Tichys Einblick
Glasgow

Die Farce, die sich Klimakonferenz nennt

China und Russland agieren nach dem Motto: Alle reden vom Klima, wir nicht. Xi macht den Trump, aber keiner traut sich, es offen zu sagen. Der Westen unterhält sich derweil mit Entwicklungsländern in Glasgow. Emissionszertifikate für heiße Luft bleiben ein Wunschtraum.

IMAGO / ZUMA Press

Wenigstens seinen Segen hat der Klimagipfel: Vor Beginn der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow warnt Papst Franziskus vor einer „unbewohnbaren Welt“ und „radikalen Entscheidungen“. Das Oberhaupt der Katholischen Kirche forderte die politischen Entscheidungsträger dazu auf, mit ihren Antworten „konkrete Hoffnungszeichen“ zu setzen. Er sprach über eine „nie da gewesene Bedrohung des Klimawandels“. Das passt in die medialen Narrative, die vor Beginn verbreitet wurden. Der MDR ließ es sich nicht nehmen, einen Artikel mit Fotos aus dem zerstörten Ahrtal zu bebildern („Der Klimawandel hat Deutschland spätestens jetzt erreicht.“) und darin zu fordern, die „Schönrechnerei“ endlich zu beenden, denn die aktuellen Zahlen seien eine „Hiobsbotschaft“. Der Deutschlandfunk bedient sich ähnlicher Methoden: Die Überschwemmungskatastrophe sei ein „Vorbote“ der „Klimakatastrophe“. UN-Generalsekretär António Guterres hatte solchen Deutungen den Weg bereitet, als er sagte, dass sich die Welt immer noch auf dem „Weg in die Klimakatastrophe“ befände. Eine päpstliche Intervention dürfte das apokalyptische Narrativ demnach noch etwas mehr zur Geltung bringen.

Obwohl die beunruhigenden Stimmen der Weltöffentlichkeit wie die Trompeten aus dem Buch der Offenbarung des Johannes schallen, gibt es Risse im Narrativ. Der Pontifex etwa will nicht persönlich erscheinen. Das soll lieber Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin erledigen. Medienaufmerksamkeit ist Seiner Heiligkeit offenbar wichtiger als der tatsächliche Einsatz. Ähnliches könnte man über die gesamte Veranstaltung sagen. Denn wie Franziskus bleiben auch andere prominente Vertreter fern. So hat der chinesische Staatschef Xi Jinping bereits vor zwei Wochen seinen Besuch bei Gastgeber Boris Johnson abgesagt. Im Gegensatz zum Vatikan, dem kleinsten Staat der Erde, ist China ein CO2-Koloss. Über 10 Milliarden Tonnen CO2 emittierte China im Jahr 2019 – mehr als ein Viertel der globalen Gesamtemissionen.

Zum Vergleich: Die EU-Mitgliedsstaaten sind noch zu rund 8 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen beteiligt. Auch die „historische Schuld“, die in jüngster Zeit als Argument hervorgehoben wird, ist bald beglichen: So wie Chinas Emissionsrate wächst, hat es in einigen Jahren mehr CO2 produziert als die europäischen Staaten seit der Industrialisierung. China hat bereits im Jahr 2001 Deutschland im historischen Ausstoß überholt. Auch die Pro-Kopf-Emissionen, bei denen die alten Industrieländer teilweise noch vor China liegen, dürften nur eine Momentaufnahme sein.

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Die Volksrepublik düpiert die internationale Gemeinschaft nicht nur durch bloße Abwesenheit ihres Staatspräsidenten. Kurz vor der Konferenz unterrichtete die Weltmacht die Vereinten Nationen über ihre neuen Klimapläne – die im Grunde nur die alten sind. China peilt für 2030 seinen „Höhepunkt“ beim CO2-Ausstoß an und will bis 2060 klimaneutral werden. Das ist ein Zeitraum, in dem viel passieren kann – etwa, wenn eine Energiekrise das Land zu pragmatischen Lösungen zwingt, die sich nicht nach Klimazielen richten können. Die Abwesenheit Xis war demnach ein freundlicher Hinweis an die UN, sich keine Hoffnungen zu machen, dass China seine Ziele verschärft.

Was für einen Sinn aber hat eine Konferenz, wenn das größte – und nicht nur das Klima betreffend – wichtigste Land des Globus keinen Gesprächsbedarf sieht? Es ist zugleich eine Probe für Staatsraison oder Ideologie. Es geht nicht mehr um bloßes Wirtschaftswachstum, sondern angesichts der Energieengpässe um den Fortbestand der zweitgrößten Volkswirtschaft. China steckt damit auch das Pariser Klimaabkommen ein, das eigentlich vorsieht, spätestens zu diesem Klimagipfel neue Ziele zu stecken. Xi macht den Trump, aber keiner traut sich, es offen zu sagen. Auch das zeigt, dass der rote Riese mittlerweile als das gefährlichere Land gilt, das man nicht verstimmen will.

Xi ist nicht allein. Wladimir Putin kündigte ebenfalls an, dem Treffen fernzubleiben. Russland ist als fossiles Rohstofflager zweier Kontinente ein Schlüsselstaat bei der Emissionsfrage. Putin bekräftigte, dass Russland bis 2060 „Klimaneutralität“ anvisiere – wie China. Das ist für das demographisch eher kleine Land, das überproportional am Öl-, Kohle-, und Gasgeschäft verdient, eine sehr vage Ankündigung. Russlands Industrialisierung liegt länger zurück als die Chinas, doch die fossilen Energien spielen eine zentrale Rolle in der innen- wie außenpolitischen Strategie des Landes. Das 26. Klimatreffen könnte zu einer vornehmlich westlichen Veranstaltung verkommen, bei der die europäischen Länder Abbitte leisten und große Versprechungen kundtun, obwohl selbst das Maximum ihrer Anstrengungen kaum einen Effekt hätten. Auch eine komplette Rückversetzung des Abendlands in die Zeit Maria Theresias würde nicht einmal 10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes tangieren.

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Dass einem klimapolitischen Erfolg keine grünen Tagträumereien, sondern hartes politisches Geschäft zugrunde liegt, zeigt das vorherige Geplänkel zwischen China und USA. Die Demokraten unter Joe Biden pochen darauf, dass nur eine gemeinsame Kooperation helfen könne, um „aus dem derzeitigen weltweiten Selbstmord-Pakt auszubrechen“, wie der einstige Außenminister und aktuelle Klimabeauftragte John Kerry anmahnte. Die Antwort des chinesischen Außenministers war entsprechend kühl: „Die chinesisch-amerikanische Klima-Kooperation kann unmöglich über das allgemeine Klima der chinesisch-amerikanischen Beziehungen gestellt werden.“ Unausgesprochen ist beiden Ländern klar: Wer zuerst grün wird, verliert zuerst im internationalen Wettbewerb. Die USA sind weiterhin der ungeschlagene „Klimasünder“, erfreuen sich aber einer Versorgungsstabilität, die nicht zuletzt mit Bohrungen in Naturschutzgebieten und Fracking erlangt wurde. Unbequeme Wahrheiten, aber anders als in der Utopie existiert in der Realität kein schmerzloser Königsweg, sondern ein ständiges Austarieren von Dilemmata. Auch in den USA mehren sich deswegen die Stimmen, ob nicht gerade Europa ein abschreckendes Beispiel dafür sei, den vermeintlichen Königsweg des „Green Deal“ auch in den USA anzuwenden.

Der Westen hat nicht nur wegen der chinesischen und russischen Vorbehalte genügend Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Auch die kleineren Länder haben ihre Probleme mit dem Gipfel – wenn auch eher persönlicher und logistischer Art. Wegen der starken COVID-Vorkehrungen müssen Diplomaten aus Ländern der „roten Liste“ deutlich früher anreisen, um sich rechtzeitig in Quarantäne begeben und teilnehmen zu können. Wegen Reisebeschränkungen musste der Vertreter Palaus über Hawaii, die USA und Frankfurt nach Glasgow fliegen. Nicht jedes kleine Entwicklungsland kann sich die Beschränkungen leisten. Besonders nicht in jenen, wo Impfungen Mangelware sind, die im Vereinigten Königreich für jeden Gang obligatorisch geworden sind. Das betrifft NGOs und Aktivisten noch einmal deutlich mehr als die Delegierten. Unter den Klimaschützern tönt es bereits, Großbritannien veranstaltete die „ausschließendste und ungerechteste COP aller Zeiten“.

Stattdessen sollen Leonardo DiCaprio, Bill Gates und Jeff Bezos bei der Veranstaltung auftreten. Nicht nur der Papst braucht Publicity im schönen Schein eines Events, das sich größtenteils um westliche Befindlichkeiten und deren Selbstbestätigung dreht. Wie auch immer man zum Komplex „Klimawandel“ steht: Dafür, dass die Apokalypse an der Tür anklopft, geht man betont gelassen damit um, dass zwei Länder, die für ein Drittel der Gesamtemissionen verantwortlich sind, das Vorhaben boykottieren. Jetzt hat auch Indien, das Land mit dem weltweit drittgrößten CO2-Ausstoß, angekündigt, dass man sich selbst keine Ziele zu Netto-Null-Emissionen verordnen wolle. Indien, das große Wachstumsland der Zukunft, stößt damit in die Richtung der russisch-chinesischen Position. Premier Narendra Modi wird zwar am Montag zur Konferenz anreisen. Er will aber das Gespräch mit den Staatschefs vor allem dazu nutzen, mehr „Klimagerechtigkeit“ zu fordern, weil Indien besonders schwer vom Klimawandel betroffen sei. Wie ein Damokles-Schwert hängt bereits das eigene Scheitern über dem Klimagipfel. Die Beschwörungen sollen das verhindern, was in den Medien bereits zwischen den Zeilen auftaucht: eine Wiederauflage der Konferenz von Kopenhagen. Damals wurden 150 Millionen Euro verpulvert – für nichts.

Von Sonntag an wollen die Nationen der Erde für zwei Wochen über das weitere Vorgehen sprechen; und man fragt sich, über was dabei überhaupt gesprochen werden soll. Wollen die Amerikaner den Zentralasiaten raten, weniger Öl und Gas an die chinesischen Abnehmer zu verkaufen, um den eigenen Aufstieg zu verhindern, den die USA auf genau diese Weise befördert haben? Wollen die Europäer vielleicht den afrikanischen Entwicklungsländern erklären, dass diese auf jene billige Energieform verzichten sollen, die sie selbst anderthalb Jahrhunderte verwendet haben – und stattdessen auf teurere Alternativen setzen, damit man hierzulande ein gutes Gewissen hat? Das alles angesichts einer sich anbahnenden Energiekrise, die es gerade für die Armen der Welt schwerer machen wird, die Kröte des Klimaschutzes zu schlucken? Und die spannendste Frage: Hört man in Glasgow das Gelächter, das von Moskau und Beijing bis nach Schottland schallt? Die einzigen relevanten Emissionen, die am Ende von Glasgow stehen, sind die von verbrannten Euro-Scheinen.

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