Tichys Einblick
Gambia

Als Einwanderin im Lande der Auswanderungswilligen

Gespräche mit zwei Frauen im westafrikanischen Gambia: Die eine kam aus München, um dort zu leben und arbeiten, wo so viele weg wollen. Die andere will bleiben, und erklärt, warum so viele ihrer Landsleute auswandern – und was eine kluge Entwicklungshilfe tun sollte.

Fischmarkt in Bakau, Gambia

IMAGO / Peter Schickert

Mercedes Rodríguez ist Wahlmünchnerin, stammt aus Panama und ihre Familie und ihr Freundeskreis sind über die Welt verstreut. Nach mehreren Jahrzehnten in Deutschland hat es die Kunsthistorikerin ins westafrikanische Gambia verschlagen, ein kleines Land am gleichnamigen Fluss, in das nur sehr wenige Europäer ein-, aber viele Menschen nach Europa auswandern.

Vom Mündungsgebiet des Gambia starteten in der zweiten Hälfte 2020 Tausende von Menschen in Fischerbooten zu den Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören.  Rund 500 Migranten kamen allein im Herbst vergangenen Jahres auf dem Seeweg zu den Kanaren um.

Rodríguez weiß, was die gambischen Migranten trotz dieser Gefahren motiviert: „Nicht alle schaffen es, der Familienernährer zu sein, wie es von ihnen erwartet wird. Sie hören über Europa wundersam verführerische Geschichten wie, dass es für weniger Arbeit mehr Geld gibt, und dass wer keinen Job hat, ein Gehalt vom Staat kriegt.“ Sie riskieren ihr Leben, geben Schleppern ihre Ersparnisse und viele verschulden sich, um dann doch nur am Rand der europäischen Gesellschaft zu leben. Die Legenden über ein besseres Leben in Europa werden teilweise über soziale Medien verbreitet oder auch von Gambiern und Senegalesen, die in Spanien, Frankreich oder Deutschland leben und nicht zugeben wollen, dass sie eigentlich gescheitert sind.

Mercedes Rodríguez

Die polyglotte Rodríguez, die fünf Sprachen fließend spricht, hat es umgekehrt gemacht. Sie hat auf die soziale Hängematte in Deutschland verzichtet, die einige afrikanische Migranten suchen, und sich für eine Arbeit in Afrika entschieden. Viele halten sie deswegen für verrückt, sagt sie, „aber jetzt in Pandemiezeiten ist das Leben hier einfacherer. Wegen der Temperaturen halten wir uns fast ausschließlich draußen auf und ich habe hier viele Freunde gefunden unter den Einheimischen.“ Das Leben ist sehr günstig im Vergleich zu Europa, was den Start für Auswanderer wie Rodríguez einfacherer macht. Sie kam Anfang 2019 als Tourismusexpertin nach Gambia, wo sie zunächst für einen Reiseveranstalter arbeitete: „Dann kam die Pandemie und alles war vorbei“. Zwar wurde das Land bei weiten nicht so erwischt von dem Virus wie Europa, aber der Tourismus wurde schwer getroffen. Vor allem Briten besuchen normalerweise das Land. Die Amtssprache der ehemaligen Kolonie ist Englisch.

Die Sogkraft Europas ist wie einanderen afrikanischen Ländern auch mit der  Geschichte der Region verbunden. Der Pariser Frieden von 1763 übertrug Großbritannien die Herrschaft über Gambia, bis es 1965 unabhängig wurde. Der umgebende Senegal dagegen blieb bis 1960 französische Kolonie. Die generationenübergreifenden Erfahrungen und Erinnerungen von Ausbeutung  vermischen sich mit Bewunderung für die Kolonialherren. In der Zeit des transatlantischen Sklavenhandels wurden mehr als drei Millionen Afrikaner nach Amerika verschleppt. Erst 1807 beendete Großbritannien den Sklavenhandel offiziell.

Gambia mit seinen 2,3 Mio. Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 182 pro Quadratkilometer hat bisher offiziell 128 Covid-19-Tote registriert. Rodríguez hat ihre sozialen Kontakte reduziert. Aber für die Einheimischen ist der Virus kein Drama: „Wir haben hier mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, wie zum Beispiel Malaria“, berichtet die 22jährige Adama Ceesay, die in der Nähe der Hauptstadt Banjul lebt und dort bei einer lokalen Produktions- und Handelsfirma in der Buchhaltung arbeitet. Für sie ist Auswandern keine Lösung, um der Armut des Landes zu entfliehen. Jetzt schon gar nicht, wo in Europa der Coronavirus viel schlimmer tobt. Sie will eigentlich nicht weg aus Gambia. Allerdings gehört sie auch zu der Schicht, der es etwas besser geht. „Sie sind natürlich nicht gebildet und wissen nicht, dass viele dort auch Schulden haben, dass Europa kein Schlaraffenland ist“, sagt Ceesay über die Auswanderungswilligen. Die Protzgeschichten vieler Landsleute über ihr Leben in Europa glaubt sie nur bedingt. „Diejenigen, die das Land verlassen, sind nur halb ausgebildet“. Die gelernte Buchhalterin will auch nach Europa: „Aber nur zum Studieren und am besten mit einem Stipendium“. Sie hat bereits einen Bachelor-Abschluss, aber das reicht ihr nicht. „Einwanderung darf nicht irregulär sein“, das hat sie in ihren jungen Jahren bereits verstanden. 

Adama Ceesay

„Die Ungleichheiten sind hier größer als in jedem westlichen Land“, sagt Rodríguez. In Gambia gibt es außerdem auch keine Bodenschätze wie in Nigeria oder Südafrika gibt. Aber das hat das Land wiederum auch vor kriegerischen Auseinandersetzungen und Kriminalität geschützt: „Ich fühle mich hier sicher“, sagt Rodríguez. Die Menschen seien freundlich, hilfsbereit und lebensfroh. Die dominante Religion, der Islam, kaum zu spüren. Allerdings schlägt sie sich gerade mit den gambischen Behörden vor Ort herum, sie wartet auf eine Arbeitsgenehmigung – nicht viel anders als Gambier in Europa. „Es hat damit zu tun, wo du herkommst und was du gewohnt bist. Gambia ist landschaftlich ein Paradies, wo das Leben nichts mit dem in Europa zu tun hat. Der Rhythmus und die Werte sind anders hier“, sagt Rodríguez. Auf der anderen Seite bietet es wirtschaftlich nicht viele Möglichkeiten. Zwei Drittel bis drei Viertel der Erwerbstätigen arbeiten dort in der Landwirtschaft, die fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Starke Frauen und fliehende Männer

Es sind pragmatische und motivierte Frauen wie Adama Ceesay die Mercedes Rodríguez so begeistern in Gambia: „Sie sind stark, sehr gut organisiert und intelligent“. Wobei es wie überall darauf ankommt, wo jemand und wie jemand aufgewachsen ist. Ceesay wohnt jetzt in der Nähe der Hauptstadt Banjul: „Auf den Dörfern gibt es keine guten Schulen, keine Universitäten. Die Menschen, die jetzt nach Europa gehen, kommen oft vom Land. Denn mit Bildung bekommt man auch hier Arbeit“, sagt die junge Frau. Was die Menschen lockt ist auch der Euro, der so viel wert ist in ihrem Land. Selbst wenn sie in Spanien auf der Straße nur gefälschte Ware verkaufen können, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, „verdienen sie damit wegen der Kaufkraft der Währung das Dreifache im Vergleich zu ihrer Familie in Gambia“, weiß Ceesay.  

Und was ist es, das die wirtschaftliche Entwicklung in Gambia bremst? Das Land sei, sagt Rodríguez, „wesentlich offener als andere muslimische Gesellschaften, weil die afrikanische Kultur hier einfließt, aber wirtschaftlich sorgt diese teilweise auch für Ineffizienz“. Und außerdem: „Interne Märkte werden durch Importe kaputtgemacht: Second-Hand Kleider, Lebensmittel unter dem einheimischen Herstellungspreis, Großfischerei, Billigwaren, vor allem Plastik, aus Asien“. Zudem gäbe es zu viele ausländische Investitionen, die die Einheimischen mit Niedrigstlöhnen abspeisen. 

Frauen wie Adama Ceesay zeigten, sagt Rodríguez, dass wir unser Bild von Afrika ändern müssen. Es sei bestimmt durch die Bilder der Tausenden Migranten, die übers Meer nach Europa kommen und dann in den Straßen der Städte herumlungern, wo sie gerade stranden, weil sie eigentlich nicht willkommen sind. Rodríguez will helfen vor Ort, wo sie kann: „Es ist absolut notwendig, mehr in Aufklärung, Bildung und Kultur zu investieren“. Das glaubt auch Ceesay, die selbst zu den wenigen gehört, die studiert haben: „Meine Familie kommt aus einfachen Verhältnissen, deswegen will ich weiter studieren, um ihnen finanziell zu helfen durch einen noch besseren Job und auch meinen zukünftigen Kindern soll es besser gehen als mir.“

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