Tichys Einblick
Offener Brief einer Ex-Redakteurin

Bari Weiss: Twitter ist maßgeblicher Redakteur der „New York Times“

Die New York Times wird erneut ärmer. Nach dem Meinungschef James Bennet verlässt nun auch eine seiner Mitstreiterinnen die Zeitung. Bari Weiss schreibt einen offenen Brief zum Abschied bei der NY Times, in dem sie ihren Ex-Kollegen Realitätsferne, Mutlosigkeit, Intoleranz und Mobbing vorwirft.

imago Images

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann Bari Weiss die New York Times verlassen würde. Laut ihrem „Rücktrittsbrief“, den sie auf ihrer persönlichen Website veröffentlichte, war sie schon lange bei ihren Kollegen in Ungnade gefallen. Nicht erst seit sie den Offenen Brief gegen die »cancel culture« im Harper’s Magazine mit unterzeichnet hatte.

Bari Weiss kam 2016 zur New York Times. Als Teil einer personalen Frischzellenkur sollte sie der Zeitung eine dichtere Vision der amerikanischen Gesellschaft ermöglichen, nachdem die Times – ebenso wie der größere Teil des liberalen Establishments – daran gescheitert war, Trumps Wahlsieg vorauszusehen. Weiss, die von manchen als Konservative wahrgenommen wird, sieht sich selbst als linke Zentristin, die allerdings mit dem beständigen Linksdrall des politischen Diskurses unzufrieden ist.

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Zusammen mit Weiss war James Bennet zur Times gekommen. Er musste vor kurzem harakiri-artig seinen Hut nehmen, als eine Revolte seiner Kollegen Rache für ein unbequemes Meinungsstück forderte, das er zu verantworten hatte. Das Stück stammte vom republikanischen Senator Tom Cotton und bestärkte Trump in seinen Überlegungen zum Einsatz des Militärs gegen die aktuellen Unruhen; die Überschrift der Meinungsredaktion für diesen Text lautete »Send in the Troops!«. Erst musste sich Bennet entschuldigen, dann ging er, nachdem auch sein Chef, Times-Erbe A. G. Sulzberger, ihn nur halbherzig verteidigt hatte. 

Im Verein mit Bennet hat Weiss in den vergangenen Jahren abweichende Stimmen wie Glenn Loury und Ayaan Hirsi Ali und, ja, auch ein paar Dissidenten (aus dem sozialistischen Ausland, darunter den Venezolaner Quilly Arteaga) in die Spalten der Times gehoben. 

Das waren unbestreitbare Leistungen. Doch das eigentliche Ziel – durch diese Beiträge auf Redaktion und Leserschaft auszustrahlen – hat sie nach eigener Ansicht nicht erreicht. Was Weiss aus der Redaktion der NYT berichtet, klingt eher nach Prawda-artigen Verhältnissen. Der neue Konsens dort sei demnach, dass man »die Wahrheit« nicht mehr gemeinsam, am Ende gar intersubjektiv entdeckt; die Wahrheit werde in der NYT stattdessen als „orthodoxy already known to an enlightened few whose job is to inform everyone else“ verstanden, als Orthodoxie, die den wenigen Erleuchteten schon bekannt ist, welche nur noch alle anderen von ihr informieren müssen.

»Das ist offenbar wahr, aber wir können das hier nicht sagen«

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Wo wird nun aber diese Wahrheit erzeugt oder destilliert, die alle Erleuchteten kennen, aber kaum einer argumentativ verteidigen kann? Natürlich im Wahrheitsministerium, nur dass dasselbe heute – immer nach Bari Weiss – Twitter heißt: »Twitter steht nicht im Impressum der New York Times, aber Twitter ist heute ihr maßgeblicher Redakteur.« Die vor sich hergetragene Moral der Twitterati ebenso wie der Rest ihrer merkwürdigen »Gebräuche« schlägt sich inzwischen direkt auf den Seiten der Times nieder. Dort geht es folglich um die Abschirmung eines wohlbehüteten Gruppenkonsenses von der breiteren Gesellschaft. Trump – und alles, was mit ihm verknüpft wird – ist zur negativen Obsession dieser Leute geworden.

Ein guter Freund von Bari Weiss, der Mathematiker Eric Weinstein, bringt es auf die Formel: »Irgendwann nach dem Jahr 2011, hörte die NYT allmählich auf, Nachrichten zu berichten, um selbst die Nachricht zu werden.« Bari Weiss habe sich gegen diesen Trend gestemmt, den auch Douglas Murray in seinem Artikel für den Spectator USA beschreibt. Doch Weinstein denkt seinen Gedanken noch etwas weiter: »Ihr Brief gibt einen Hinweis auf die wirkliche Neuigkeit: der *Verlust* der Nachrichten ist nun *die* Nachricht, die allerdings in den Nachrichten nicht mehr vorkommen kann.« Man kann es in ein einfaches Bild kleiden: Eine Schnecke zieht sich in ihr Haus zurück, um dessen Windungen zu erkunden. Die gefundenen Informationen funkt sie dann an andere Schnecken und Muscheln. Alle Schnecken wundern sich, warum die Muscheln nichts verstehen. Die Muscheln wenden sich dem Muschel-Radio zu, das noch über die Außenwelt berichtet.

Erfahren hatte Weinstein durch Bari Weiss von diesen Zuständen. Nachdem er im Gespräch eine für ihn sehr einfache Tatsache dargelegt hatte, antwortet ihm Weiss, sozusagen aus der Tiefe des Schneckenhauses sprechend: »Das ist offenbar wahr, aber wir können das hier leider nicht sagen. Damit könnte man mich aufknüpfen.«

Falschdenk trifft auf Neusprech

Dass Weiss irgendwann genug von diesem Denk- und Seinsmodus haben würde, stand zu erwarten. Was wäre ihr wichtig gewesen, damit sie ihren Weg weiter mit der New York Times hätte gehen können? Es sind simple Dinge in einer komplizierten Zeit:

  • dass es entscheidend ist, andere Amerikaner (will sagen: die Anhänger anderer Parteien und Vertreter anderer Meinungen) zu verstehen,
  • dass man dem politisch-publizistischen Tribalismus widersteht und 
  • dass der freie Meinungsaustausch für eine demokratische Gesellschaft zentral ist.

Doch diese Lehren wurden laut Weiss nicht gelernt. Stattdessen trieb man auch mit Weiss das üble Spiel, wie sie es von anderen kannte: beständiges Mobbing von Kollegen, die nicht ihrer Meinung waren, inklusive Beschimpfung als »Nazi« und »Rassistin«, dazu Beschwerden, dass sie »schon wieder über die Juden schreibe«. Namentlich das Engagement für Israel hat ihr viele Gegner unter der neuen Linken eingebracht.

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Weiss spricht ironisch von ihren »eigenen Ausflügen ins Wrongthink« – genauso sahen es viele ihrer Kollegen, die sie folglich offen und hinter ihrem Rücken schnitten. Schönstes und zugleich grässlichstes der Bonmots der Kollegen, das so oder ähnlich gerade zum kulturellen Leitmotiv wird: Die New York Times könne erst dann ein »inklusiver« Ort sein, wenn Weiss ihr nicht mehr angehört. Neusprech trifft auf Falschdenk. Inklusion wird zur Exklusion.

Die Folgen dieser geistigen Monokultur offenbaren sich, so Weiss, auch im Inhalt der Zeitung, zum Beispiel wenn es den »4000. Gastkommentar« gebe, der behauptet, dass Donald Trump eine Gefahr für das Land und die Welt darstelle. Zudem wurden die Ausdrucksformen der »neuen Orthodoxie« in diesem Klima kaum auf ihren Wahrheitsgehalt oder auch nur auf die innere Folgerichtigkeit hin geprüft, was natürlich nicht für die Vertreter anderer Ansichten gilt.

Eben auf dieser Asymmetrie beruhen auch die Probleme der Redakteure einer »offenen« Meinungsseite wie jener der Times (offen für wen, darf man heute fragen): Passt ein Gastkommentar nicht ins Raster, dann droht Ärger bis zur Demission. Weiss stellt jedenfalls eine deutliche Verschlechterung ihrer Arbeitssituation während der letzten zwei Jahre fest. Und man muss es wohl einmal so sehen: Ein meinungs- und kompetenzfeindliches, zum geschlossenen System tendierendes Klima in den Medien eines Landes führt dazu, die wirklich neugierigen Journalisten aus dem System fernzuhalten.

Die Umstände des Abtritts von James Benett als Chef der NYT-Meinungsseite bilden den Hintergrund für diese Überlegungen. Weiss schreibt davon, wie jedes Stück, das nicht hundertprozentig in das Meinungsspektrum der jungen Radikalen passt, nur nach sorgfältigster Bearbeitung und mit wohlbedachten Einschränkungen erscheinen kann. Dass man ein Stück wie das des Republikaners Tom Cotton – Murray nennt es »perfectly reasonable« – nur mit einem einschränkenden Vorspann veröffentlichte und den verantwortlichen Redakteur darüber aus dem Haus trieb, will Weiss nicht verstehen. Ebensowenig, dass andere Kommentare mit weitaus absurderen Vorstellungen, etwa über »eidechsenartige Illuminati«, unkommentiert erscheinen konnten.

In der »fernen Galaxie«, in die sich die Redaktion der Times abgesetzt hat, wird unter anderem das Raumfahrtprogramm der Sowjetunion für seine »Diversität« gelobt, während die USA als Apartheid-System gleich hinter Nazi-Deutschland rangieren.

Eine großartige Zeitung für ein großartiges Land?

Doch Weiss’ Gedanken zeigen noch andere Dimensionen auf. Denn sie glaubt nicht einmal, dass die vorgetragenen absurden Meinungen von der Mehrheit der Redakteure vertreten werden. Vielmehr werde diese an sich halbwegs vernünftige Mehrheit von der verrückten Minderheit niedergehalten. Doch warum lassen die vernünftigen Liberalen das mit sich machen? »Vielleicht weil sie an die Gerechtigkeit des letzten Zieles glauben«, vermutet Weiss. »Vielleicht auch, weil sie glauben, sie würden Schutz erhalten, wenn sie nur ihr OK geben…« Und vielleicht wollen sie auch einfach nur ihren Job behalten. Nur in privaten Gesprächen, insgeheim schreiben diese Kollegen, dass es heute wieder einen »neuen McCarthyismus« gebe. Da ist es offenbar schwer, für seine Meinung öffentlich aufzustehen.

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All das geht noch etwas darüber hinaus, was aus deutschen Redaktionsstuben bekannt ist. Doch auch hierzulande fährt das Schiff immerzu in dieselbe Richtung – hin zu einer Einheitsmeinung, aus der bald kein Leser und schon gar kein Zuschauer oder Zuhörer mehr schlau wird. Es sind vielleicht andere, auf den ersten Blick weniger rigide Sprach- und Denkverbote, die hierzulande gelten. Doch für die, die dazugehören wollen (ob in den Medien oder anderswo), sind sie nicht weniger bindend, als es der »Woke«-Code für die »neue Orthodoxie« der Anglosphäre ist.

Eine Hoffnung hat Bari Weiss, doch die ist zugleich eine Gewissheit: Auch wenn alle Traditionsmedien ihre Standards weiterhin beständig unterschreiten, werden die Amerikaner nach sorgfältig recherchierten Nachrichten, nach ehrlichen Debatten und lebendigen Meinungsbeiträgen hungern. »Amerika ist ein großartiges Land, das eine großartige Zeitung verdient.«

Oder wie es Douglas Murray in seinem Text abschließend ausdrückte: »Bari Weiss hat eine strahlende Zukunft vor sich. Dasselbe kann nicht von der Zeitung gesagt werden, die sie gerade verlassen hat.« Zugleich mit Weiss verließ auch Andrew Sullivan das New York Magazine. Die Fama will es, dass beide bald zusammen ein neues Projekt starten, das den Vereinigten Staaten vielleicht wieder eine wirklich inklusive und damit im besten Sinne liberale Stimme schenkt.