Tichys Einblick
Zuwanderer vs. Einheimische:

Wird bei den Leipziger Verkehrsbetrieben nicht jeder Fahrgast gleich behandelt?

Zuwanderer, die bei Kontrollen in einem Leipziger Bus ohne Fahrschein angetroffen wurden, mussten offenbar kein Bußgeld bezahlen.

Bus der Leipziger Verkehrsbetriebe, Symbolbild

imago Images/Ralph Peters

Ein Leipziger empört sich gegenüber TE über ein Erlebnis in einer Buslinie der sächsischen Großstadt im Zusammenhang mit Zuwanderern und der Leipziger Bevölkerung. Er fährt mehrmals am Tag eine bestimmte Buslinie. Nicht täglich, aber regelmäßig werden hier von zusteigenden Kontrolleuren die Fahrscheine kontrolliert. So auch am 11. Juni 2020, als der Fahrgast gegen 16:00 Uhr die Linie 70 Richtung Markleeberg-West nahm.

Nach Angaben des Leipzigers ereignete sich bei dieser Kontrolle Folgendes: Eine Frau mit Kindern mit Leipziger Hintergrund ohne Fahrschein wurde kontrolliert und musste dann entsprechend dem Bußgeldkatalog Strafe zahlen. Im gleichen Kontrollvorgang und im selben Bus wurden Migranten kontrolliert, die ebenfalls keinen Fahrschein hatten, die allerdings ohne Aufnahme ihrer Daten und ohne Bußgeldzahlung oder einer Aufforderung dazu an der nächsten Haltestelle den Bus verlassen durften.

Besagter Fahrgast empörte sich darüber sofort laut und vernehmbar. Der Kontrolleur erklärte nach Protesten von weiteren Fahrgästen, die dann ebenfalls über diese fehlende Gleichbehandlung empört waren, dass es Sonderanweisung im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten gäbe in Zeiten von Corona. Von Migranten würden aktuell auch keine personenbezogenen Daten aufgenommen – sie müssten lediglich des Busses verwiesen werden. Es ginge hierbei um eine Ausnahmeregelung wegen der Corona-Problematik.

TE nahm sich der Sache an, protokollierte zunächst die Schilderung des Leipzigers und fragte dann bei den Leipziger Verkehrsbetrieben der LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH nach einer Stellungnahme. TE schilderte schriftlich, was der Fahrgast erzählt hatte. Daraufhin folgte beim recherchierenden Autor ein Anruf eines Sprechers.

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Der Sprecher der Leipziger Verkehrsbetriebe wurde im Verlaufe des Gespräches ziemlich ungehalten, er hätte es satt, seit 2015 immer wieder solche Behauptungen anhören zu müssen. Offensichtlich bezog er sich auf Anwürfe wegen irgendwelcher Bevorzugungen im Umgang des Unternehmens mit Zugewanderten. Solche Anwürfe hätte es öfter gegeben, die seien aber alle haltlos gewesen. Also aus dem Reich zuwanderungskritischer Fantasien.

Was nun allerdings solche Anwürfe mit Neureglungen im Zusammenhang mit den Corona-Einschränkungen von 2020 zu tun haben, erschließt sich TE nicht in Gänze. Wir bitten den Sprecher daher, uns schriftlich zu bestätigen, dass es dahingehend keine Anweisungen für die Kontrolleure gab oder gibt. Er schreibt: „Vielen Dank für das Telefonat. Eine solche Anweisung gibt es nicht.“

Und er bittet aber noch um Datum, die genaue Uhrzeit und die Buslinie, in der sich der Fall ereignet hätte, er will das intern prüfen lassen und würde uns anschließend das Ergebnis mitteilen.

Neun Tage später sind dann die internen Recherchen in Leipzig abgeschlossen – jedenfalls kommt auf Nachfrage folgende Antwort:

„Vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir haben die Schilderungen mit den Kollegen der Fahrprüfung besprochen und ausgewertet. Grundsätzlich gilt für jeden, der die Leistungen der Leipziger Verkehrsbetriebe in Anspruch nimmt, eine Ticketpflicht. Auf Grund der besonderen Pandemiesituation sind unsere Mitarbeiter jedoch angehalten vorsichtig und mit entsprechendem Abstand Tickets zu kontrollieren. Der Schutz unserer Mitarbeiter geht in jedem Falle vor der eigentlichen Kontrolle. Mit Blick auf die von Ihnen geschilderte Situation kommt erschwerend dazu, dass die LVB derzeit zum Schutz Ihrer Fahrerinnen und Fahrer den Vordereinstieg und damit den Ticketverkauf in Bussen geschlossen haben. In der benannten Situation war dies den zugestiegenen Fahrgästen nicht bekannt, sodass unsere Mitarbeiter die Fahrgäste zum Verlassen des Busses aufgefordert haben, um sich ein Ticket kaufen zu können. Ebenfalls fand eine Belehrung zur Maskenpflicht statt. Diese Situation hat nichts mit den anderen Kontrollsituationen in dem Fahrzeug durch andere Kollegen zu tun. Wir gehen also davon aus, dass es hier mit Blick auf den unbeteiligten Kunden zu einem Missverständnis kam. Kein weiterer Kunde hat sich dazu an die Verkehrsbetriebe gewandt. Wir haben die Situation mit dem betroffenen Kontrollteam und den zuständigen Führungskräften diskutiert und für solche Situationen sensibilisiert.“

Wer zwischen den Zeilen liest, was bei Rückmeldungen von Pressestellen mitunter sinnvoll ist, der erfährt hier tatsächlich mehr, als vordergründig berichtet wird:

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Die Ticketpflicht für alle ist also eingeschränkt zugunsten der Gesundheit der Kontrollierenden. Dehnbar scheint die Dienstanweisung, „vorsichtig und mit entsprechendem Abstand“ während der Kontrollen zu agieren. Heißt das möglicherweise, dass da, wo jemand ohne Fahrkarte und zur Vermeindung von Bußgeld bewusst die direkte Nähe des Kontrolleurs sucht, dieser die Kontrolle abbricht? War die Mutter mit den Kindern nicht nah genug herangekommen? Bricht also der Kontrolleur die Kontrolle dort ab oder führt sie gar nicht durch, wo eine zu große Nähe in Folge des „Erwischtwerdens“ zu befürchten wäre? Aber nicht unbedingt bei einer dem Kindeswohl verpflichteten und entsprechend vorsichtig sich verhaltenden Mutter?

Weiter heißt es in der Antwort des Sprechers der Leipziger Verkehrsbetriebe, dass das Nichtvorhandensein eines Ticketverkaufs vorne beim Fahrer den Zuwanderern nicht bekannt gewesen sei. Heißt das aber wiederum, dass die Mutter mit den Kindern nur nicht pfiffig genug war, sich auf Unwissenheit zu berufen oder hätten die Kontrolleure ihr diese Unwissenheit gar nicht erst abgekauft?

Ach so: Nebenbei wurden die Zuwanderer noch vom Kontrolleur belehrt, dass es im Bus eine Maskenpflicht gibt. Das Nichtvorhandensein einer Maske soll also weiteres Indiz dafür sein, dass die Zuwanderer nicht mit den Gepflogenheiten vertraut sind? Darf man in Deutschland also ungestraft auch Gesetze brechen, so man diese nicht kennt?

Der Kontrolleur war sogar hilfreich gegenüber den Zuwanderern dahingehend, dass er sie bat, sich doch erst ein Ticket zu kaufen um dann mit der nächsten Linie weiterzufahren, während die Mutter mit den Kindern aufgefordert wurde, ihr Bußgeld zu bezahlen.

Weiter heißt es in der Antwort des Sprechers: „Diese Situation hat nichts mit den anderen Kontrollsituationen in dem Fahrzeug durch andere Kollegen zu tun.“ Das allerdings ist merkwürdig, denn für mindestens einen, wenn nicht für eine Reihe weiterer Fahrgäste war dieser Zusammenhang unübersehbar eine Art Diskriminierung der einheimischen Fahrgäste – es kam zu einem Akt gelebter Zivilgesellschaft und Protesten gegen diese fehlende Gleichbehandlung, die der Pressesprecher ja auch prinzipiell eingesteht, dann aber nicht als Akt ein und der selben Kontrolle verstanden haben will. Das allerdings ist kurios.

Ebenso kurios, wie die Mitteilung, man hätte „die Situation mit dem betroffenen Kontrollteam und den zuständigen Führungskräften diskutiert und für solche Situationen sensibilisiert.“

Es gab also eine in der Antwort nicht bestrittene Situation, die der Sprecher im Vorab-Telefonat noch in das Reich der fantasievollen Diffamierung von Zugewanderten einsortiert wissen wollte. Und die Leipziger Verkehrsbetriebe sahen offensichtlich Handlungsbedarf, sowohl die Kontrolleure als auch deren Führungsteams für solche angeblichen Fantasie-Situationen zu sensibilisieren. Wenn hier nicht der Protest weiterer Fahrgäste gemeint ist, für die man sich sensibilisieren müsse, dann kann ja nur der Umgang mit Zuwanderern bei der Fahrkartenkontrolle gemeint sein im Sinne einer fehlenden Gleichbehandlung. Und dann müssen die Leipziger Verkehrsbetriebe diesem Fahrgast sogar dankbar sein, hier aufmerksam gewesen zu sein. Ein entsprechendes Dankeschön leitet TE selbstverständlich gerne weiter.

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