Tichys Einblick
Verantwortungsflucht

Neues Buch: Scheitert Thomas de Maizière am Versuch der Selbstrechtfertigung?

Das muss man sich erst einmal trauen, was der Ex-Minister da versucht, als Kapitän der Titanic der Besatzung die Schuld an der Haverie zu geben, weil diese nicht weiter mit dem Eimer schöpfen mag, vergessend, dass er selbst es war, der das Schiff frontal gegen den Eisberg gesteuert hat.

Omer Messinger/AFP/Getty Images

Der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich nun erstmals und über drei Jahre nach der teils illegalen Massenzuwanderung von weit über einer Million vorwiegend junger Männer ausführlich geäußert, wie es zu diesem gigantischem Staatsversagen kommen konnte. Wie es sein konnte, dass der bundesdeutsche Sicherheitsapparat den über die offenen Grenzen einfließenden Einwanderermassen nicht mehr Herr werden konnte.

Auf eigene Rechnung aufgeschrieben hat es der ehemalige Bundesminister für den Herder-Verlag unter dem Titel „Regieren: Innenansichten der Politik“. 256 Seiten für 24 Euro.

Darf man hier einmal nachfragen, ob das Honorar ganz oder teilweise in die Unterbringungskosten der Massenzuwanderung einfließen wird? Etwas anderes wäre eine Einladung zur Kritik, wenn selbst so eine symbolische Mithilfe oder Abbitte nicht stattfände. Wenn sich der Minister a.D. jene Informationen, die er dem Volk schon zu Amtszeiten schuldete, jetzt Jahre später vergolden lässt. (Eine dahingehende Anfrage im Berliner Abgeordnetenbüro de Maizières wartet noch auf Beantwortung und wird hier ggf. nachgereicht.)

Vorab eine Kurzkritik basierend auf den Auszügen und Interviewpassagen zum Buch: Erschreckend gleich zu Beginn ein gerüttelt Maß an Naivität, wenn de Maizière annimmt, er könne beim Bürger und Leser eben eine solche Naivität annehmen, wenn er unbeeindruckt von einer umfangreichen jahrlangen Rezeption der Ereignisse eine Interpretation anbietet, die sich in Wortklauberei erschöpft, wenn er schreibt:

„Es gab mitnichten eine Entscheidung zu einer Grenzöffnung durch die Bundeskanzlerin“. Die Grenzen seien ja schon offen gewesen. (Siehe: hier)

Spätestens hier wird die menschlich nachvollziehbare Rechtfertigung des Versagens albern. Nein, im Schengenraum sind nur die stationären Grenzposten abgeschafft, der Grenzübergang bleibt an Regeln gebunden. Die kann man einfordern. Papiere und Pässe und Visa; und genau das hat diese Regierung versäumt, möglicherweise sogar dazu ermuntert, Papiere zu vernichten um sich als „Syrer“ Zutritt zu verschaffen.  Und: Was für eine fadenscheinige Formulierung ist das eigentlich, wenn damit die Antwort verweigert wird, warum die Grenzen nicht dicht gemacht wurden? Eben das wäre ja nach Robin Alexander „Die Getriebenen“ möglich und sogar durchgeplant gewesen. Zu sagen, dann waren sie nun mal offen, die Grenzen, ist somit zum Geburtshelfer des Angela Merkel zugeschriebenen Satzes geworden, der da lauten soll: „Nun sind sie halt da.“ Die Grenzen waren rechtlich betrachtet nicht offen und sie hätten auch direkt kontrolliert werden können. Wenn deMaizière den Mut dazu gehabt hätte. Hat er nicht. Er hat vor der Kanzlerin gekuscht und geht damit als Minister ohne Rückgrat in die Geschichte ein.

Hier nun also die Rechtfertigung des so viel Gescholtenen, gebunden zwischen zwei Buchdeckeln, der sich über drei Jahre nach den Ereignissen und jenseits eines Amtes nicht mehr an Merkels Direktive halten mag, sich in der Sache nicht zu entschuldigen, als die Bundeskanzlerin vorgab: „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen – dann ist das nicht mein Land.“

Ein freundliches Gesicht? War hier etwa jenes gemeint, das den inneren Frieden gefährdet, Europa gespalten und anstatt mit der Welt in einen fruchtbaren Wettbewerb der Schaffenden zu treten, ein Land dazu verurteilt hat, ein Alimentierungssystem zu etablieren, das zum Magneten zukünftiger Zuwanderung wird und das mittels einer Reihe von UN- und EU-Verträgen aus der Illegalität auch noch in die Legalität gehoben wird?

Gegenüber Bild erzählt de Maizière jetzt die Ereignisse im September 2015 nach, „als die Menschen an den Bahnhöfen gestanden und geklatscht haben.“ Damals wären „alle Flüchtlinge Heilige“ gewesen. Nach der Silvesternacht mit den Übergriffen in Köln wären „alle Flüchtlinge Vergewaltiger“ gewesen. Sein Fazit: Insgesamt hätten sich „alle zu sehr mitreißen lassen“.

Wer aber sollen diese „alle“ sein? Die Kritik an Politik und Medien ist doch eine ganz andere und zudem eine glaubwürdigere als hier von einem der Hauptverantwortlichen erzählt. Politik und Medien waren es doch, die schon früh damit begonnen hatten, die kritischeren Stimmen gegenüber dieser Verweigerung, diese illegale Massenzuwanderung durch mögliche Grenzkontrollen („Die Getriebenen“) zu verhindern, zu diffamieren, zu diskreditieren und unisono mit dem Etikett „Nazi“ oder mindestens „Rechte“ zu brandmarken.

Und was macht der damals verantwortliche Innenminister in seiner autobiografischen Aufarbeitung? Er hat offensichtlich nichts anderes zu tun, als an einer Art nachgereichter Weißwaschung der eigenen Person zu arbeiten, wenn er schon in der Vorbesprechung viel Wert darauf legt, Kritik seines Nachfolgers Horst Seehofer als „ehrabschneidend“ zu bezeichnen, fast so, als lebten wir noch zu Kaisers Zeiten und man müsse sich nun die Handschuhe um die Wangen schlagen und im Morgengrauen zum Duell antreten.

Was soll so ein Mumpitz, wenn es doch viel bedeutender und auch viel notwendiger wäre, die Kritik zu entkräften oder für jeden hörbar verlauten zu lassen: Ja, ich habe Mist gebaut!

Aber der ehemalige Leiter des Inneren hätte den Nachfolger besser kennen müssen. Der legt nämlich sofort nach, wenn er die Darstellung de Maizières als „objektiv falsch“ bezeichnet, wie Seehofer gegenüber der Augsburger Allgemeinen konterte.

In einem Vorabdruck (auszugsweise) des Buches von de Maizière im Spiegel versucht dieser obendrein noch die Verantwortung seiner Behörde für die vorübergehende Aussetzung staatlicher Souveränität an den deutschen Außengrenzen und das Versagen des Sicherheitsapparates auf die „kommunal-politisch Verantwortlichen vor Ort in Bayern“ zu schieben: Die hätten doch „eine Registrierung im Grenzgebiet“ abgelehnt und darauf bestanden, „dass die Flüchtlinge ohne Registrierung, die in jedem Einzelfall 30 bis 45 Minuten dauert, sofort weiterverteilt werden.“ Spätestens hier wird es oberpeinlich. In dem schmalen Grenzstreifen zwischen Freilassing und Passau, auf den die Flüchtlinge trafen bei ihrer Ankunft, leben gerade 100.000 Menschen. Sollte dort ein Riesenflüchtlingslager für eine Million Ankömmlinge eingerichtet werden? Mein lieber Scholli, Berlin ist weit weg von Bayern.

Das muss man sich erst einmal trauen, was der Ex-Minister da versucht, wenn er als Kapitän der Titanic der Besatzung die Schuld an der Haverie gibt, weil diese nicht weiter mit dem Eimer schöpfen mag, vergessend, dass er selbst es war, der das Schiff frontal gegen den Eisberg gesteuert hat.


Eine ausführliche Rezension des Buches auf TE demnächst.