber weit offener und flexibler an. Klar, rund 48 Prozent aller Italiener würden ihre Stimme einem Mitterechtsbündnis mit Salvini geben, und das weiß auch ein Stratege wie Draghi. Politik komplett vorbei an den Bürgern zu machen, wird so auch nicht mehr gehen.

Matteo Salvini sagte: „Wir fühlten beide die besondere Lage der Nation, und finden, dass das Land am Beginn eines interessanten Weges stehen kann. Nächste Woche werden wir dann ganz klar eine Entscheidung treffen, und diese auch erklären…“. Salvini meinte weiterhin auch, man stelle keine Bedingungen hinsichtlich Personen, Ideen oder Bewegungen. Es sei ein sensitiver Moment, in dem das Wohl des Landes über persönliche und parteipolitische Interessen hinausgehen müsse, so der Legachef.

Ja zu Europa, aber erst ist Italien dran

Und in die Mikrophone und Handys der Journalisten, sowie zum News-Radiosender Radio 24 Milano sprach Salvini, auch um den Vorwurf von Zingaretti von der PD zu entkräften: „Natürlich sind ich und die Lega pro Europa. Jedoch muss auch klar sein, dass unser Land wieder schnell auf die Beine kommt, die Unternehmen und Selbstständigen müssen wieder durchstarten… “

Mario Draghi, so Salvini, habe sich alles angehört, und wirkte fit, aufmerksam, und proaktiv, wie Salvini die Atmosphäre beschrieb. Anscheinend waren nach den Konsultationen alle recht zufrieden. Von einer halben Stunde anregender Diskussion war die Rede.

Beide Seiten waren sich einig darüber, dass das Beste für Italien möglich gemacht werden müsse, mit dem Recovery Fund, der richtig eingesetzt werden müsse, und nicht nur in Form eines ‚Trinkgeldes‘. In den Augen Salvinis habe die bisherige Regierung das Chaos im ganzen Land befördert.

Auch das heiße Migrationsthema angesprochen

Auch das heikle Thema der Migration, die auf dem Meer auch während der Pandemie weiter gehe, nun auch wieder mit den Schiffen der NGO-Aktivisten, wurde angesprochen. Ein Thema, das die Italiener umtreibt.

Und schon schrillen bei der PD, beziehungsweise den ‚Dems‘, in Anlehnung von Bidens US-Demokraten, die Alarmglocken. Offenbar sehen die europäischen Sozialisten und Demokraten ihr „Baby“ in Gefahr, wenn doch plötzlich die Migration wieder gestoppt würde. Momentan stehen die Hafentore seit Salvinis Rücktritt als Innenminister ja quasi offen. Die Anlandungen nahmen auch im Coronajahr zu.

So war es dann auch der PD-Vorsitzende Zingaretti, der ganz besorgt kund tat: „Draghi ist auf Salvinis Linie, was die Migration betrifft…“, und dies sei mehr als nur eine bloße Vermutung.

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Und so war es dann auch kein Zufall, dass die Aktivisten und Gesellschaftsläuterer der NGO „Mediterranea Saving Humans“ das Schiff Mare Jonio in See stechen ließen, und das unter Ankündigung, mit dem Hashtag #whateverittakes, einer frivolen Anspielung auf die berühmte Aussage Draghis von 2012 – den Euro zu retten, ‚was auch immer dafür notwendig sei‘.

Die PD und ihre Verantwortlichen fragen sich nämlich, ob die Politik, die Salvinis Nachfolgerin, Ministerin Luciana Lamorgese (parteilos), im letzten Monat verabschiedet hat, von der neuen Regierung wieder aufgehoben wird. Offene Häfen, eine schnellere Einbürgerung und andere Wohltaten für illegale Migranten.

Draghi, so heißt es nun fast überall im Dunstfeld der Sozialisten und Kommunisten unter den Dems, sei näher an der Lega von Salvini als an der PD, wie vertraute und verifizierte qualifizierte Quellen der Demokratischen Partei wisperten. In der heiklen Frage der Einwanderung werde wohl Zingaretti und nicht Salvini, „ein paar harte Bissen schlucken müssen.“ Matteo Salvini wird sich schon dafür einsetzen, dass dieses Thema im Falle seiner Regierungsbeteiligung nicht allzu weich gekocht wird.