Tichys Einblick
Myanmar unter der Militärdiktatur

Brief aus Burma: „Jede Nacht höre ich Schüsse und Explosionen hier in Mandalay“

Die Militär-Regierung in Burma geht weiter gewaltsam gegen die Protestbewegung vor. Die Wirtschaft steht offenbar weitgehend still. Nun versuchen Oppositionelle sich zu bewaffnen, schreibt eine Professorin aus Mandalay an TE-Autor Klaus-Jürgen Gadamer.

Demonstranten gegen die Militär-Regierung in Mandalay, Burma, 21. Mai 2021

IMAGO / Penta Press

„Lieber Klaus-Jürgen,

ich möchte dir heute schreiben, weil heute das Internet funktioniert. Man weiß nie, wann das der Fall ist, in der Regel ist es ganz abgeschaltet. 

Vor einigen Tagen war Thingyan, das burmesische Wasserfest. Vor 3 Jahren haben wir das zusammen gefeiert und beim Wasserspritzen hast du deinen Ring verloren. Ich habe dir gesagt, sieh es als Spende. Es ist gut für dein Karma, denn wer den Ring findet hat nun eine Freude. Dieses Jahr wurde das Fest abgesagt und unsere Studenten haben überall Kerzen in die Fenster gestellt, um an die Opfer der Militär-Mörder zu erinnern. Jede Nacht höre ich Schüsse und Explosionen hier in Mandalay.

Die Demonstranten werden weniger, aber der Wille ist ungebrochen. Das Militär schießt einfach in die Demonstrationen.

Inzwischen versucht sich die Opposition zu bewaffnen. Es entstehen bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen. Bald werden sie aus den Häusern auf die Soldaten auf der Straße schießen. 

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Viele Dozenten und Lehrer an den Universitäten, weigern sich weiter zu unterrichten. Sie halten in ihren Privatzimmern kleine Vorlesungen ab. Aber es ist gefährlich. Wenn es der Geheimdienst mitbekommt, werden alle verhaftet und verschwinden für immer. Alle haben Angst, aber keiner will aufgeben. 

Unsere jungen Leute nennen sich Generation Z und sie tragen maßgeblich die „Bewegung des Zivilen Ungehorsams“ (CDM). 

Viele, vielleicht 70 Prozent der Beschäftigten, der Lehrer, der Bahnbeamten, der Ärzte, haben sich der CDM angeschlossen. Da es überall Geheimdienstleute gibt, sind viele in Gefahr. 

Die zivilen Krankenhäuser sind also praktisch geschlossen, die viel besser ausgestatteten Militärkrankenhäuser natürlich nicht. 

Von den Geldautomaten bekommt man hier kein Geld mehr, die Banken sind zu. 

Da weder Internet noch Telefon regelmäßig funktionieren, produzieren die Firmen nichts mehr. Die Arbeiter bleiben ohne Lohn daheim.

Nun hat die Armee unsere Universität besetzt. Sie beschlagnahmen alles, was sie brauchen können, auch jeden Privatbesitz in jeder Wohnung auf dem Campus, der ihnen in die Finger fällt. Insbesondere die vielen Uni-Lehrer, die streiken, sind in Gefahr. Deshalb sind viele aufs Land oder in den Dschungel gezogen.

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Der Stamm der Loei in den Bergen hat dich adoptiert, weil du ihn oft besucht und ihre Kinder in englisch unterrichtet hast. Wie du weißt, verhindert das Militär Schulen in den Stammesgebieten, damit die Kinder dumm bleiben und eine ungebildete Generation heranwächst, die sie besser kontrollieren können. Die Loei sind dir immer dankbar und haben dich in guter Erinnerung. Aber jetzt ist es sehr gefährlich, sie in den Bergen zu besuchen. Die Loei Underground Army könnte dich zwar mit ihren Gewehren beschützen. Aber wenn die Armee mit ihren Hubschraubern und Flugzeugen kommt und Bomben in die Dörfer wirft, können wir uns nicht wehren.

Unterricht findet deshalb vor allem in buddhistischen Klöstern statt. In dem Kloster bei Naphai hast du ja den Januarkurs in Englisch unterrichtet. Weißt du noch, wie begeistert die Kinder und Mönche waren. Schließlich verirrt sich kaum ein Weißer in diese gefährlichen Stammesgebiete.

Meinen Großonkel, den General der nördlichen Shan-Untergrundarmee (SSA), haben wir besucht. Du warst überrascht, dass sie sogar alte G3 Heckler & Koch Gewehre haben. Das nächste Mal wolltet ihr zusammen auf die Jagd gehen. Jetzt ist er gestorben. Es gab einen Schusswechsel zwischen seinen Leuten und Armeesoldaten. 

Aber die Shan sind schlecht bewaffnet. Sie haben vor allem kein Geld. Die Gewehre kaufen sie von korrupten Generälen in China und Thailand. 

Myanmar unter der Militärdiktatur
Weißt du noch, wie wir letztes Jahr zusammen mit dem Motorrad in die Highlands gefahren sind und sie uns dort stolz ihre Opiumfelder gezeigt haben. Du hast mit dem Häuptling zusammen geraucht und seine Frau hat uns Tee gebracht. Ein Teil des Opiums wird nun verkauft, um neue Waffen zu kaufen. 

Ich werde in meine Heimat, den Shan State, zurückkehren. Dort leben ja meine Eltern und ich habe noch Cousins in der Underground Shan State Army. Die haben wir ja vor 3 Jahren in Hsipaw besucht. 

Inzwischen hat die Kachin Independence Army (KIA) einen Hubschrauber der Armee abgeschossen. Hoffentlich gibt es nicht so viel Racheakte der Armee.

Vielleicht entsteht bald eine «Civil Defence Alliance». Das sind die lokalen, bewaffneten Selbstverteidigungsgruppen und Untergrundarmeen von einigen Stämmen, die sich zusammenschließen. 

Es ist traurig, dass uns der Westen, der sich sonst hochmoralisch gibt, nicht unterstützt. Wir sind vergessen, aus den Schlagzeilen verschwunden. Wir müssen uns selbst helfen. But we never give up.

Wenn ich irgendwann wieder Internet habe, 

schreibe ich dir, mein Freund Klaus

Deine

Whue*

Professorin an der Universität in Mandalay“


*Der Name der Autorin ist geändert. 

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