Tichys Einblick
Maßnahme für einen heißen Sommer

Bootslandungen nehmen um 300 Prozent zu: Italien verhängt Ausnahmezustand

Italien meldet Höchststände bei den illegalen Einreisen von Migranten. Mit dem Ausnahmezustand will man der Situation für den Moment Herr werden – und angeblich für mehr Abschiebungen sorgen. Doch wie genau, wird nicht gesagt.

IMAGO / ZUMA Wire

Allein am Wochenende erreichten 2.000 Bootsmigranten den Hotspot Lampedusa, eine Sizilien vorgelagerte Insel, die 190 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt ist. Insgesamt ist sogar von mehr als 3.000 Ankünften in drei Tagen die Rede. Das Aufnahmelager auf Lampedusa ist damit erneut überfüllt: Statt 400 Menschen wie eigentlich vorgesehen sind nun 1.800 untergebracht. Vor der Küste Siziliens fing die italienische Küstenwache ein überfülltes Fischerboot mit etwa 800 Migranten an Bord ab und leitete es zum Hafen Catania weiter. In einem anderen Boot saßen 400 Migranten, das am Ostersonntag im zentralen Mittelmeer trieb und im libyschen Tobruk gestartet war.

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Am Ostermontag allein trafen 26 Boote mit insgesamt 974 Menschen auf Lampedusa ein. Am Samstag seien es 17 Boote mit 679 Menschen gewesen, am Sonntag 20 Boote mit 741 Personen. Ein Teil der Migranten wurde am Montag demnach schon nach Sizilien gebracht. Im Hafen von Catania wurden zwei große Zelte aufgestellt, um 700 Migranten zu beherbergen. Das NGO-Schiff „Resqship“ berichtet derweil von einer echten (?) Seenotrettung mit 22 Überlebenden und zwei Toten. 20 Personen gelten als vermisst. Am Sonntagvormittag wurde ein Boot mit 38 Insassen von der italienischen Küstenwache gerettet. Die „Geretteten“ stammten laut dem Wiener Standard aus Cote d’Ivoire, Guinea, Kamerun und Nigeria. Daneben befand sich die Leiche eines Nigerianers an Bord. Das Boot war im tunesischen Sfax gestartet.

Die italienische Regierung hat wegen hoher Migrantenzahlen einen landesweiten Ausnahmezustand für sechs Monate ausgerufen. Dieses Mittel kam bisher fast nur bei außergewöhnlichen Wetterbedingungen zum Einsatz, natürlich auch in der Corona-Zeit. Nun sollen dadurch zunächst fünf Millionen Euro für die von den Migrationsströmen belasteten Landesteile im Süden freigemacht werden, wie die italienische Nachrichenagentur Ansa berichtet.

Was mit dem Geld geschehen soll, darüber streiten sich die Auguren noch: Die einen sagen, es würden die Aufnahmestrukturen allgemein ausgebaut. Tatsächlich erlaubt der Ausnahmezustand die raschere Registrierung und Verteilung der Migranten auf dem gesamten Staatsgebiet. Die Gelder könnten für den Bau von Aufnahmezentren draufgehen. Zum anderen sollen aber die Strukturen für die Abschiebung von illegal eingereisten Migranten gestärkt werden, wie Il Giornale berichtet. Wie die „Strukturen“ gestärkt werden sollen, das geht nicht aus den Ankündigungen hervor.

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Ursprünglich hatte Innenminister Matteo Piantedosi um die Maßnahme gebeten. Der Minister für Bürgerschutz und Meeresangelegenheiten Nello Musumeci, der den Vorschlag formal eingebracht hat, sagte dazu, man sei sich der Ernsthaftigkeit eines Phänomens bewusst, das derzeit „um 300 % zunimmt“. Gemeint sind die illegalen Landungen an Italiens Küsten, von denen laut Innenministerium bereits 31.000 Migranten in diesem Jahr registriert wurden. Das entspricht einer Vervierfachung gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Musumeci sagte aber auch: „Um es klar zu sagen: Wir lösen das Problem nicht, es kann nur durch ein bewusstes und verantwortungsvolles Eingreifen der Europäischen Union gelöst werden.“ Minister Musumeci stammt ja aus Sizilien und damit aus einer betroffenen Region.

Auch der Präsident der nicht weniger von den Migrantenflüssen betroffenen Region Kalabrien, Roberto Occhiuto, lobte die „unverzichtbare“, vorausschauende Maßnahme der Regierung. In den Sommermonaten werde sich das Bild verschlechtern. „Mit der normalen Verwaltung“ seien derartige Zustände oft nicht zu bewältigen. Occhiuto fordert von den EU-Partnern einen „konkreten Beitrag zur solidarischen Bewältigung der Migration, vor allem durch neue und wirksame Mittel zur Seenotrettung und zur gleichzeitigen Umverteilung der Migranten zwischen den verschiedenen EU-Ländern“.

Wenn das die Linie der Regierung in Rom wäre, dann würde es Italien zum Durchlassventil der EU machen, also vielleicht ein Deut Kontrolle auf ansonsten unveränderte Migrationsströme ausüben. Auch Meloni hat nicht ausgeschlossen, dass es auch um Umverteilung gehen könnte bei der Lösung von Italiens Problemen. Das ist natürlich die Linie der südeuropäischen Erstankunftsstaaten. Die Forderung nach einer Vergemeinschaftung des Problems könnte auch ein Antrag auf seine Lösung sein.

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Doch bei den derzeitigen Zuständen hat noch nicht einmal die deutsche Politik die Möglichkeit, hier ein zusätzliches Signal für mehr Aufnahmen zu setzen. Die deutschen Asylzahlen vom März setzen den Trend der ersten beiden Monate fort. Laut Bamf wurden im dritten Monat des Jahres 25.175 Erstanträge gestellt, was einer Steigerung gegenüber dem Vormonat um 4,8 Prozent entspricht. Im Vergleich zum Vorjahresmärz stiegen die Anträge damit sogar um knapp 80 Prozent an. Diese Steigerungsrate gilt ohnehin für das erste Quartal (Januar bis März) insgesamt. Der März hat eine leichte Februardelle wieder nach oben hin ausgebügelt: Die Zahlen steigen wieder an.

Nun könnte man sagen, das ist ja noch gar nichts im Vergleich mit 300 Prozent Steigerung wie an den süditalienischen Küsten. In der Tat. Auf Deutschland könnten diesen Sommer noch andere Zeiten zukommen. Doch auch wenn man die aktuelle Entwicklung schlicht fortschreibt, wären wir am Jahresende bei knapp 400.000 Erstasylanträgen. Das wäre der höchste Stand in allen Jahren seit 2016.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland ohnehin vorne, was Asylbewerber angeht. Es folgen Spanien, Frankreich und Italien mit jeweils weniger als halb so vielen Anträgen. Insgesamt lebten in Deutschland zum Jahreswechsel drei Millionen „Schutzsuchende“, wovon eine Million Ukrainer waren. Die Anerkennungsquote aller Asylverfahren lag bei 51,1 Prozent, Syrer und Afghanen werden deutlich häufiger anerkannt, andere Staatsangehörige offenbar seltener, etwa türkische Staatsbürger nur mit 15,7 Prozent.

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