Tichys Einblick
Exklusives Sozialprogramm angekündigt

Göteborg: Gemeinderat will Migranten in wohlhabenden Vierteln ansiedeln

In Österreich diskutiert sie, in Dänemark handelt sie, in Schweden beginnt sie neue Experimente: Die Sozialdemokratie ist eines der wandelbarsten Systeme unter der Sonne, kommt derzeit allerdings in besondere Nöte. Denn zwei Prinzipien passen nicht zusammen: der Sozialstaat und die ungehinderte Zuwanderung per Asylantrag.

Auf einer Pressekonferenz am 28.10.2022 stellten Karin Plejel (MdB), Jonas Attenius (S) und Daniel Bernmar (V) das neue rot-grüne Bündnis vor, das Göteborg regieren wird.

IMAGO / TT

Die Sozialdemokratie ist schon fast europaweit in Bewegung. Kein Wunder, haben sich doch viele S-Parteien in den letzten Jahren in eine Lage manövriert, die fast hoffnungslos scheint. Zwei Grundannahmen (Grundversprechen?) der Parteienfamilie preschen derzeit frontal aufeinander zu: Die Sozialstaatsidee zum einen, die Vorliebe für ungehinderte Zuwanderung zum anderen.

Das wird besonders deutlich in Österreich, wo die stark wachsende illegale Zuwanderung via Asyl der FPÖ eine perfekte Vorlage bietet, da auch die konservative ÖVP an der Regierung bisher keine Ordnung ins Chaos bringen konnte. Sogar linke Vertreter der österreichischen Sozialdemokratie raten da zu SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil als Kanzlerkandidat für die nächsten Wahlen, die allerdings noch etwas hin sind. Das würde bedeuten: Man setzt die migrations-indolente Joy Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin ab, begütert sie mit einem Vizeparlamentspräsidentinnensitz und setzt stattdessen den Burgenländer Doskozil ein, der sozialdemokratische Politik im Innern mit sicheren Grenzen zusammendenken könnte, so seine Anhänger. Rendi-Wagner gab nun im Interview mit der Kronenzeitung zu, dass sie Doskozil nicht zur Zusammenarbeit „zwingen“ könne.

In Skandinavien sind diese Entwicklungen im Parteiensystem schon weiter fortgeschritten. Zumal Dänemark schreitet auf dem einmal gewählten Kurs voran und baut beispielsweise seine teils zu Ghettos verkommenen Vorstädte um. Plattenbauten werden teils abgerissen, teils saniert, um eine bessere Durchmischung zu erreichen. Nur noch 30 Prozent Bewohner nicht-westlicher Herkunft dürfen in einem solchen Viertel leben, andernfalls ergreift der dänische Staat Maßnahmen.

Davon inspiriert scheint jetzt auch die schwedische Sozialdemokratie, zumindest im kleinen Göteborg am Kattegat. Hier hat man sich nun zur paradoxen Intervention entschieden. Denn offenbar hat man dieselben Probleme wie Dänemark und andere Länder, will sie aber anders lösen.

Sozialprogramm nur für Zuwanderer, finanziert von allen anderen

In Göteborg kamen in diesem Herbst – entgegen dem nationalen Trend – die Sozialdemokraten mit Linkspartei und Grünen an die Macht. Die neue Stadtregierung hat nun im Zuge der Haushaltsverabschiedung angekündigt, dass die im Schwedischen auch „Neuankömmlinge“ genannten Zuwanderer nicht mehr in den Vororten angesiedelt werden sollen wie bisher üblich, sondern in den „wohlhabenden Gebieten der Stadt, die einen hohen sozioökonomischen Status haben“. In Göteborg ist es der Nordosten der Stadt, der seit Jahren 2.000 und mehr Migranten pro Jahr aufnehmen musste.

Das alte System und die traditionelle sozialdemokratische Migrationspolitik lässt sich laut der Website svt Nyheter so zusammenfassen: Man wollte eine Gesellschaft aufbauen, in der alle Schweden durch Arbeit und Fleiß die Möglichkeit hatten, sozial aufzusteigen. „Neuankömmlinge müssen in Wohngebieten mit dem höchsten Status untergebracht werden, in denen ein hoher Anteil der Bewohner Schwedisch als Muttersprache spricht und die Arbeitslosigkeit gering ist. Auf diese Weise will die neue Regierung in Göteborg die Segregation verringern.“

Diese Politik begann freilich nicht mit den Linken an der Macht. Schon das bisher regierende konservativ geführte Parteienbündnis sah sich gezwungen, die Ansiedlung der „Neuankömmlinge“ aufzulockern, so dass sich keine ghettoisierten Zonen in den weniger gut situierten Vierteln bildeten. Laut Axel Josefson von den liberal-konservativen Moderaten (M) hat dieses bisherige System „gut funktioniert“. Es beruhte aber schon auf ähnlichen Prinzipien wie die neue Regelung, die laut Samnytt von alten meritokratischen Prinzipien auch der Sozialdemokratie abweicht.

Laut dem neuen Vorsitzenden im Gemeinderat, Jonas Attenius (S), sollen Menschen mit ausländischer (wohl vor allem nicht-westlicher) Herkunft nun größere Privilegien auf dem Wohnungsmarkt in Göteborg erhalten: „Jahrzehntelang waren es unsere Vororte, die diese Verantwortung übernehmen mussten. Jetzt wollen wir, dass Neuankömmlinge in den wohlhabenden Gebieten untergebracht werden.“ Wirtschaftlich schwache Schweden können nicht von diesem Angebot profitieren, müssen sich aber über ihre Steuern an den Kosten dieses sozialen Projekts beteiligen.

„Es bedeutet viel für Kinder, in einer Gegend zu leben, in der Schwedisch gesprochen wird“

Ein Vorteil dieser Entscheidung sei auch, dass die Zuwanderer in eine Gegend kämen, wo noch Schwedisch gesprochen werde: „Es bedeutet sehr viel für Kinder, in einer Gegend zu leben, in der Schwedisch gesprochen wird.“ Ja, Attenius hofft gar, dass sich die Beschäftigungssituation der Migranten durch den Umzug – wie durch Zauberhand – verbessern werde. Statt hoher Arbeitslosigkeit in der nun zu privilegierenden Klientel hofft er auf steigenden Elan bei der Stellensuche. So ganz traut er dem Braten aber dann doch nicht und fügt an: „Dann werden wir weiter daran arbeiten, dass die Eltern selbstständig werden und einen Job finden.“

Kritisch sehen das Vorhaben natürlich die Schwedendemokraten. Der Göteborger SD-Vertreter Jörgen Fogelklou wollte nur „mehr von der gleichen Politik“ erkennen, mit der die Sozialdemokraten Schweden in die derzeitige Lage gebracht hätten, und zitierte zum Abschluss Churchill mit dessen bekannten Worten: „Sozialismus ist eine Philosophie des Scheiterns, das Credo der Unwissenheit und das Evangelium der Eifersucht. Seine eigentliche Tugend ist die gleichmäßige Verteilung des Elends.“

Schwedische Twitter-Nutzer kommentierten die Entscheidung mit Sarkasmus: „Zeit für den Ankauf von Villen für Somalier? Abdirahman mit seinen zwei Frauen und Kindern wartet schon ungeduldig. Das neue, spannende Schweden…“ Andere wundern sich, dass angesichts der neuen rechts-konservativen Regierung in Stockholm die Ansiedlungspolitik weitergetrieben wird. Zudem sei das sicher kein Anreiz für die „Neuankömmlinge“, sich selbst etwas aufzubauen. Zugleich wünschen sich einige, wiederum sarkastisch, dasselbe Vorgehen für Södermalm, Östermalm und Danderyd, die bürgerlichen Viertel Stockholms – dort, wo man auch Greta Thunbergs Eltern vermutet.

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