Tichys Einblick
Putsch in Niger

In Westafrika entsteht die 2. Front des Ukraine-Krieges

Die Ursachen des Putschs in Niger reichen vom französischen Imperialismus bis hin zur Lebensmittelkrise. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Niger ein Mosaikstein in der sich verändernden Weltordnung ist – zu Ungunsten Europas.

Unterstützer des Putsches legen am 30. Juli Feuer an der Botschaft Frankreichs in Niamey.

IMAGO / ABACAPRESS
Der Putsch in Niger erschüttert die fragile post-koloniale Herrschaft Frankreichs über den nordwestafrikanischen Raum. Offiziell hatte Frankreich bereits in der Nachkriegszeit seine Herrschaft in der Region abgewickelt. Doch in vielen Staaten herrschte Paris mal sichtbarer, mal unsichtbarer. Mit dem CFA-Franc hat das französische Mutterland seine längst entlassenen Töchter an sich gebunden – und damit auch an den europäischen Wirtschaftsraum.

Was geschieht, wenn eine Nation in der Region versucht, aus dieser mütterlichen Bindung zu fliehen, hat Frankreich bereits in der Vergangenheit gezeigt. Es war das Libyen Muammar al-Gaddafis, das aufgrund seines Ölreichtums versuchte, eine durch Ressourcen gedeckte Alternativwährung aufzubauen. Gaddafis panafrikanischen Visionen sind bekannt. Um die Nachbarstaaten besser an sich zu binden und aus der französischen Umarmung zu lösen, hatte der Diktator einen Hort von über 143 Tonnen Gold angelegt. Darauf sollte ein „panafrikanischer Dinar“ fußen. So schrieb es Sidney Blumenthal, damals Berater der US-Außenministerin Hillary Clinton, in einer Mail vom 2. April 2011.

Über die Reaktion in Paris schreibt Blumenthal: „Französische Geheimdienstoffiziere entdeckten diesen Plan kurz nach Beginn der anhaltenden Rebellion und er war einer der Faktoren, die die Entscheidung von Präsident Nicolas Sarkozy beeinflussten, Frankreich zum Angriff auf Libyen zu verpflichten.“ Der Rest der Geschichte ist bekannt. Unter französisch-britischer Agitation trieb die Nato eine Intervention voran. Italien, das Libyen seit zwei Jahrhunderten als seine Einflusssphäre betrachtete, wurde damals an die Leine genommen. Italiens damaliger Premierminister Silvio Berlusconi verlor mit Gaddafi einen wichtigen Verbündeten, der Ressourcen an Italien verkaufte, italienischen Firmen Vorzugsrechte gab und im Gegenzug Libyen dafür bezahlte, die Migration im Mittelmeer zu stoppen.

Es ist nur eines der bekanntesten Beispiele französisch-imperialistischer Politik. Die Zeit der direkt kontrollierten Kolonien mag vorbei sein, aber subtilere, nicht weniger effiziente Instrumente stehen mit Währungen und Großkonzernen zur Verfügung. Dass Frankreich sich – wie im italienischen Libyen-Beispiel – auch gegen vermeintliche Partner durchsetzt und souverän seine Interessen verfolgt, hat dazu geführt, dass afrikanische wie europäische Partner diese Politik mit immer mehr Skepsis verfolgen. Es sollte nicht wundern, dass in Rom einerseits die Ausbreitung islamistischer Ideologie und die Erosion westlicher Dominanz in der Region mit Sorge registriert wird; andererseits auch eine gewisse Schadenfreude darüber herrschen dürfte, dass Frankreich die Quittung für sein arrogantes Verhalten vor Ort bekommen hat.

Die Vorgänge in Niger sind damit zum einen ein Beweis für die Erosion der französischen Dominanz. Nach Mali und Burkina Faso bricht auch Niger weg, das bis dato als stabiler Anker französisch-westlicher Autorität galt. Man sollte dabei tunlichst vermeiden, dies nur als französische Angelegenheit zu betrachten. Frankreich wird am deutlichsten geschwächt, aber trotz der fraglichen Entsendung von Bundeswehrsoldaten in diese Gebiete kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass die von nicht-afrikanischen Konzernen ausgebeuteten Ressourcen letztlich in den Westen gehen und der gesamteuropäische Markt davon profitiert. Solange der deutsche Strommarkt von französischen Importen aus Kernenergie abhängig ist, und Uranzufuhren vielleicht nicht ausfallen, aber umdisponiert werden müssen und damit teurer werden, hat eine Verteuerung des Atomstroms zuletzt auch eine Wirkung auf die deutsche Wirtschaft (und nicht nur diese).

Sieht man auf die Ursachen des Umsturzes, so ist die weltweite Wirtschaftskrise, die eine Inflationskrise, Energiekrise und Lebensmittelkrise ist, einer der entscheidenden Faktoren. Wenn Brötchen beim Bäcker deutlich über einen Euro kosten und an den Zapfsäulen Geringverdiener bangen, wie viele Monate sie noch über die Runden kommen, dann sollte man sich ausmalen können, was das in Ländern der Dritten Welt zu bedeuten hat. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt, die unter den Exportproblemen ukrainischen Korns leiden.

Niger gehört zu einem der ärmsten Länder der Welt. Ein Artikel von Al-Jazeera aus dem März des aktuellen Jahres mag das verdeutlichen:

„Ein Liter Speiseöl, der früher 700 CFA-Francs (1,13 $) kostete, wird heute für 1.050 CFA (1,70 $) gehandelt, berichtet ein Händler. Aminu Maman, der Salz, Kuh-Erbsen und getrocknete Baobab-Früchte verkauft, sagt, dass die Nachfrage nach seinen Produkten ebenfalls drastisch zurückgegangen ist. ‚Fast alles ist teurer geworden.‘
[…]
Ein anderer Händler, Shamsudin Harouna, sagt, dass die lokal angebauten Grundnahrungsmittel wie Mais und Sorghum ‚selbst zur Zeit der Ernte immer teurer werden‘. Neben einem kniehohen Eimer mit Erdnüssen stehend, sagt Harouna, dass der Preis für drei Kilogramm des lokal angebauten Grundnahrungsmittels von 1.000 im letzten Jahr auf 1.300 CFA (2,10 $) gestiegen ist.“

Ähnlich wie bei der Energiekrise ist auch bei der Lebensmittelkrise der Ukraine-Krieg nicht die Ursache. Er ist aber der Faktor, der aus einer hochangespannten Situation eine Eskalation macht. Beim Stichwort Ukraine ist auch der Aspekt der in Afrika agierenden Wagner-Gruppe nicht fern. Beim russischen Faktor in Nordwestafrika laufen die Fronten dabei nicht so klar, wie man das vielleicht denken mag. Bezeichnendes Beispiel: Staatspräsident Emmanuel Macron hat in der Vergangenheit in Libyen mit General Haftar zusammengearbeitet, dem Gegenspieler der vom Westen anerkannten libyschen Regierung und zudem der Ansprechpartner Wladimir Putins vor Ort.

Auf ähnliche Weise muss man die Situation Algeriens betrachten. Algerien gilt nicht zu Unrecht als ein Verbündeter Moskaus. Die guten Verbindungen reichen in die Zeit des Algerischen Unabhängigkeitskrieges zurück, als die Sowjetunion Algerien unterstützte. Nicht nur aufgrund der kolonialen Vergangenheit und der blutigen Loslösung gilt Algerien als ausgewiesen frankreichfeindlich. Auch die aktuelle, islamisch motivierte Regierung sieht ihre Verbündeten eher in Burkina Faso und Mali.

Obwohl Algerien einer militärischen Intervention der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS entschieden widersprochen hat und sogar ankündigte, bei einer solchen Eskalation selbst aktiv zu werden, dürfte man auch in Algier den Putsch im Nachbarland Niger mit gemischten Gefühlen wahrgenommen haben. Denn mit dem Umschwung ist ein westafrikanisches Großprojekt unwahrscheinlicher denn je geworden: eine Pipeline, die das ressourcenstarke Nigeria mit Niger und Algerien verbindet, um den Schmierstoff der Weltwirtschaft anschließend nach Europa weiterzuleiten. In Moskau dürfte man die Vereitelung dieses Projekts mit Wohlwollen wahrnehmen, Algerien dagegen gehen profitable Zukunftsaussichten verloren.

Nichtsdestotrotz kann der Konflikt in Westafrika nicht anders als die Öffnung einer zweiten Front im Ukraine-Krieg bewertet werden. Denn auch der Ukraine-Krieg ist letztlich nur ein Spielfeld des globalen Wirtschaftskrieges zwischen den USA und der EU einerseits, sowie China und Russland andererseits. Migranten als Instrument hybrider Kriegsführung, die Aushungerung durch Lebensmittelembargos und der Sturz von Verbündeten des rivalisierenden Blocks sind bewährte Methoden.

Allerdings gehört auch das zu dem komplexen Bild: Ebenso, wie europäische Partner in der Region divergierende Interessen haben, so gibt es auch im chinesisch-russischen Block in der Afrika-Politik entscheidende Bruchstellen. Das alles formt einen Gordischen Knoten – ein Knoten, der einen Flächenbrand auslösen könnte, sollte er mit einem Schlag gelöst werden.

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