Tichys Einblick
Hannover

Untersagte „Querdenker“-Demo: Polizei schützt Privathaus von Stephan Weil

Weil der niedersächsische Ministerpräsident nicht auf ein Schreiben reagierte, forderten "Querdenker-511" mit überaus drastischen Worten auf dem Mediendienst Telegram auf, eine Demonstration vor dessen Privathaus abzuhalten. Die Polizei schützt das Haus und hat die Gegend abgeriegelt.

Polizisten kontrollieren ein Wohngebiet, in dem Niedersachsens Ministerpräsident Weil wohnt. „Querdenker“ wollen sich am Ostersonntag vor dem Wohnhaus von Ministerpräsident Weil versammeln. Die Polizei hat das Treffen verboten und bewacht nun mit großen Aufgebot den Wohnort Weils.

picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Dass Hausbesuche bei Politikern im politischen Dialog nicht die Methode der Wahl sind, leuchtet jedem ein. Die Wahrung der Privatssphäre ist ein Meilenstein in freiheitlichen Demokratien und sie gilt auch – wenn nicht sogar insbesondere – für Politiker.

Es gibt selbstgewählte Ausnahmen: So wird sich jeder an die Belagerung des zurückgetretenen SPD-Vorsitzenden und Finanzministers im Kabinett Schröder, Oskar Lafontaine, erinnern. Streckenweise mit einem Lächeln nahm er damals das Interesse der Medienvertreter direkt von seinem Balkon herunter entgegen, er hatte sogar seinen kleinen Sohn auf den Schultern sitzen. So etwas kannte man sonst nur aus Hollywood-Produktionen und die Verhältnisse in den USA beschreibend.

Sozialdemokrat Stephan Weil ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen, ein eher unauffälliger Kandidat, erinnert man sich an seine Vorgänger im Amt von Schröder über Wulff bis Gabriel. Über die Ostertage steht er jetzt aber entgegen seines ansonsten eher unauffälligen Auftretens im Fokus des Interesses: Die Medien berichten davon, dass nur ein massives Polizeiaufgebot das Privathaus des Ministerpräsidenten in Hannover vor Querdenkern beschützen konnte. Die Beamten hätten allein so eine „Querdenker“-Demo vor Weils Haus verhindern können. Die Rede ist von einer niedrigen zweistelligen Zahl.

Jetzt ist es so, dass viele Gruppierungen unter dem Label „Querdenken“ laufen. Das liegt zum einen daran, dass sich die Querdenker selbst nicht ständig und von jedem distanzieren mögen; es liegt auch an der Struktur der Querdenken-Bewegung und zum anderen daran, dass Politik und Medien der Einfachheit halber – ja, auch zum Zwecke der Diffamierung der Querdenker – alles, was sich gegen die Corona-Maßnahmen-Politik richtet, den Querdenkern zuschieben.

Was war also los in Hannover? Die Polizeisprecher sind am Ostermontag nicht erreichbar, aber ein Sprecher der Hannoveraner „Querdenken-511“ beantwortet Fragen. Und tatsächlich hatte „Querdenken-511“ eine Demonstration am Wohnort des Ministerpräsidenten Stephan Weil für Karfreitag laut Auskunft des Sprechers bereits am vergangenen Mittwoch in den sozialen Medien veröffentlicht.

Angemeldet wurde beim Dezernat-22 Versammlungsbehörde in Hannover ein „Marsch kreisend“ für 1.000 Personen rund um den Wohnort des Ministerpräsidenten. Das angemeldete Motto: „Mündige Bürger lassen sich nicht wegsperren! Wir fordern die vollumfängliche Rückkehr zum Grundgesetz.“ Angemeldete Hilfsmittel: „Mobile Lautsprecher, 1 Megaphon, Transparente/Banner, Plakate/Schilder, aufsteigende Ballons und laute Durchsagen.“ Wie gesagt: alles am Wohnort von Stephan Weil am Karfreitag.

Es hätte allerdings nach Anmeldung kein Kooperationsgespräch gegeben, es gab gar kein Feedback, also wurden am Freitag noch einmal eine Reihe von Polizeidienststellen angeschrieben, so der Sprecher von „Querdenken-511“, dann sei das Verbot gekommen. Dieses Verbot hätte man zügig akzeptiert und auch auf den zur Verfügung stehenden Kanälen kommuniziert. Ebenso hätte man den Flyer gelöscht, der zur Demonstration am Wohnort des Ministerpräsidenten auffordert.

Wenn man allerdings selbst nicht will oder scharf verurteilt, dass beispielsweise die Antifa Hausbesuche beim politischen Gegner veranstaltet, fragt TE beim Sprecher nach, warum greift „Querdenken-511“ dann im Falle von Weil zu exakt den selben Mitteln? Auf die Frage, wozu man diese direkte Konfrontation will, argumentierte der Sprecher von „Querdenken-511“ telefonisch u.a., der Ministerpräsident als Chef der Landesbehörde greife ja auch extrem tief in die privaten Belange der Bürger ein. Auch wollte man in Hannover mal ein neues Konzept ausprobieren.

Ob trotzdem Querdenker da waren, verneint der Sprecher gegenüber TE. Zu einer Nicht-Veranstaltung würde man auch nicht gehen. Ein paar Dutzend sollen allerdings nach Polizeiangaben doch zum Wohnort Weils gekommen sein.

Die Recherche der sozialen Kanäle von „Querdenken-511“ gestaltet sich etwas chaotisch und ist schwer nachzuvollziehen. Auf Nachfrage heißt es dann, beispielsweise ein Telegram-Kanal sei neulich gekapert worden, man arbeite aber daran, das zu beheben. Auch auf Facebook gibt es einen – aber kaum bespielten – Kanal „Querdenken-511“ mit dem offiziellen Erscheinungsbild. Der Sprecher erklärt, es gäbe jedoch eine geschlossene Gruppe. Auch die Website gibt zum Demonstrationsgeschehen leider nicht viel her.

Zu erwähnen bleibt noch, dass Michael Ballweg, Gründer der Querdenker, den wir zuerst kontaktieren, keine Informationen darüber hatte, dass so eine Demonstration von „Querdenken-511“ stattfinden sollte. Nein, er könne sich eigentlich nicht einmal vorstellen, dass Querdenker so etwas anmelden vor dem Wohnhaus eines Politikers. Hannover bestätigt dann allerdings. Und die Hannoveraner wussten auch von vorneherein, dass so eine Demonstration nicht genehmigt werden würde. Dennoch hat man dazu aufgerufen, um später nach Verbot den Aufruf zu widerrufen. Aber um was damit zu erreichen? Eine Drohkulisse aufzubauen gegen den Ministerpäsidenten? Einfach nur um Aufmerksamkeit zu generieren?

Die Polizei hatte jedenfalls alle Hände voll zu tun: der Schutz des Hauses von Stephan Weil wurde erhöht, ein Großeinsatz war die Folge, sogar von „abriegeln“ wurde in den Medien geschrieben. Und dann, schon kurz nach unserem Gespräch mit dem Sprecher der „Querdenker-511“ erreicht TE per Mail eine umfangreiche und professionell aufbereitete Chronologie zur später verbotenen Demonstration am Wohnort des Ministerpräsidenten.

Es beginnt mit einem Schreiben von „Querdenken-511“ an den Ministerpräsidenten, an dessen Anfang folgender Satz steht:

„Wir schreiben Ihnen heute, weil wir den Dialog suchen und unbedingt vermeiden möchten, dass sich die Lage zwischen Querdenkern und Politik/Presse weiter zuspitzt.“

Inwieweit so etwas allerdings zusammenpasst mit der Aufforderung, dem Ministerpräsidenten privat eine Besuch abzustatten, ist nicht vereinbar. Und weil es vonseiten des Ministerpräsidenten auf das Schreiben der „Querdenken-511“ keine Reaktion gab, so die Mail weiter, wäre man folgendermaßen weiter vorgegangen:

„Am 29.03.2021 haben wir per E-Mail (ging nicht durch) und per Post diese Demonstration angemeldet.“

Der Sprecher Querdenken-511 im Wortlaut:

„Eine Reaktion durch die Polizei in Form eines Kooperationsgespräches erfolgte bis einschließlich 02.04.2021 nicht. Das nahm ich zum Anlass, die Anmeldung sicherheitshalber an alle Polizeidienststellen in Hannover zu senden, da meine Vermutung war, dass die Versammlungsbehörde sich totstellt. Daraufhin meldete sich die Versammlungsbehörde bei mir und es kam am 02.04. nachmittags zum Kooperationsgespräch. Dort bot man uns die üblichen Plätze in Hannover inklusive Einkesselungstaktik der Polizei an, um die Demonstration durchzuführen. Im Orgateam war vorab besprochen, dass wir genau das nicht wollen, sondern auf den Aufzug bestehen. Das Verbot der Veranstaltung kam dann gegen 18.00 Uhr. Ab 31.03.2021 haben wir mit folgendem Flyer geworben (48 Std nach Anmeldung).“

Nach (erwartbarem) Verbot der Demonstration durch die Polizei wurde der Flyer übrigens doch nicht gelöscht, sondern sogar erneut veröffentlicht – allerdings mit dem Aufdruck in Rot: „Verboten!“. Die Polizeidirektion Hannover Dezernat 22, Versammlungsbehörde schrieb unter anderem, die angezeigte Versammlung sei verboten. „Dieses Verbot gilt auch für jede Form von Ersatzversammlung in dem der Anlage markierten nahen Umfeld des Wohnortes des Niedersächsischen Ministerpräsidenten.“

Die Polizei zitiert in ihrem Verbotsschreiben explizit aus dem – mittlerweile gelöschten – Aufruf zur Demonstration.

Dort heißt/hieß es:
„Wichtig !!! So so, Stephan Weil möchte uns also ab 21 Uhr zu ostern wegsperren. Also Haussarrest, wie man es mit unmündigen Kindern macht (Smiley). Wir denken Stephan Weil hat mit seienr Politik schon mehrere rote Linien überschritten. Irgendwer muss diesen Mann zur Vernunft bringen, wenn es seine Speichellecker in der Staatskanzlei nicht tun … (…) Sollten wir bis Mittwoch in dieser Gruppe 2500 Menschen sein, dann meldet Querdenken 511 vor dem Privathaus von Stephan Weil für Ostersonntag eine Demonstration an. Das hat nur Wirkung wenn wir viele sind, gebt bitte Gas !!!“

Also Querdenker, damit agiert ihr wie die Antifa und politisch Verwandte: inakzeptabel.

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