Tichys Einblick
Neues Asylabkommen

Britische Regierung: Erster Abschiebeflug nach Ruanda Mitte des Monats

Zwischen Partygate-Vorwürfen und Queen-Jubiläum macht Boris Johnson einfach weiter mit der Arbeit. Bald sollen die ersten Flüge mit Rückführungen nach Ruanda gehen. Die Migranten traten in Hungerstreik, machtvolle NGOs stellten sich hinter sie. Doch die Innenministerin bleibt hart: Am 14. Juni soll der erste Flug starten.

Symbolbild

Getty Images

Ob Johnson die Affäre um Regierungsparties während des „Lockdowns“ überstehen wird, mag offen sein. Bei den Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum der Königin wurde er ausgebuht, Harry und Meghan dagegen mit Jubel empfangen. So schwanken die Maßstäbe der Straße und der Öffentlichkeit. Über zukünftige Wahlergebnisse sagt eine solche Jubel-Buh-Menge allerdings nichts aus. Denn da gilt Johnson noch immer als das beste Zugpferd der Konservativen. Das liegt auch am strategischen Instinkt des Mannes, der sich nicht nur der Frisur nach gern etwas verwuschelt präsentiert.

Vor knapp zwei Monaten überraschte er die Öffentlichkeit mit einem unterschriftsreifen Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Ruanda. Das zwischen Ost- und Zentralafrika gelegene Land hatte sich demnach bereit erklärt, Asylbewerber aufzunehmen, die Großbritannien auf illegalem Wege über den Ärmelkanal erreicht haben. Es war einer dieser Johnson-Deals, der zunächst für viele Beobachter phantastisch anmuten, noch so ein Have-your-cake-and-eat-it-Moment. Doch bald schon könnte er Realität werden.

Innenministerin Priti Patel ist jedenfalls fest entschlossen, am 14. Juni die ersten Abschiebungen nach Ruanda durchzuführen. Mindestens 17 Migranten aus Syrien, Ägypten und dem Sudan, die sich bereits in einem Abschiebezentrum am Flughafen Gatwick befinden, wurde ein Rückführungsbescheid zugestellt, wie der linksstehende Guardian herausfand. Es handelt sich um Migranten, die Großbritannien illegal per Boot, fast immer mit der Hilfe erwerbsmäßiger Schlepper erreichten und dafür hohe Beträge gezahlt haben. Einige Migranten traten in den Hungerstreik, um gegen die Entscheidung zu protestieren.

Ein Teil der Öffentlichkeit kam ihnen sogleich zur Hilfe. Großbritannien beherbergt sicher eines der wokesten Meinungsbiotope im heutigen Europa, obwohl auch Deutschland und die nordischen Länder auf ihre Weise versuchen, Schritt mit dieser Welle zu halten. Man erinnere sich nur an die Schulbesetzung in Berlin-Kreuzberg unter Monika Herrmann und die folgenden Demonstrationen am Brandenburger Tor für ein quasi ungeregeltes Recht auf Asyl für jedermann.

Schon vor der britischen Innenministerin hatte das Königreich Dänemark ähnliche Absichten geäußert, war aber weniger schnell vorangekommen als die britische Regierung. Bis heute scheint eine Einigung zwischen Kopenhagen und Kigali auszustehen. Die beiden Regierungen befinden sich noch in Gesprächen. Was die britische Einigung erleichtert hat, bleibt unklar. Vielleicht doch und einfach der Brexit und die Unabhängigkeit von EU-Rechtsnormen? Dänemark bleibt verwoben in die EU-Interessen, die auch getarnt als NGOs auftreten können.

Bei Widerstand schnellere Abschiebung aus Sicherheitsgründen

Inzwischen konnten Mitglieder britischer NGOs die meisten dieser erfolglosen Asylbewerber von ihrem Hungerstreik abbringen. Fünf blieben zunächst dabei. Die Gründerin der NGO „Care4Calais“, Clare Moseley, verwies auf die vielen Möglichkeiten, gegen die Entscheidung des britischen Innenministeriums anzukämpfen. Es gebe guten Grund, hoffnungsvoll zu sein. Angeblich wurden erst kürzlich zwei Migranten aus der Abschiebehaft entlassen – anscheinend dank der Bemühungen von NGO-Rechtsabteilungen.

Einer der Inhaftierten sagte gegenüber dem Guardian: „Ich will nur frei und in Sicherheit sein. Ich bin kein Krimineller. Warum hat mich das Vereinigte Königreich ins Gefängnis gesteckt? Ich habe keine Verbindung zu Ruanda. Warum sollte man mich dort hinschicken?“

Laut dem Innenministerium war der Hungerstreik aller Insassen schon am Dienstag beendet. Es werde alles dafür getan, dass sich die Inhaftierten nicht selbst schadeten. In einer Botschaft des Innenministeriums an die Migranten hatte es geheißen: „Ihre Zurückweisung von Nahrung und Getränken wird nicht unbedingt zu einer Verzögerung ihre Abschiebung führen. Im Interesse Ihrer Gesundheit und Sicherheit könnte ihre Abschiebung aus dem Gewahrsam und dem Vereinigten Königreich beschleunigt werden.“ Das heißt: Bei Widerstand schnellere Abschiebung aus Sicherheitsgründen.

Patel: Jede Regierung darf Menschen ohne Bleiberecht abschieben – Remoaner wollen Plan hintertreiben

Ernster zu nehmen als die meist symbolisch bleibenden Hungerstreiks dürften aber in der Tat die Bemühungen diverser Gruppen wie der genannten NGO sein, das Vorhaben des Innenministeriums durch rechtliche Hürden zu torpedieren. Aus dem Innenministerium – oder doch seinem engsten Umfeld – war laut dem Daily Express zu hören: „Es ist keine Überraschung, dass diese Anti-Brexit-Anwälte ihre Zeit jetzt mit dem Versuch verbringen, den Ruanda-Plan abzuwenden. Sie sollten einfach ehrlich mit der Öffentlichkeit sein.“ Hinter den geäußerten Bedenken stehe der „Glaube“ an offene Grenzen, für den diese Gruppen aus Sicht des Regierungsbeamten alles tun würden. Für Patel sind das Remoaner-Themen, die also Briten beschäftigen, die sich noch immer zurück in die EU wünschen.

Die Geschäftsführerin der NGO „Freedom from torture“ (Freiheit von Folter) behauptete, der Ruanda-Deal folge der Devise „Geld für Menschen“. Das sei „absolut nicht richtig“, erwiderte Patel. Tatsächlich könnte man auch rein logisch einwenden, dass Ruanda in diesem Fall beides bekommt: Bares und die Asylbewerber.

Patel verurteilte den Ansatz der NGO-Wortführerin: „Tatsächlich besitzt jede Regierung auf der ganzen Welt Richtlinien, um Individuen abzuschieben, die keine rechtliche Grundlage haben, um im Land zu bleiben.“ Man habe schon Asylbewerber in andere Länder abgeschoben, zum Beispiel direkt in die Herkunftsländer.

Rechtshändel zum eigenen Gewinn und Bedeutungsgewinn

Übrigens bleiben auch Beziehungen zum Kontinent auf dem Prüfstand der britischen Regierung. So verfolgt Justizminister Dominic Raab die Abschaffung oder Neuformulierung jenes Gesetzes, durch das britische Gerichte der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) unterworfen wurden. An die Stelle des „Human Rights Act“ soll eine britische Bill of Rights treten, die in ähnlicher Weise universale Grundrechte formulieren würde, dabei aber auf die spezifischen Bedürfnisse des Königreichs Rücksicht nehmen.

Die Umsetzung verschiedener EGMR-Urteile wird bis heute kontrovers auf der Insel diskutiert. Besonders bekannt wurde der Fall verschiedener Vergewaltiger, die wegen ihres Rechts auf Familienleben (sic!) nicht abgeschoben werden konnten. Das wurde von vielen als Pervertierung des gesunden Rechtsempfindens gesehen. Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs wurde 1949 von den Mitgliedern des Europarats (heute 46 an der Zahl) begründet, erhielt aber kurz vor der Jahrtausendwende deutlich erweiterte Kompetenzen. Daneben konnte nun praktisch jeder Bürger und Bewohner der Mitgliedsstaaten vor dem Gerichtshof Klage einreichen – die Frage ist nur, ob die Richter sie auch annehmen. Europarat und EGMR sind unabhängige Organisationen im Vorfeld der EU.

Das Vorhaben, sich stärker vom EGMR zu emanzipieren, steht also auf dem Zettel von Justizminister Dominic Raab, der dafür ebenfalls reichlich Schelte von diversen „Menschenrechtsorganisationen“ erhält. Es ist ja auch klar, die Tribulationen um Priti Patel zeigen es: Organisationen wie Amnesty International verdienen inzwischen einen guten Teil ihres Gelds – und ihrer öffentlichen Bedeutung – mit dem, was sich im NGO-Jargon „strategic litigation“ nennt. Auf Deutsch sind das Rechtshändel um des eigenen Gewinns und Bedeutungsgewinns willen. Denn einerseits sammeln die NGOs und NGO-Rechtsabteilungen so Spenden und Zuschüsse ein, z.B. vom weltweit agierenden Soros-NGO-Netzwerk (mit wiederum eigenem Rechtshändel-Ableger „Open Society Justice Initiative“), zum anderen generieren sie durch die Gerichtsverfahren zusätzliche Aufmerksamkeit für ihre Ziele und die Interessen, denen sie dienen.

Das glückt natürlich nur dann vollkommen, wenn die Verfahren gewonnen werden, und dazu muss der rechtliche Rahmen stimmen. Eben deshalb haben viele NGOs auch schon damit begonnen, für bestimmte rechtliche Regelungen – die von Parlamenten zu treffen sind – zu werben.

Und, so muss am Ende auch noch bemerkt werden, viele Bürger lassen sich leider Sand in die Augen streuen von den „guten Absichten“ der NGOs, die meist irgendeine vermeintlich edle Sache in ihrem Schilde führen (siehe oben: „Freiheit von Folter“, „Kümmert euch um Calais“). Die Unterstützung offener Grenzen ist noch so ein Fall und benennt das Hintergrundmotiv vieler Organisationen. Auch das hört sich zunächst gut an: Freiheit für alle, auch zur freien Bewegung über Ländergrenzen hinweg. Doch die Folgen bedenkt kaum einer, der das fordert – oder er müsste ein vollkommener Anarchist sein. Und die sind bekanntlich selten.

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