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Macron ratlos

Gelbwesten, Akt VIII: Politik in der Sackgasse

Umfragen zufolge unterstützen weiterhin 55 Prozent der Franzosen die Gelbwesten, die Popularität Macrons lag Ende vergangenen Jahres bei 24 Prozent.

Yellow vests 'Gilets Jaunes' protestors run through smoke of tear gas during an anti-government demonstration, in Lyon, on January 5, 2019

ROMAIN LAFABREGUE/AFP/Getty Images

Paris. Mit einem Gabelstapler stürmen sie das Ministerium in der Rue Grenelle und zerstören mehrere Autos. Ein ehemaliger Berufsboxer schlägt auf einen Polizisten ein. Toulon. Ein Gendarm verprügelt einen Demonstranten. Er hat ihn an eine Hausmauer gestellt, der Mann ist hilflos. Frankreich im Januar 2019.

Es ist das achte Wochendende in Folge, an dem die “Gilets Jaunes”, die sogenannten “Gelbwesten”, auf die Straße gehen. 50.000 waren es nach Angaben des Innenministeriums. Vor einer Woche sprach die Polizei von gut 32.000. Vor wenigen Tagen noch hatte Innenminister Christophe Castaner vorausgesagt, dass die Teilnehmerzahl an den Demonstrationen weiterhin sinken werde, dass die Gelbwesten am Ende seien. Weit gefehlt.

Das Ministerium in der Rue Grenelle in Paris ist unter anderem für die Beziehungen zwischen Regierung und Nationalversammlung zuständig. Dort hat Benjamin Griveaux sein Büro. Der Regierungssprecher hatte nach einem Treffen des Ministerrates am 4. Januar angekündigt, dass man von nun an härter gegen die Demonstranten vorgehen werde, dass man den Rechtsstaat schützen müsse. Diejenigen, die jetzt noch demonstrierten, seien Aufwiegler, die die Regierung stürzen wollten. An diesem Samstag musste er vor den aufgebrachten Demonstranten in Sicherheit gebracht werden.

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Griveaux sprach von einem Angriff auf die Republik, Präsident Emmanuel Macron bezeichnete den Vorfall als “extreme Gewalt gegen die Republik, ihre Wächter, ihre Repräsentanten und ihre Symbole”. Diejenigen, die dafür verantwortlich seien, hätten den “Pakt über die bürgerlichen Rechte” verletzt und würden dementsprechend zur Verantwortung gezogen, er werde für Gerechtigkeit sorgen. Öl ins Feuer der 55 Prozent der Franzosen, die Meinungsumfragen zufolge weiterhin die Gelbwesten unterstützen.

Frankreich im Januar 2019. Dabei hatte Macron in seiner Neujahrsansprache noch den Dialog gefordert und die Franzosen zur Geduld aufgefordert. Und dabei seine Entschlossenheit betont, das Gesetz mit allen Mitteln durchsetzen zu wollen. Macron sprach von Demokratie, seine Regierung sei für fünf Jahre gewählt und werde sich an den Wählerauftrag halten. Eine klare Absage an eine der zentralen Forderungen der Gelbwesten nach einem “Référendum d’initiative citoyen”, nach Volksabstimmungen, nach mehr direkter Demokratie.

Lyon. Nicht weniger, sondern mehr Gelbwesten waren es entgegen der Voraussage des Innenministeriums, die an diesem Samstag auf die Straße gingen. Nach Angaben der Polizei 1.300, nach Schätzung des Beobachters mindestens 2.000. Das bestätigt auch Lionnel, einer der Organisatoren der Demonstration. Inzwischen kennt man sich. Lionnel war von Anfang an dabei, seit November vergangenen Jahres. Ein Mikrofon hält er in der einen Hand, einen Lautsprecher zieht er mit der anderen hinter sich her. Immer wieder fordert er dazu auf, sich friedlich zu verhalten.

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Müßig, die Sprüche zu zitieren, die Präsident Macron zum Rücktritt auffordern. Müßig auch, die immer wiederkehrenden Forderungen der Gelbwesten zu wiederholen. “Wir haben nichts zu verlieren”, sagt einer, “die haben uns doch schon alles genommen.“ Nur wenige Meter hinter Lionnel eine gut vierzigjährige Frau. Im Rollstuhl. Auf dem Schoß trägt sie einen Pappstreifen. “Wer denkt an die Behinderten?”, hat sie darauf geschrieben. “Wie soll man mit 700 Euro im Monat leben?”

Jeder Deutsche, der schon einmal mit dem Auto nach Südfrankreich in den Urlaub gefahren ist, kennt die “Route du Soleil”, die A7, die über Lyon ans Mittelmeer führt. Viele, die einen Abstecher nach Lyon machen, verirren sich dort. Wegen der zwei Flüsse, Rhône und Saône, Das ist verwirrend. An diesem Samstag ist das egal. Die Gelbwesten haben die Autobahn blockiert, in Richtung Süden und in Richtung Norden. Nichts geht mehr. Auch der Beobachter ist noch nie vorher auf einer Autobahn Spazieren gegangen. Die meisten Autofahrer bleiben gelassen, sie kommen aus den Winterferien, wenn sie in Richtung Norden fahren. Nein, genervt sind sie nicht. Im Gegenteil.

Sie hupen, sie diskutieren mit den Gelbwesten, bekunden Solidarität. Auch ein Deutscher hat sich hierher verirrt mit seinem Luxusfahrzeug. Ein Rolls Royce. Die Scheiben hat er geschlossen. Die “Route du Soleil“ ist blockiert. Eine Stunde lang. Aber selbst die Gendarmes halten sich zurück, von Aggression keine Spur. Dabei hatte es kurz zuvor noch einen Zwischenfall gegeben. In der Stadtmitte, kurz vor der Altstadt, kurz vor “Vieux Lyon”. Da flogen die ersten Tränengasgranaten. Danach blieb es ruhig auf dem Weg zur Autobahn. Die Gelbwesten marschieren. Jeden Samstag. Wenn man mitgeht, muss man sich auf mindestens fünf bis acht Kilometer Fußmarsch gefasst machen. Am Abend, gegen 18 Uhr, wie an jedem Wochenende, versinkt der zentrale Platz Lyons, die Place Bellecour, in einer Tränengaswolke. Das ist wie in Paris. Die Ordnungskräfte wollen die Kundgebung auflösen. Das machen sie um diese Zeit immer mit ihrem “gaz lacrymogène”. Man gewöhnt sich an den Husten, die brennenden Augen. Auch am nächsten Tag kribbelt es noch um den Mund.

Fakten. Bereits im Dezember hatte Frankreichs Wirtschaftminister Bruno Le Maire angekündigt, dass die Aktionen der Gelbwesten 0,1 Prozentpunkte des französichen Wirtschaftwachstums kosten würden. Der Umsatz im Großhandel sei um 15 bis 25 Prozent zurückgegangen, im Einzelhandel sogar um 20 bis 40 Prozent. Restaurants hätten zwischen 20 und 50 Prozent verloren. Der Hotelsektor müsse sich damit abfinden, dass zwischen 15 und 20 Prozent der Reservierungen storniert worden seien, berichtet die angesehene Tageszeitung “Le Figaro”.

Fakten. Seit Beginn der Bewegung im November sind elf Bürger ums Leben gekommen, zumeist bei Zwischenfällen auf blockierten Straßen. Hunderte wurden schwer oder leicht verletzt, ein Mann hat durch den Einsatz von “Flashballs”, von Hartgummigeschossen, eine Hand verloren.

Fakten. Umfragen zufolge unterstützen weiterhin 55 Prozent der Franzosen die Gelbwesten, die Popularität Macrons lag Ende vergangenen Jahres bei 24 Prozent. 77 Prozent der Franzosen sind für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Selbst in der Regierungspartei “La République en Marche” sprechen sich 61 Prozent der Mitglieder für die Wiedereinführung der “ISF“, der “Impôt de la Solidarité sur la Fortune“ aus. Macron lehnt das ab. Er hatte diese Steuer gleich zu Beginn seiner Amtzeit abgeschafft und beharrt auf seinem Kurs.

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Lionnel, wir kennen ihn inzwischen, skandiert, “La police avec nous“, die Polizei mit uns. Die Ordnungskräfte haben im Dezember eine Gehaltserhöhung von rund150 Euro netto im Monat erhalten. Dazu kommt eine einmalige Prämie von 300 Euro für diejenigen, die bei den Demonstrationen der Gelbwesten im Einsatz waren. Unter ihnen sind viele junge Polizisten. Nervös sind sie, auch in Lyon. Sie befürchten eine Eskalation der Lage. Krawalle. Sie werden bezahlt, um genau das zu verhindern. Der eine oder andere hat bereits seine Flashball-Pistole schussbereit in der Hand. Die erfahreneren Kollegen halten sie zurück. Das gelingt nicht immer. Ein spanischer Journalisten-Kollege berichtet, er habe mehrere Knüppelschläge einstecken müssen – trotz Presseausweis. Und seine Kamera habe man ihm aus der Hand schlagen wollen. Viele Kollegen sind auch bei den Gelbwesten unbeliebt, sie sprechen von “Lügenpresse” und “Staatsmedien”.

Und dann ist da noch die Affäre um Eric Drouet, einer der Initiatoren der Gelbwesten-Bewegung. Der 33-jährige Lastwagenfahrer wurde erstmals am 22. Dezember in Paris in Polizeigewahrsam genommen, am vergangenen Mittwoch dann ein zweites Mal. Angeblich, weil er zu einer unerlaubten Demonstration aufgerufen hatte. Er selbst sagt, er habe auf den “Champs Élyséee” mit Freunden zum Essen gehen wollen. Sie hätten – sozusagen auf dem Weg – nur noch Kerzen zum Gedenken an die Todesopfer und die Verletzten unter den Gelbwesten anzünden wollen. Nach seiner Freilassung aus dem Polizeigewahrsam nach 20 Stunden sagte er das sei sein Scoop gewesen, er habe damit zeigen wollen, dass man heutzutage in Frankreich nicht mehr frei sei. Polizeistaat. Manche sprechen von “politischer Haft”. Drouet hat schnell verstanden, wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert.

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Das alles trägt nicht zur Beruhigung der Lage in Frankreich bei. Die Gelbwesten organisieren sich, sie rufen zu Bürgerversammlungen auf. Auch in Lyon. Und zwar in der “Bourse de Travail”. Ein Ort, an dem sich schon seit 1891 Revolutionäre und unruhige Geister versammeln. Die Gelbwesten hatten dort am vergangenen Montag ihre erste Generalversammlung. Für diesen Montag, 19 Uhr, haben sie zu einem weiteren Treffen aufgerufen.