Tichys Einblick
Warum es hier keine Gelben Westen geben wird

Dann sollen sie halt Taxi fahren

Zehntausende Menschen gehen in Frankreich auf die Straße – bei uns: Still ruht der See.

BERTRAND GUAY/AFP/Getty Images

Unzählige Aspekte unserer Regierungspolitik bergen große Belastungen für den Einzelnen. In Zukunft oder, wie bei den Energiekosten, schon jetzt. Damit zumindest der Regierung dabei nicht das Geld ausgeht, hat sich die französische ein besonderes Schmankerl ausgedacht. Eine sich – zum Wohle der Umwelt – turnusgemäß selbst erhöhende Energiesteuer. Streng nach dem Motto: Umwelt vor Geldbeutel der Bürger. Ganz im Sinne Marie-Antoinettes, die ja sinngemäß verlautbart haben soll: Wenn den Untertanen das Geld fürs Auto ausgeht, dann sollen sie halt Taxi fahren.

Wie in der Französischen Revolution hat diese Maßnahme das Fass zum überlaufen gebracht. Wieder einmal muckt der Franzose auf und geht massenhaft auf die Straße. Nicht zuletzt aufgrund des wirkmächtigen einfachen Symbols der gelben Warnweste hat es dieser Protest in kürzester Zeit zu einer ‚Bewegung‘ gebracht, die sich dezentral selbst über das Netz organisiert. Mittlerweile richtet sie sich nicht mehr nur gegen die Energiepreise, sondern weitet sich aus auf andere als willkürlich empfundene politischen Maßnahmen.

Und wie sieht es nun bei uns aus? Im Angesicht etwa des ausgewachsenen Energie-Tugendterrors der DUH? Fluten die Warnwesten den Alexanderplatz? Mitnichten. Bei uns bleibt es friedlich. Auch Erzbischof Wölki kann die Dombeleuchtung anlassen. Angela Merkel und ihre Mitstreiter müssen sich keine Sorgen machen. Ihre Untertanen sind für das, was die Franzosen veranstalten, viel zu gut. Zu gut erzogen.

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Offenbar im Gegensatz zu Frankreich ist es hier der Politik, den Medien und vor allem dem Erziehungssystem gelungen, die Bürger so zu schubsen (to nudge), dass auch unangenehme Maßnahmen nicht nur einsichtig ertragen, sondern sogar begrüßt werden. Solange nur das stimmt, was, wie Helmut Kohl immer so schön sagte, ‚hinten rauskommt‘. Und hinten herauskommem soll ja im Moment nichts Geringeres als, wie es im Briefkopf einschlägiger Stiftungen bezeichnet wir als One Sweet World, als eine große einheitliche Welt, bevölkert von glücklichen Migranten, belüftet von Co2-armer Atmosphäre. Wer würde das verweigern? Und vor solch einem Ziel verblassen eben Kleinigkeiten, über die sich die Franzosen unangemessenerweise aufregen.

Wenn es darum geht, in der Welt mit leuchtender Fackel voranzuleuchten, sind wir eben bereit, Einzelschicksale, wie das des Dieselpendlers oder des ruinierten Rentners, auch mal hintanzustellen. Wie Wehrmachtssoldaten, die, so zeigt es die Lektüre so manchen Feldbriefs, ja durch die Hölle des 2. Weltkrieges auch erst einmal hindurch mussten, auf dem Weg in eine strahlende, globaldeutsche Zukunft.

Die enormen Steuern und Netzkosten, die wir jeden Monat über uns ergehen lassen, sind so für uns deshalb eher so etwas wie eine bittere Medizin, die man, wenn man den Sinn erst einmal eingesehen hat, zwar nicht gerne, aber doch bereitwillig und ohne zu Murren einzunehmen bereit ist. Chemotherapie ist auch nicht angenehm, aber notwendig. Brave Patienten wissen das. Und so zahlt man in Deutschland eben seine Energiesteuern, auch um zu beweisen, dass man verstanden hat.

Der Deutsche hat begriffen, dass es zur Rettung der Welt – und um nichts Geringeres geht es hier ja, glaubt man den täglichen Berichten über die Klimakatastrophe, die Plastikverschmutzung der Meere und vor allem die Wanderungsbewegungen – außergewöhnlicher, unter Umständen auch drastischer Maßnahmen bedarf. Wie der Totalverspargelung ganzer Landstriche. Oder der Vernichtung nationaler Schlüsselindustrien.

Wenn es um alles geht, stehen wir eben wie ein Mann hinter unseren – welch passendes Wort – Führern, die es auch hervorragend verstehen, durch geeignete Disziplinierungsmaßnahmen für ein einheitliches Erscheinungsbild zu sorgen. Gerade jetzt werden bewährte Instrumente der DDR wiederbelebt, von Menschen, die noch aus Erfahrung wissen, wie sie anzuwenden sind.

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Aber auch ohne die neuen Überzeugungstechniken aus dem Werkzeugkasten der Ostdiktatur sind wir weit gekommen. Im Westen – und aufgrund der Bevölkerungszahlen ist ja Gott sei Dank noch immer Deutschland eher Westen, werden Westen, also Verkehrswesten, garantiert nur bei Autopannen übergestreift. Hier spielt es eben bis ins gehobene Bürgertum keine Rolle mehr, wieviele Milliarden beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen bei bedingungslos geöffneten Grenzen kosten würde. Auf Partys kann man einem führenden Mitarbeiter eines Automobilkonzerns aus dem Rhein-Main-Gebiet begegnen, der den ganzen Individualverkehr für tot erklärt. Wahrscheinlich fährt derselbe Mann mit dem Zug am Weekend in den Hambacher Forst. Man muss sich also nicht wundern, dass sich hier niemand findet zur Verteidigung der Automobilindustrie gegen die Deutsche Umwelthilfe oder gegen Toyota. Man glaubt hier, die hätten ‚im Grunde‘ recht.

Wenn sich in Zeitungen regelmäßig hochdekorierte Akademiker, die es gewöhnt sind, im Auftrag ihrer Fakultäten die Welt so zu bereisen, wie es Klein-Globalisten-Fritzchen ebenfalls anstrebt, über den Aufstieg der Grünen, die Grenzöffnungen und die Seenotrettung freuen, ist doch der Weg in die Soros’sche Open Society perfekt geebnet.

Wenn die Haupturheberin des Migrationspaktes den Spitznamen ‚Genossin Arbour‘ trägt und ausgerechnet der EU- Mann für die Finanzen ein Ultralinker ist, dann wird klar, dass die Reiseroute, auf der wir uns befinden, absichtlich gewählt und gut kartographiert ist.

Wenn alle hochempört sind, auch in den eigenen Reihen, wenn konservative Politiker auch nur ein konservatives Wort sagen, wie Jens Spahn oder Friedrich Merz auf ihrer Herbsttournee. Wenn AKK die neue Claudia Roth wird und alle damit einverstanden sind, dann weiß man: Wer sollte hier gelbe Westen zücken? Wogegen?

Nein. Das global orientierte, pazifistisch geschulte und touristisch- welterfahrene deutsche Publikum ist bereit, durch dick und dünn zu gehen, in eine noch unbekannte, aber bessere Welt. Gelbe Warnwesten bleiben deshalb dort, wo so hingehören. Im Kofferraum.

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Und außerdem: Selbst wenn man nicht ganz einverstanden wäre mit dem Verlauf des Leuchtenden Merkel-Pfades: Man schädigt sich doch nicht selbst. Man verlöre doch jeden Rückhalt, auch im Freundes- und Kollegenkreis. Protestmärsche gegen ganz große Koalitionen, also Bündnisse derer, die sich alle einig sind, werden in Zeiten ohne legitime Opposition doch geradezu zwangsläufig ‚instrumentalisiert‘, bekommen ‚Applaus von der falschen Seite‘. Wie die Gelbwesten in Frankreich ja mittlerweile auch schon von Marine Le Pen. Und das, wie heißt es doch so schön, ‚‘geht gar nicht!‘ Also auch keine Gelbweste, noch nicht mal gegen die Mineralölsteuer. Das wäre ja automatisch ‚instant Pegida‘, mit Antifa und allem.

Die Franzosen sind da anders. Für das große Ganze schlecht gerüstet, unreif, proletarisch, uneinsichtig. Gern ist ihm, dem Franzosen, seine persönliche Situation wichtiger als das Weltenheil. Insbesondere, wenn er das Gefühl haben muss, dass dieses Weltenheil gar nicht bedroht ist durch seinen Citroen C3D. Im Grunde ist der Franzose da auch nur ein – Ossi! Und als solche werden auch die Franzosen irgendwann ein Einsehen haben in den Weltenlauf und das Marschieren aufgeben. Wie unsere Ossis. Jemand, der so aggressiv von Politik und Medien ignoriert wird, der lernt doch irgendwann, dass er einfach nichts zu melden hat. Warnweste hin der her.

Sie müssen also nicht befürchten, dass hier irgendjemand mitmachen wollen wird. Wenn, dann nur ein bißchen. Wie ich so. Beim Zapfsäulenboykott an Montagen. Oder beim Einkaufen oder Spazierengehen. In gelber Warnweste.