Tichys Einblick
"Fakt oder Fake"

Steinmeier mit Bertelsmann-Stiftung: „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“ – der betreuten?

Das wirklich Erstaunliche an der Rede Steinmeiers ist die Offenheit, mit der hier Demokratie in Frage gestellt und an den Medien vorbei gesagt werden kann.

Screenprint: phoenix

Bundespräsident Steinmeier moderierte im Schloss Bellevue zum wiederholten Male eine mit dem Brandzeichen der Bertelsmann Stiftung versehene Veranstaltung. Wir haben mehrfach darüber berichtet. Der Presse ist dieses Branding kaum eine Zeile wert. Verhängnisvoll für Bundespräsident und privaten Partner Bertelsmann wird es allerdings dann, wenn eben das auf dem Podium verhandelt werden soll: Die Rolle der Presse und die Frage, wie man verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen kann.

Die Auftakt-Rede des Bundespräsidenten liegt nun vor. Und was Frank-Walter Steinmeier da formuliert, ist es wert, einmal genauer betrachtet zu werden. Denn, so viel vorweg, selten noch wurde in solcher Klarheit vorgetragen, was eine wirklich freie Presse in Zukunft in Deutschland erwarten muss und welche Aufgaben die so genannten ehemaligen Leitmedien in Zukunft zu erledigen haben, welche Privilegien ihnen möglicherweise zugestanden werden sollen und mit welchen Mitteln unliebsame Konkurrenz – insbesondere digitale – einseitig reglementiert, diffamiert, diskreditiert und eingehegt werden soll.

Wir haben zunächst den Wortlaut verglichen mit dem tatsächlichen gehaltenen Vortrag und keine wesentlichen Abweichungen zum gesprochenen Wort feststellen können. Der Reihe nach wollen wir hier die wesentlichen Aussagen herausstellen, einordnen und – so weit möglich – auch bewerten. Was wir schon jetzt sagen können: Anwurf für Anwurf von Steinmeier verstärkt den Eindruck, dass eben seine Anwürfe auch gegen jene Seite funktionieren, welcher der Bundespräsident hier das Wort redet. Möglicherweise – eine Standpunktfrage – sogar noch wirkmächtiger, noch wahrhaftiger und präziser. Noch dechiffrierender.

Steinmeier zitiert Hannah Arendt: Meinungsfreiheit sei demnach eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist. Also – und das ist die Kernaussage: – müssen die Leitmedien gestärkt bzw. die alternativen Medien sanktioniert werden, um diesen Tatsachen breiteren Raum zu geben.

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Einmal Bundespräsident, SPD-Medienholding ddvg, Madsack Mediengruppe und zurück
Was aber, wenn sich eben diese Tatsachen-Behauptungen der Leitmedien als falsch erweisen? Ja, dann wird es kompliziert. Theoretisch. Denn Steinmeier wirbt hier entgegen vielfacher Kritik der letzten Jahre an diesen Leitmedien für Vertrauen in selbige. Das ist insofern kurios, weil eben gerade der Wettbewerb der Meinungen zum Wesenmerkmal einer freien Presse gehört. Wettbewerb ist ein entscheidender Faktor, Wahrheit zu verifizieren. Wer die Unwahrheit sagt oder vermeintlich unwahr berichtet, der muss mit Sanktionen seiner Leser rechnen: Mit sinkenden Auflagen. Und sie sinken tatsächlich. Kaum ein Indiz belegt stärker schwindendes Vertrauen und eben auch den schwindenden Wahrheitsgehalt dieser „Leitmedien“. Und sie sind geständig!

„Was aber bedeutet es für liberale Gesellschaften, wenn der öffentliche Meinungsstreit nicht mehr auf der Grundlage von allgemein anerkannten Fakten geführt wird, wenn die Trennlinie zwischen Tatsachen und Meinungen verschwimmt und behauptet wird, Fakten seien eben auch bloß Ansichtssache?“, fragt der Bundespräsident.

Und wie sich im Verlauf seiner Rede noch herausstellen wird, meint er damit selbstredend nicht die in Gestalt von Medien, denen ein Ulf Poschardt und anderen von Steinmeier und Bertelsmann im Schloss vorgeladenen Vertreter der Federn gelassenen Leitmedien und des öffentlich- rechtlichen Rundfunks vorstehen, sondern die Vielzahl an Konkurrenz, wesentlich aus der neuen digitalen Welt, mehrheitlich in ihrem Leserzugang kostenfrei publiziert im Internet.

Steinmeier sagt: „Nur auf der Basis von soliden, überprüfbaren und allgemein akzeptierten Fakten kann ein vernünftiger öffentlicher Diskurs gelingen.“ Nein, denn schon die Feststellung, was Fakt ist, ist wichtiger Bestandteil so eines vernünftigen öffentlichen Diskurses. Möglicherweise sogar der wichtigste Teil dieser Auseinandersetzung, die Steinmeier an eine ausgewählte Reihe von Medien delegieren möchte. Und damit steht er nicht alleine da: Der US-amerikanische Informationsbeschaffungsgigant Google hat gerade den Leitmedien in den USA fest zugesichert, deren Belange und Auftritte im Ranking der Suchmaschine oberste Priorität zuzubilligen.

Einen Diskurs, „der zu aufgeklärten Entscheidungen führt, die Kontrolle der politisch Verantwortlichen ermöglicht und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen bewahrt, womöglich auch stärkt.“, fordert Steinmeier. Die demokratischen Institutionen selbst, also jene, die in diesen Institutionen Macht ausüben, wollen nach Steinmeier also selbst auswählen, wer als vierte Gewalt Kontrolle über sie ausübt?

Steinmeier geht es aber in Wahrheit um ein Ende solcher die politische Klasse gefährdenden öffentlichen Debatten und Diskurse, wenn er fragt: „Wie sollen wir die sehr realen Probleme unserer Zeit, etwa den Klimawandel, gemeinsam anpacken, wenn politische Kräfte sich einfach weigern, Forschungsergebnisse anzuerkennen oder schlicht bestreiten, dass es Erkenntnisse gibt, die der eigenen Sichtweise widersprechen?“ Auch hier gilt wieder: Eben diese Aussage funktioniert exakt auch in der Gegenrichtung. Ein Problem – und das ist die Hauptmotivation dieser Podiumsdiskussion – das man lösen will, indem nicht genehme Diskursteilnehmer diskreditiert werden. Da wirkt es fast so, als hätte das Establishment in Gestalt von Steinmeier den seit spätestens Ende 2015 anhaltenden „Lügenpresse“-Vorwurf einfach einmal umgedreht. Nur mit noch schärferen Vorzeichen indem dieser Seite gleich ganz die Legitimation aberkannt wird, überhaupt „Presse“ genannt zu werden.

Wenn Steinmeier sagt: „Was heute neu ist, ist die epidemische Verbreitung von Desinformation im Internet, die gewaltige Kraft der digitalen Medien, aber auch die Vielfalt der Angriffe auf den Gebrauch der öffentlichen Vernunft.“ Dann gilt auch das in der umgekehrten Marschrichtung. Nur, dass eben diese Player über einen Apparat verfügen, der per Pflichtgebühren mit einem Milliarden-Budget ausgestattet ist: die Öffentlich-Rechtlichen (ÖR).

Offensichtlich noch nicht ausreichend in ihrer Machtfülle, um in den Köpfen der Menschen zu zementieren, was offizielle Wahrheit sein darf und soll. Der Bundespräsident soll oder will es hier mit Bertelsmann richten: Wenn also die unter schwindenden Abverkäufen leidende Leitmedien (noch) nicht staatlich subventioniert werden können wie die ÖR, dann müssen eben die alternativen Mitbewerber diskreditiert werden. Dann muss heute eben ein dystopisches Zukunftsszenario erzählt werden von einem Wahrheitsverlust, von einer Desorientierung und großen allgemeinen Verunsicherung, demgegenüber nur noch die Leitmedien in der Lage wären, Hüter der Wahrheit der Zukunft zu sein.

Verdrehte Welt. Oder an einem bestimmten Punkt verdreht. Nämlich dort, wo es um die Eskalation geht, die es zweifellos gegeben hat. Aber eskaliert sind nicht etwa Fake-News-Maschinen im Internet oder Nachrichtenfakes von Nazis oder gar aus russischer Produktion. Eskaliert ist die Erzählung davon. Nicht umsonst stand am Anfang der Vorwurf der „Lügenpresse“, als der Bürger auf der Straße von den Medien nachdrücklich jene Berichterstattung zurückverlangte, die es ihm bisher – jedenfalls bis zu einem bestimmten Maße – garantierte, sich selbst eine Meinung zu bilden, die nicht automatisch dem Vorwurf nach sich zog, Fake-News basiert zu sein, wenn sie nicht auf Regierungslinie war.

Oder wie es Giovanni di Lorenzo in einem für ihn selten wie kurzen Anfall von Selbstkritik – wir können es auch Wahrhaftigkeit nennen – zusammenfasste: „Es gab eine beispiellose Vergiftung der Gesellschaft und einen Vertrauensverlust gegenüber den Eliten und den im Bundestag vertretenen Parteien. (…) Und ohne Not haben wir uns wieder dem Verdacht ausgesetzt, wir würden mit den Mächtigen unter einer Decke stecken, wir würden so uniform berichten, als seien wir gesteuert.“

Steinmeier ist absatzweise sogar auf der richtigen Fährte, auch wenn er, was wir hier gleich zitieren, natürlich trotzdem die andere Seite meint – sich also fernab der Selbstkritik eines di Lorenzo bewegt: „Organisiertes öffentliches Lügen, das Manipulieren von Tatbeständen, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen – all‘ das sind natürlich keine neuen Phänomene, auch nicht in der Geschichte von Demokratien.“

„Und neu ist“, so Steinmeier, „dass Politiker die Beweis- und Bindekraft von Tatsachen untergraben, indem sie offensichtliche Lügen als ‚alternative facts’ ausgeben“. Aber Steinmeier bezieht sich hier selbstredend nicht auf jene „alternative facts“, welche die Bertelsmann-Stiftung und weitere Stiftungen in etlichen hoch subventionierten Studien über sinkende Ausländerkriminalität, über hohe fachliche Qualifizierung von Einwanderern usw. usf. verbreiten und welche von Politkern der Volksparteien dann übernommen werden. Gemeint sind „alternative facts“ von Trump bis AfD.

Wie sehr der Bundespräsident mittlerweile Wesen und Kraft der Demokratie misstraut, wird hier deutlich: „Die großen Plattformen im Internet mit ihren hunderten Millionen von Nutzern, machen es möglich, dass Falschinformationen und Verschwörungstheorien heute in Windeseile verbreitet und massenhaft ‚geteilt’ werden.“ Nein, sie machen es zunächst einmal möglich, dass, was sich an Machtfülle und Abhängigkeiten in der Bundesrepublik zwischen den ursprünglich als von einander unabhängig konzipierten Gewalten verkittet hat, auf einmal in seltener Klarheit offenbart.

„Schon längst sind professionelle Journalisten nicht mehr alleinige Schleusenwärter der öffentlichen Kommunikation, und sie müssen im Kampf um Auswahl und Aufmerksamkeit nun auch gegen Algorithmen und Meinungsroboter antreten.“ Nein, Herr Bundespräsident, dieses System geriet ins Wanken, als diese Schleusenwärter immer öfter anzutreten hatten, dass, was sie als unumstößliche Wahrheit verkauften, auch zu belegen. Als sie über ihre Lesart, über ihre Interpretation der Geschehnisse Rechenschaft abzulegen hatten.

Der Bundespräsident geht aber noch weiter, wenn er sich hier sogar entschieden und öffentlich gegen Meinungsvielfalt ausspricht:

„Entscheidend aber ist, dass die digitalen Medien die Parzellierung der Öffentlichkeit vorantreiben, die den gesellschaftlichen Dialog erschwert. Die Gefahr besteht, dass Parallelwelten entstehen, in denen die Selbstbestätigung durch den Austausch mit Gleichgesinnten vorherrscht und alles ausgeblendet wird, was der eigenen Sichtweise widerspricht.“

Das muss in aller Konsequenz weitergedacht werden: Für den Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland ist ein Zuviel an Meinungen eine „Parzellierung der Öffentlichkeit“. „Die Gefahr besteht, dass Parallelwelten entstehen.“ Aber gegen was? Gegen eine „Gleichschaltung“, die also dann gar nicht einmal zu Unrecht Schlagwort der politischen Rechten geworden ist?

"Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie"
Medien-Mission gegen Meinungsfreiheit: Bundespräsident und Bertelsmann Stiftung
Das wirklich Erstaunliche an der Rede Steinmeiers ist die Offenheit, mit der hier Demokratie in Frage gestellt wird. Und wenn so etwas an den Medien vorbei gesagt werden kann, was sagt das dann über Medien aus, die es nicht einmal für nötig hielten, zu erwähnen, dass schon die private Bertelsmann Stiftung hier Steinmeier im Schloss Bellevue vorsprechen lässt ausgerechnet über die Rolle der Medien?

Dazu weiter Steinmeier: „Zugleich sinkt in manchen Teilen der Gesellschaft, auch bei jungen Menschen, das Vertrauen in seriöse Medien, in Forschungseinrichtungen und demokratische Institutionen. An Glaubwürdigkeit verlieren also gerade diejenigen, die in einer komplexer werdenden Welt mit Komplexität umgehen und Orientierung bieten können.“

Was aber für eine von antidemokratischen Reflexen tief getränkte bundespräsidiale Analyse ist das? Anstatt insbesondere die Jugend in ihrer kritischen Haltung zu fördern, sie dabei zu unterstützen, noch kritischer hinzuschauen, werden sie von Steinmeier zurück auf die Schulbank befohlen, wo diejenigen am Pult stehen, „die in einer komplexer werdenden Welt mit Komplexität umgehen und Orientierung bieten können.“ Oder anders: die dieses bewährte Geflecht zwischen den Gewalten nicht in Frage stellen, die politische Entscheidungen nicht in Frage stellen.

Und so betrachtet hat Steinmeier natürlich fast recht, wenn er erkennt, dass wir heute mehr den je Medien bräuchten, „die geprüfte Informationen bereitstellen, die Missstände aufdecken, Lügen entlarven und politische Prozesse nachvollziehbar machen.“ Fast recht, weil für Steinmeier selbstredend nicht „wir“, weil nicht das Volk diese Wahrheitswächter braucht, sondern er selbst und das politische Establishment in Deutschland – als Kraft gegen ein Volk, das einen Weg gefunden hat, über das Internet seine demokratischen Rechte einzufordern, zu artikulieren und Missstände aufzudecken. Also illegitime Machtfülle anzugreifen und streng zu verurteilen.

„Ich finde, der demokratische Diskurs gelingt in Deutschland immer noch besser als anderswo.“, sagt Steinmeier. Relativierungen dieser Art kennt jeder. Sie stehen immer am Anfang eines jeden Sanktionierungskataloges. Uns geht es doch noch gut, also können wir etwas abgeben. Etwas weniger Demokratie ist noch keine Diktatur? Für Steinmeier sind demokratische Rechte etwas exklusives, wenn er der Meinungsfreiheit des Bürgers Vordenker vorsetzen will.

Wenn er „Inseln der Verlässlichkeit“ fordert, die verhindern helfen sollen, dass
jeder Bürger „investigativer Journalist sein“ will. Nein, selten noch sind die Errungenschaften der Digitalisierung so in Abrede gestellt worden. Und so ließe sich mit einem Fünkchen Ironie fast die Frage beantworten, warum Deutschland in Sachen Digitalisierung keine Vorreiterrolle in der Welt stellt.

Steinmeier möchte dem Souverän, möchte den Deutschen „Orientierung im täglichen Strom der Informationen“ vorschreiben. „Diese Inseln müssen Medien sein, denen wir vertrauen, auf deren Berichterstattung wir unser Urteil stützen können.“, führt Steinmeier weiter aus.

Nein, Herr Bundespräsident: Nachdem wir nun gehört haben, wie Sie sich die Medien von morgen vorstellen, müssen wir im Gegenteil genau dort größtes Misstrauen an den Tag legen, wo Sie und ihresgleichen definieren, wem zu vertrauen ist. Da liegt die Blaupause von morgen. Die Blaupause der Demokratie und Meinungsfreiheit. In der Kampfansage.