Tichys Einblick
"Report Mainz":

Türken in Deutschland: zerrissen zwischen den Kulturen?

"Report Mainz" hat einen lobenswerten Beitrag über die türkischstämmige Lebenswirklichkeit in Deutschland gedreht. Er zeigt ohne moralische Vorgaben Leute, die zufrieden damit sind, türkisch zu sein und zu bleiben.

Screenprint: SWR/Report Mainz

Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen samt Zwangsgebühren macht es nicht wett: Aber Autorin Manuela Dursun hat für Report Mainz einen hochinformativen, einen fairen und vor allem einen nachdenklich machenden knapp zehn Minuten langen Bericht über Türken und Türkischstämmige in Deutschland gedreht. Hier wurde die Grundhaltung nicht dem Diktat des Mainstreams unterworfen, hier wird im Gegenteil einmal erzählt, was wirklich ist und hier wird hineingeschaut in die türkisch geprägten Communities, und ungefiltert gesendet, was dort gedacht und auch offen gesagt wurde.

Beunruhigend aber auch beruhigend gleichermaßen. Beruhigend ist, dass der Beitrag vor allem eines erzählt: Klar gibt es schon einmal Ausgrenzungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der fremden muslimisch geprägten Kultur der Türkischstämmigen. ABER diese Gruppe in Deutschland hat ihren Weg großteils selbst bestimmt gewählt.

Besonders deutlich wird das, wo zwei junge Frauen aus der dritten Generation der Türkischstämmigen zu Wort kommen und aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen: Die beiden Frauen – eine von ihnen arbeitet als Busfahrerin – antworten freimütig auf die Frage nach ihrer „Heimat“: „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde Deutschland.“

„Ja.“, bestätigt die zweite Frau lachend. Nein, es geht hier nicht zuallererst um Ausgrenzung, sondern um eine selbstgewählte Situation, wenn es da weiter heißt: „Ich merke auch an der Erziehung meines Sohnes, wie türkisch ich geprägt bin durch die Eltern auch. So sehr ich auch sagen würde, ich bin deutsch, bin ich, glaube ich, auch türkisch.“ Eine Aussage, die nicht etwa in trauriger Stimmung geäußert wird, sondern mit dem Lächeln eines Erkenntnisgewinns. Tatsächlich kommt eine Schuldzuweisung Richtung Mehrheitsgesellschaft erst auf explizite Nachfrage der Interviewerin, aber das passiert fast pflichtschuldig und ohne dass damit etwa die ursprüngliche Aussage relativiert werden könnte.

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Noch klarer wird es, wenn das Filmteam in der deutschen Provinz eine türkische Hochzeit besucht und dort keine deutschstämmigen Freunde unter den 300 Gästen zu finden sind, schlicht, weil es sie nicht gibt. Warum das nun beruhigend sein soll? Weil es den befragten Hochzeitsgästen und dem Brautpaar nicht um eine Trotzreaktion auf eine mutmaßliche Ausgrenzung geht, sondern weil man es so will, weil man sich damit deutlich wohler fühlt. Weil es damit beiden Seiten besser geht. Ausnahmslos jeder der Befragten gibt mit dem selbstbewusstem Lächeln eines gelebten Heimatstolzes zu Protokoll, dass die Türkei seine Heimat sei. Es fehlte nicht viel, und der eine oder andere hätte sicher noch lobende Worte für Erdogan gefunden, der ja von zwei Dritteln der Türken in Deutschland gewählt wurde.

Warum also immer von Fronten reden, wo es vielleicht gar keine gibt? Wer als Herkunftsdeutscher in der Mitte der Gesellschaft aufgewachsen ist, der weiß es doch selbst am besten, der kennt die türkischstämmigen Eltern und ihre Kinder aus der Kita, der Grundschule und vielleicht auch aus direkter Nachbarschaft.

Mehrheitlich gibt es ein nettes Miteinanderauskommen, die Kinder besuchen sich auf den Kindergeburtstagen, die Eltern sprechen vor dem Schultor, so wie es überall auf der Welt passiert. Dann kommt das „aber“: Es kommt seltener zu engeren Bindungen, wie es sonst öfter zwischen deutschstämmigen Nachbarn passiert. Freundschaften haben einfach seltener eine Chance, sich zu entwickeln, ohne dass dafür gleich der große Streit, Rassismus oder Ausgrenzung als Begründung nötig wäre: In den überwiegenden Fällen stellen beide Seiten nüchtern fest, dass man sich zwar sympathisch ist, aber dass die unterschiedlichen Kulturen eine engere Verbindung ausschließen. Ganz ohne großes Bedauern wird das festgestellt. Und vielleicht ist es ja genau dieses friedliche Nebeneinanderher, das man im positiven Sinne multikulturell nennen könnte.

Kommen wir zum beunruhigenden Teil: Der Friede ist in Gefahr, weil bestimmte Kreise es so wollen. Da sind zum einen jene Türkischstämmigen, die nicht im deutsche Wohlstand angekommen sind: Der gemessen am Bevölkerungsanteil nach wie vor hohe Anteil an Türkischstämmigen unter den Sozialhilfeempfängern spricht da eine klare Sprache.

Und dann kommt der lange Arm Erdogans hinzu, der in Deutschland schon seit Jahren massiv dafür wirbt, dass Türken eben Türken bleiben sollen, was Erdogan mehr als Speerspitze hinein ins humanistisch geprägte Europa versteht, denn als selbstbewusste kulturelle Identität.

Die vielfältigen Verwandtschaftsverhältnisse und -beziehungen der hier lebenden Türken in die Türkei müssen hier als ein subtiles Druckmittel genannt werden: Ja, es ist schwer, auf Distanz zu Erdogan zu gehen, wenn das bedeuten könnte, Schwierigkeiten zu bekommen, was den unbehinderten Kontakt in die Türkei angeht. Unterschätzt werden darf auch das auf keinen Fall.

Ein weiteres Beispiel aus dem Beitrag ist noch deutlich bedrohlicher und verweist auf eine Zuspitzung der Einflussnahme Erdogans in jüngster Zeit, wenn viele Neugründungen türkischer Fußballvereine direkt auf Ditib zurückzuführen sind, auf die größte sunnitisch-islamische Organisationen in Deutschland, die faktisch der türkischen Regierung unterstellt ist.

Nachhaltigkeit deutscher Politik
Ein Blick auf die nächsten 50 bis 100 Jahre Deutschland
Hier soll kurz daran erinnern werden, warum das eigentlich so ist: Weil Deutschland, als es vor über 50 Jahren um die Anwerbung von türkischen Gastarbeitern ging, bewusst und im Einvernehmen mit der Türkei darauf gesetzt hatte, dass die „Gäste“ schon irgendwann wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. So wurde von Anfang an auch die Religionsausübung in türkischer Hand belassen, weil ein europäisch geprägter Islam nicht für nötig erachtet wurde, wenn der Aufenthalt doch auf Zeit gedacht war. Die Bundesregierung war hier direkt dankbar, dass die türkische Regierung sich um die religiös-kulturellen Belange der Türken in Deutschland kümmerte. So basierte ein Missverständnis (Gastarbeiter) eben auf dem nächsten und ermöglicht es Erdogan, heute auf eine über Generationen gewachsene Struktur von Ditib zurückzugreifen.

Eine der Frauen im Beitrag nennt es schlicht „Bequemlichkeit“, warum Türkischstämmige und Türken in Deutschland meistens (90 Prozent) untereinander heiraten. Den Beitrag gut ergänzen könnte eine Beobachtung beispielsweise bei Volkswagen, wenn deutschstämmige Mitarbeiter berichten, dass sich ihre längst auch bis in höhere Positionen etablierten Kollegen, mit denen sie teilweise schon gemeinsam die Ausbildung absolvierten, zunehmend in ihrer eigenen Welt einrichten, ohne dass es dafür vorher zu Zerwürfnissen hätte kommen müssen.

So enden viele eh schon lose Bekanntschaften einfach ohne Trommelwirbel und oft dann, wenn der Kollege – was neuerdings immer häufiger vorkommt – eine tief muslimisch geprägte Frau heiratet, die dafür aus der Türkei nach Deutschland einreist. Klar, man spricht weiterhin nett miteinander, aber es bleibt dann dabei, sich einen guten Weg zu wünschen.

Was hier im Beitrag selbst als Risiko besprochen wird, könnte aber auch Chance sein. Dann nämlich, wenn man feststellt, wie gut es diesen Mitbürgern tut, sich endlich in dritter Generation zu der eigenen Kultur zu bekennen. Tatsächlich: Schaut man sich die lächelnden Gesichter an, dann hat das nichts mehr mit dem oft devoten und vorsichtigen Auftreten der ersten Gastarbeitergeneration zu tun. Das sind Leute, die gerne in Deutschland leben und das mit einer mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft fein justierten gegenseitigen Distanz, die erst einmal und grundsätzlich niemandem wehtut, die im Gegenteil vielen gut tut, weil sie die auf beiden Seiten endlich davon befreit, diese erzwungene Melange der Kulturen zu veranstalten, die sich eben nicht auf die Weise vermischen lassen, wie es sich die multikulturelle Bewegung ursprünglich so farbenfroh und naiv ausgemalt hatte.

Im Idealfalle ist es sogar so: Wenn der Türke seine Kultur ausleben und sich dazu stolz bekennen kann, dann ist der Deutsche davon befreit, seinerseits einen Schritt auf diese Kultur zuzugehen und kann weiter die Kultur der Mehrheitsgesellschaft pflegen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Wenn also alle zufrieden sind, was kann daran falsch sein?

Gefährlich wird es dann, wenn diese natürliche und eben feinjustierte Distanz instrumentalisiert wird. Wenn hier versucht wird, spalterisch politisch Einfluss zu nehmen, wo doch in der angenehmen Distanz der Kulturen viel öfter ein einvernehmliches friedliches Nebeneinander herrscht. Erdogan ist hier selbstredend die größte Gefahr. Aber ebenso wenig zu unterschätzen ist hier eine deutsche Politik, die auf Biegen und Brechen die zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen längst auf die natürlichste Art und Weise zustandegekommenen Grenzen verschieben will. Das sind die negativen beiden Pole, die den inneren Frieden gefährden.

Nein, so weit geht der Beitrag von Manuela Dursun natürlich nicht, aber es ist ihm zu verdanken, dass die Zuschauer die Möglichkeit eröffnet bekommen haben, einmal weiterdenken zu können, ohne dass das öffentlich-rechtliche Zwangsfernsehen vorgegeben hätte, wohin dieses Denken führen soll. Ein guter Beitrag, wenn auch sein Titel mit „zerissen“ sehr unglücklich gewählt wurde, wenn nicht einmal ein Fragezeichen den ersten Hinweis gibt auf die durchaus zufriedenen Gesichter, die gezeigt werden.

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