Tichys Einblick
Ausweichroute über Russland im Gespräch

Kommt nach Polen Finnland an die Reihe?

Eine Analysefirma berichtet von „neuer Begeisterung“ über die mögliche Ausweichroute über Russland für Migranten aus Nahost. Noch ist sie aber nicht in Betrieb. Der polnische Grenzschutz erweist sich derweil als wirksam. Lukaschenkos Plan ist vorerst nicht aufgegangen.

Finnischer Grenzschutz patrouilliert an der Grenze zwischen Finnland und Russland in Imatra, Finnland

IMAGO / Lehtikuva

Die von Soldaten und militärischer Aufklärung auch aus der Luft unterstützte Verteidigung der polnischen Grenzen trägt allem Anschein nach Erfolge. Auch der Machthaber in Minsk kann, das sagte er schon Ende November, seine Provokationen nur bis zu einem bestimmten Punkt fortführen. Ende November sagte er den im Logistiklager bei Brusgi versammelten Migranten: „Es ist nicht meine Schuld, wenn Deutsche und Polen nicht auf mich hören wollen. Ich werde alles tun, was ihr von mir verlangt, auch wenn es zum Schaden der Polen und von anderen ist. Aber ihr müsst verstehen, dass wir keinen Krieg beginnen können, um einen Korridor durch Polen nach Deutschland zu erzwingen.“

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Auch die Analysefirma Semantic Visions, die die Schleusernetzwerke auf Online-Foren wie Facebook analytisch in den Blick genommen hat, berichtet nun von einem Rückgang der Online-Angebote für Reisen aus dem Irak und Nahost nach Weißrussland. Stattdessen wird nun die Route über Russland und Finnland als mögliches Eintrittstor in die EU angepriesen, wie die schwedischsprachige Zeitung Hufvudstadsbladet berichtet. Dass es wirklich zu diesen Migrationsströmen kommen wird, ist dadurch noch nicht klar, wie Forschungsleiterin Monika Richter erklärt. „Aber die Reaktionen in den sozialen Medien waren sehr positiv“, so Richter gegenüber Radio Free Europe. Man könne sogar von einer „neuen Begeisterung sprechen, dass es eine alternative Route gibt, um die Beschränkungen der Route über Minsk zu umgehen“.

Aus Facebook-Gruppen und Profilen lässt sich also noch nicht die analoge Realität prophezeien. Aber ihre Analyse kann als Glaskugel dienen, um mögliche Entwicklungen abzusehen. Die Kommunikationsleiterin der finnischen Sicherheitspolizei, Milla Meretniemi, sagte, man sei sich „bewusst, dass diese Art von Marketing“ stattfinde. Die Schutzpolizei, die in Finnland für den Staatsschutz zuständig ist, scheint sich bereits vorzubereiten, ohne dass das von Meretniemi öffentlich kommentiert wird.

Hunderte flogen zurück in den Irak: Bilder zeigen meist junge Männer

Ist die Grenzkrise am Bug also beendet? Noch nicht ganz. Von der schneebedeckten Grenze zu Weißrussland melden die polnischen Kräfte auch weiterhin Vorfälle mit aggressiven Ausländern, die versuchen, den Grenzzaun zu durchbrechen. Am Samstag waren es 55 Migranten bei Czeremcha, die einen polnischen Beamten mit einem Stein im Gesicht verletzten. Am Sonntag versuchten es 60 „aggressive Personen“ bei Mielnik. Zuvor hatten Migranten in einer Nacht nicht nur Äste und Holzstücke in Richtung des Zauns und der Grenzschützer geworfen. Sie beleidigten auch die Grenzer selbst als Rassisten, ebenso deren Mütter mit expliziten Ausdrücken.

Die Sprecherin des Grenzschutzes kündigte an, dass man in der dritten Dezemberwoche eine Zusammenarbeit mit Frontex und Vertretern des Iraks sowie der Demokratischen Republik Kongo beginnen werde. Aufgegriffene Migranten sollen identifiziert werden, um Rückführungen zu ermöglichen.

Laut polnischen Quellen wurden am Freitag nochmals 400 Migranten von Minsk in den Irak geflogen. Ministersprecher Stanislaw Żaryn ließ dennoch keinen Zweifel daran, dass sich Polen auf weitere hybride Angriffe von der Seite Weißrusslands vorbereitet. Noch immer befinde sich eine „große Gruppe Ausländer“ in dem Land, die in die Tausende gehe und fähig sei, die polnischen Grenzen anzugreifen. Der Rückflug von Minsk muss der fünfte oder sechste gewesen sein. Auf den Bildern von ähnlichen Flügen fallen weder Frauen noch Kinder ins Auge.

Viele der rund 7.000 nahöstlichen Migranten in Weißrussland hoffen auch weiterhin auf eine Weiterreise in die EU, wie die belarussische Staatsagentur Belta derweil meldet. So interviewte Belta nun einige Migranten in dem provisorischen Unterbringungszentrum bei Brusgi nahe der polnischen Grenze. Ein Mann, der lange in Russland als Kurier und Taxifahrer gearbeitet hat, erzählt: „Ich bin mit meiner Frau im Logistikzentrum, die Kinder sind bisher mit meiner Schwester in ihrer Heimat geblieben. Die Bedingungen hier sind gut: Wir bekommen zu essen und können Ärzte kontaktieren. Aber wir wollen nach Deutschland. Das ist unser Hauptziel.“ Angeblich gibt es keinen Ort, an den er und seine Frau zurückkehren könnten: „Wir sind bereit zu warten, aber es ist sehr schwierig.“ Trotz der Aussage des Mannes ist der Agenturbeitrag vor allem mit den Bildern von Kindern und Frauen bebildert.

Lukaschenko sieht „viele Probleme in der EU“

Im Gespräch mit dem türkischen Sender TRT bestätigte Lukaschenko nun, dass derzeit keine Gespräche mit der EU oder Deutschland stattfänden: „Es gibt jetzt viele Probleme in der EU, also ist das Thema nicht an der Reihe, wie wir verstehen.“ Er forderte die EU auf, Beweise vorzulegen, dass er Migranten durch sein Land an die EU-Außengrenze schmuggele: „Fakten auf den Tisch!“ Sobald es Beweise gebe, werde er sich öffentlich entschuldigen.

Die Migranten seien aber legal nach Weißrussland gekommen: „Sagen Sie mir, welche internationalen Normen ich als Person oder die weißrussischen Behörden verletzt haben?“ Alle anderen Behauptungen seien nur ein Versuch, Druck auf sein Land auszuüben. Vor allem seien aber die westlichen Staaten selbst schuld, wären sie doch zuvor gemeinsam mit den Vereinigten Staaten in das Territorium dieser Länder – Irak, Syrien, Afghanistan – eingedrungen, sodass die jungen Menschen dort heute „keine Zukunft“ hätten. Neben der weißrussisch-osteuropäischen gebe es natürlich auch andere Routen in die EU, vor allem über das Mittelmeer und den Balkan.

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