Tichys Einblick
Neo-Appeasement und große, leere Worte

Das historische Versagen von Biden, Obama und Merkel machte Putin die Bahn erst frei

Deutschland will Härte gegen Russland – zum Nulltarif. Doch allen voran haben die US-Präsidenten, erst Barack Obama und dann Joe Biden, in der Russland-Politik versagt. Von Sebastian Thormann und Max Mannhart

IMAGO / ZUMA Wire

Formal ist Deutschland geeint in der Ablehnung Putins, die Jugendorganisationen von Grünen, SPD, CDU und FDP demonstrieren gemeinsam vor der russischen Botschaft in Berlin. Auf den ersten Blick gibt es hier nur wenige „Putinversteher“, wie etwa Gerhard Schröder, der öffentlichkeitswirksam ausgeschlossen und geächtet wird.

Eigentlich, so scheint es, hat Deutschland ja alles richtig gemacht. Nur Putin dreht eben durch – aus dem Nichts. Das hätte ja keiner ahnen können! Wir armen Opfer – haben wir doch alles richtig gemacht und immer schön die Ukraine-Flagge auf das Brandenburger Tor projiziert und fleißig getwittert, wie böse wir Putin finden.

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Aber Deutschland wollte immer zwei Dinge gleichzeitig haben, die man nicht gleichzeitig haben kann: einerseits Putin die Stirn bieten, andererseits aber den vertragsmäßigen Beitrag zur Verteidigung – gemäß dem 2-Prozent-Ziel der NATO – einfach nicht bezahlen. Einerseits die Einheit gegen Russland beschwören, andererseits nicht nur die USA brüskieren und beschimpfen, sondern zugleich auch Osteuropa abdrängen, wo es nur geht. Man will Sanktionen gegen Putin, nur Nord Stream 2 wollte man bis vor wenigen Tagen nicht antasten – denn die Rechnungen für die Verteidigung Europas sollen immer die anderen zahlen. Und die Energiewende hat eben Vorrang.

Den idealen Verbündeten hat man nun in Joe Biden gefunden. Verbal brüstete er sich stets als harter Hund und beschimpfte seinen Vorgänger als putinhörig. Doch er ist derjenige, der vor Putin kuscht. Nicht in seinen Worten, aber seinen Handlungen.

Das sieht man gerade am Beispiel Nord Stream 2. Biden selbst war es, der die Sanktionen der Vorgänger-Regierung gegen Nord Stream 2 aufhob und damit half, den Weg für die Pipeline endgültig freizumachen. Erst vor ein paar Wochen blockierte Bidens Partei im US-Senat Sanktionen gegen das russische Pipeline-Projekt.

Jetzt soll es zumindest ein vorläufiges Ende von Nord Stream 2 geben. Doch ein vorläufiges Ende einer Pipeline, die noch gar nicht in Betrieb ist, ist eine Maßnahme, die nicht all zu viel Bedeutung hat. Der Stopp, der jetzt als schlimme Strafe gegen Putin präsentiert wird, war lange vor einer Invasion die Position der USA und vieler NATO-Verbündeter. Deutschland will wieder einmal stark sein, aber nichts dafür bezahlen.

Es waren Barack Obama und damals Vizepräsident Joe Biden, die noch zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts die Gefahr durch Putin herunterspielten. Beide attackierten den Republikaner Mitt Romney in der Präsidentschaftswahl 2012 dafür, dass er Russland als größte außenpolitische Gefahr sah. „Die 80er haben angerufen und wollen ihre Außenpolitik zurück“, hieß es damals spöttisch gegenüber Romney. Der meldete sich jetzt zurück und schrieb heute auf Twitter: „Die 80er haben sich ‚zurückgemeldet‘ und wir haben nicht geantwortet.“

Man kann Putin vieles vorwerfen, aber nicht, dass er die Welt im Unklaren gelassen hätte. Über Monate ließ er seine Truppen an der Grenze zur Ukraine durch die Gegend ziehen, um herauszufinden, wie der Westen reagieren würde. Und diese Reaktion wurde ihm mehr als klar.

"minor incursion"
„Geringfügiges Eindringen“: Joe Biden sendet ein fatales Signal nach Moskau
Es war immer nur vage die Rede von „harten Sanktionen“, aber wie die tatsächlich aussehen und wann sie zu tragen kommen würden, darüber gab es selten ein klares Bild. Noch vor ein paar Wochen lieferte Biden in einer Pressekonferenz jenen Satz: „Ich denke, was Sie sehen werden, ist, dass Russland zur Rechenschaft gezogen wird, wenn es einmarschiert. Und es kommt darauf an, was es tut. Es ist eine Sache, wenn es sich um einen geringfügigen Einfall handelt und wir uns am Ende darüber streiten, was zu tun und zu lassen ist, und so weiter. Aber wenn sie mit den an der Grenze versammelten Kräften tatsächlich das tun, wozu sie in der Lage sind, wird es eine Katastrophe für Russland.“

Ein „geringfügiger Einfall“ russischer Truppen („minor incursion“), was auch immer das sein mag, ist also kein großes Thema? Das klang für viele Kritiker wie eine Einladung an Putin für eine Art „kleine“ Invasion. Das Weiße Haus ruderte später zurück – das wäre ja alles so nicht gemeint gewesen –, aber die Worte waren in der Welt und Putin zog seine Schlüsse. Der Satz von der „kleinen Invasion“ dürfte genauso in die Geschichte eingehen, wie Bidens Ausspruch, Kabul wäre nicht Saigon, wenige Wochen bevor die US-Botschaft in Afghanistan per Helikopter evakuiert werden musste.

Unter Biden gilt Reagans altes Motto „Frieden durch Stärke“ schon lange nicht mehr. Denn es kann wohl kaum jemand behaupten, dass die USA unter seiner Regierung etwa nach dem Debakel in Kabul Stärke ausstrahlen würde. Anders als sein Vorgänger ist Biden für Putin ein berechenbarer Gegenspieler. Klar, ein paar Sanktionen wird es geben, aber das ist für Putin am Ende ein Witz.

Putin agiert, der Westen schaut zu und denkt, Panzer ließen sich mit Protestnoten entwaffnen. Jetzt bricht Moskau in Osteuropa ein, und der Westen wird abermals gedemütigt. Und so wird es weitergehen: Wenn das alte Russland mitten in Europa einen Krieg vom Zaun brechen kann, warum sollte China sich dann nicht Taiwan einverleiben können?

Man muss es klar sagen: Biden und Obama und Merkel haben Putin die Tore zur Ukraine geöffnet. Diese Politik des Neo-Appeasement muss enden.

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