Tichys Einblick
Real-Satire aus dem Corona-Alltag

Studentenwohnheim unter Quarantäne, unter Quarantäne, unter …

Wer sich mit Corona infiziert, muss in Quarantäne – und die sich eine Wohnung mit Infizierten teilen, ebenso. Das kann im Studentenwohnheim eine ziemlich langwierige Geschichte werden.

Fassade eines Studentenwohnheims

Ein Nachbarjunge studiert in Hamburg. Aus Kostengründen und wegen Wohnraumknappheit in der Großstadt stehen ihm nur elf Quadratmeter zur Verfügung, also vergleichbar einer Knastzelle – aber mit Ausgang, normalerweise. Der kleinste Raum kann erträglich sein, wenn man ihn jederzeit verlassen kann.

In Japans Großstädten gibt es Schlafgelegenheiten, die in westlichen Medien immer wieder zu Heiterkeit Anlass gaben: Zum Tagespreis buchbare Schlafkojen ähnlich den Schließfächern an Bahnhöfen, nur wenig größer, so, dass gerade ein Mensch liegend hineinpasst. Sowas mag gehen, wenn man schon einen Zettel am Fuß hat oder keine Platzangst, es kann aber für auf Dauer nicht gesund sein. Der Schlaf unter der Brücke auf einer Pappe allerdings ist auch keine Alternative.

Aber zurück nach Hamburg ins Elf-Quadratmeter-Zimmer. Das hat immerhin WLAN und es gibt Gemeinschaftseinrichtungen wie eine kleine Küche, Duschen, Toiletten. Pro Etage leben hier zwanzig Studenten. Das Haus selbst hat sieben Etagen, macht in Summe ca. 140 Bewohner mit jeweils kaum mehr als zehn Quadratmeter Wohnraum. Jede Etage teilt sich eine Küche und die Sanitäranlagen. Also jeweils eine Küche für zwanzig Personen für bis zu drei Mahlzeiten am Tag.

Nun infizierte sich einer der Bewohner einer Etage vor ein paar Tagen nachweislich mit Corona. Also wurde die ganze Etage für vierzehn Tage unter Quarantäne gestellt. Weiterhin leben aber alle Bewohner auf ihrer unter Quarantäne stehenden Etage und nutzen die besagten Gemeinschaftseinrichtungen. Es passiert also, was passieren musste: Ein weiterer Student wird mit Corona infiziert, die vierzehntägige Quarantäne beginnt von vorne. Aber wie lange soll das nun weiter gehen? Im ungünstigsten Falle und bei zwanzig Personen sind das zwanzig mal zwei Wochen, also – zumindest theoretisch – zehn Monate: fast ein ganzes Jahr Quarantäne auf jeweils elf Quadratmetern.

Aber halt, wir haben die anderen Etagen vergessen. Erst im Zuge der Quarantäne erfahren die Studenten, dass schon zuvor eine andere Etage ihres Wohnheims unter Quarantäne stand. Etagenübergreifend gab es dazu allerdings keine Informationen, keine Warnungen. Nur einen Austausch über die Gemeinschaftsanlagen des Wohnheimes: Fahrstuhl, Poststelle und Fahrradkeller. Und tatsächlich verkehren die Studenten nicht nur horizontal auf ihrer Etage, es gibt Bekanntschaften auch in der Vertikalen zwischen den Stockwerken.

Die vierzig Wochen könnten also multipliziert werden gleich mit allen sieben Etagen, die Studenten wären dann – wieder rein theoretisch – 280 Monate in Quarantäne. In Deutschland käme das also in etwa einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleich – abzusitzen auf elf Quadratmetern.

Weil das sehr gruselig klingt, soll uns bitte die Pressestelle der Stadt Hamburg dazu Auskunft geben. Der Sprecher teilt mit, dass das tatsächlich ungünstig wäre, aber es gäbe dazu keine Informationen. Er würde auch keine einholen wollen beim zuständigen Gesundheitsamt, das wäre zu aufwendig, zu viele Beamte müssten dafür befragt werden.

Wir fragen: Warum werden hier keine Hotels oder andere Einrichtungen wie Erholungsheime vom Gesundheitsamt für die einzelnen Fälle vorgehalten – Hotels, die ja sowieso leer stehen im Moment? Der Sprecher nennt das alles eine „ungünstige Situation, wenn sich das so darstellt“, tatsächlich sei es schwierig, das allgemein zu beantworten.

Aber so selten wird sie nicht sein – wenn man bedenkt, dass sie in allen deutschen Universitätsstädten auftreten könnte.

Hier müssten Einzelfallentscheidungen greifen, sagt der Sprecher. Das verwirrt zunächst, denn diese Wohnheime sind in der Regel bundesweit ähnlich aufgestellt, da wäre es doch sinnvoll, Konzepte zu entwickeln, die dann schnell greifen. Passiert aber offensichtlich nicht. Der Sprecher verweist auf eine weitere Einzelfallmöglichkeit, welche die Gesundheitsämter möglicherweise gewähren könnten, nämlich die Quarantäne im elterlichen Haushalt abzusitzen. Jetzt kommen aber Studenten in Hamburg und in bestimmten Wohnheimen aus allen Weltgegenden. Viele Studenten sind an ihr Wohnheim gebunden.

Pauschal würden in Hamburg für solche Fälle kein Objekte vorgehalten, sagt der Sprecher weiter – keine Objekte, die es ermöglichen würden, den Infizierten zu isolieren, um während der Quarantäne Folgequarantänen auszuschließen bzw. weitere Infektionen. Warum das so ist? Es würde sich nicht lohnen und wäre nicht planbar, lautet die pauschale Antwort des Sprechers. Es gäbe allerdings feste Quarantäneeinrichtungen für Obdachlose.

Der Sprecher findet immerhin, dass die gemeinschaftliche Benutzung der Küche und der Sanitäranlagen tatsächlich ein Hindernis sei für die Durchführung der Qurantäne, „erschwert es zumindestens. Aber wie man damit umgeht, muss man tatsächlich im einzelnen Fall schauen.“

Der Sprecher kann nicht sagen, ob überhaupt je einem infizierten Studenten schon ein Quarantäneplatz anderswo angeboten wurde. Er weiß auch nicht, ob so ein Platz überhaupt zur Verfügung stehen würde.

Aber irgendwer müsste es ja wissen. Wo man das abfragen könne, wie oft und ob das überhaupt schon einmal gemacht wurde, fragen wir. „Nirgendwo – offen gesagt, weil dazu ja alle Akten durchgesehen werden müssten. Das können die Kollegen im Moment nicht leisten. Deswegen bin ich auch so gewiss darin, dass ich Ihnen sage, das ich Ihnen dazu keine Fallzahl nennen könnte.“

Nächste Frage: Gibt es denn wenigstens Unterbringungsangebote für die einzelnen infizierten Studenten, um die anderen zu schützen? Antwort des Sprechers: „Das kann ich ihnen leider nicht sagen. Weil ich nicht alle Einzelfälle kenne und auch niemand sonst. Und wir das auch nicht leisten können für die Beantwortung, dass alles durchzusehen.“

Ob es denn wenigstens einen solchen Fall gäbe, dass müsse doch zu beantworten bzw. beim Gesundheitsamt nachzufragen sein. „Nein, dass kann ich auch nur beantworten, indem ich alle angucke.“ Der Sprecher hätte die Frage durchaus verstanden, aber an seiner Antwort würde sich nichts ändern.

Will der Sprecher dennoch beim Gesundheitsamt nachfragen? Antwort: „Ich kenne ja die Antwort. Deswegen kann ich sie ihnen schon jetzt in unserem Gespräch geben.“ Also keine Antwort.

Immerhin erwähnt der Sprecher noch, dass die Quarantäne einer ganzen Etage eines Studentenwohnheims als Lösung „nicht die beste ist. Also nicht diejenige ist, die minimal-invasiv ist, aber die beste die zur Verfügung steht.“ Damit wären wir dann aber wieder bei unserer Horrortheorie einer immer wieder neuen Ansteckung die am Ende eine nicht enden wollende Quarantäne erzeugt.

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