Tichys Einblick
Beherzt, stolz und selbstbewusst

Männer aus der Türkei und von anderswo

Zur Diskussion steht ein Beitrag, der unterschiedliche Blickwinkel auf das deutsch-türkische Verhältnis wirft und die Männer.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wer mit türkisch-stämmigen Männern beruflich in Deutschland zu tun hat, Geschäfte macht oder befreundet ist und wer in Schubladen und Stereotypen denkt, dem könnte das aktuelle Verhalten und die Verlautbarungen des türkischen Außenministers Cavusoglu eventuell bekannt vorkommen. Es wird geschmeichelt, gelobt, aber auch unterschwellig und ganz offen gedroht. Alles in einem Abwasch. Anleihen aus Filmen wie Der Pate könnten sich aufdrängen. Vorne wird gelobt, hinten das Messer gewetzt. Hier der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder über den Klee gelobt, dort Cem Özedmir „Lügner“ geschimpft.

So nennt Cavusoglu Schröder „guter Freund der Türkei“. Schröder sei „sehr weise“. Immer, wenn es Turbulenzen gibt, interveniere Schröder „in einer guten und positiven Weise.“ Nun erklärte Schröder noch 1999, er wünsche sich „eine europäische Türkei. Deshalb wollen wir der Türkei auch eine glaubhafte europäische Perspektive eröffnen.“ Wir können heute davon ausgehen, dass die Erdogan-Türkei sicher alles andere sein möchte, als eine europäische Türkei. Vergeben und vergessen.

Aus Schröders Perspektive müssen wir mitbedenken, das der nicht nur zwei Eigentumswohnungen in einem Ferienhaus auf der Nordseeinsel Borkum besitzen soll, sondern sich 2013 mit seiner damaligen Frau Doris Schröder-Köpf für 250.000 Euro ein Haus im türkischen Bodrum gekauft hat. Gegenüber dem Bürgermeister des Örtchens Gümüslük soll Schröder damals laut Magazin Bunte sogar begeistert geäußert haben, er möchte ganz herziehen, wenn er in Rente sei. Gerhard Schröder wird also mit der türkischen Seele vertraut sein. Er kann, wenn er muss, die richtigen Schubladen ziehen, die passenden Verhaltensweisen an den Tag legen.

Wir lernen aus Erfahrungen. Das Leben funktioniert so. Erfahrungen, die klug machen. Ein eher negativ behaftetes Schubladendenken ist hier durchaus gängige Praxis, es hilft, dass Zusammenleben berechenbarer zu machen. Man könnte die Anwendung von Vorurteilen und Stereotypen sogar „empathisch“ nennen. Wenn ich weiß, wie Menschen aus bestimmten Kulturen funktionieren, dann hilft mit das im Umgang mit Ihnen. Wer im Ausland aktiv wird, kann hier auf eine große Palette von Ratgebern über Kultur und Leute zurückgreifen, ohne dass er damit automatisch abfällig oder rassistisch agieren würde. Und wer Umgang mit fremden Kulturen hat, verbessert täglich seinen individuellen Ratgeber, füllt seine leeren Schubladen. Aber was, wenn man auf dieser individuellen Ebene zu negativen Schlüssen kommt? Wenn man für sich persönlich die Schublade der Abneigung einrichtet?

Im Internet gibt es die Seite „Orientdienst.de“. Dort erfährt man beispielsweise mehr über den orientalischen Mann. Es werden Rubriken angeboten, wie diese hier: „Den türkischen Mann verstehen“ oder „Muslime verstehen“. Vieles, was dort zu lesen ist, kann bestätigen, wer als Deutscher in Deutschland mit Türken zu tun hat oder mit solchen befreundet ist. Anderen wiederum mag das befremdlich erscheinen.

Die Welt im Provinzstadel
Die wichtigste Frage bei Anne Will: Lügt Gabriel?
Auf Orientdienst.de heißt es über den türkischen Mann: Von ihm wird erwartet, „dass er beherzt, stolz und selbstbewusst auftritt. Er muss ständig unterschwellig demonstrieren, dass er bereit und dazu in der Lage ist, seine eigene Ehre, die seiner Familie und die seines Vaterlandes oder seiner Religion zu verteidigen. Die erwarteten Charaktermerkmale sind: Mut, Ehrbewusstsein und Stolz, Durchsetzungsfähigkeit, Selbstkontrolle, Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Keinesfalls darf ein Mann allzu zurückhaltend, demütig oder leise, feminin, geizig oder schwatzhaft sein. So soll ein Mann dem Blick seines Gegenübers standhalten, sich laut und deutlich artikulieren und bei Konfrontationen nicht vorschnell zurückweichen. Während er Älteren und Höhergestellten gegenüber respektvoll auftritt, sollte er auf dem Respekt Jüngerer und Niedriggestellter bestehen. Abgesehen von engen Verwandten sollte er Frauen mit Zurückhaltung begegnen. Sein gewöhnlicher Umgang außer Haus sollte sich weitgehend auf Männer beschränken.“

Nun ist diese Internetseite ein Angebot der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen, der größte evangelische Missionsdachverband in Deutschland. Die eben beschriebenen, fast schon unangenehm zoologisch anmutenden Menschenbilder sollen missionierenden Christen helfen, Muslimen den christlichen Glauben vorzustellen. Dafür bedarf es offensichtlich ein paar ziemlich knarziger Schubladen, welche die Überzeugungsarbeit leichter machen.

Auch in der Außenpolitik und Diplomatie sind angewandte Stereotype in Form von erklärenden Bulletins durchaus üblich. Staatsmänner können staatsmännischer auftreten, wenn sie eine Vorstellung davon haben, wie der Fremde gegenüber tickt.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu lobt Gerhard Schröder. Das mag ihm leichter fallen, weil er kein amtierendes deutsches Regierungsmitglied loben muss. Er umgeht also mit Schröder eine übertriebene Lobadresse an Sigmar Gabriel, an ein amtierendes Mitglied der geschäftsführenden deutschen Regierung, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Über Außenminister Gabriel sagt er stattdessen in Sachen Deniz Yücel: „Er hat uns nett gebeten, das Verfahren zu beschleunigen.“ Gabriel hat also die Türkei als Staatsmann nett um etwas gebeten. Was genau „nett“ hier bedeutet, führt der Türke nicht weiter aus. Zwar betonen beide Seiten, dass es in Sachen Yücel keine Deals gegeben habe, aber man hätte in diesem Zusammenhang schon darüber gesprochen, „wie wir unsere jetzige Situation überwinden können, um zu den guten Tagen unserer Beziehung zurückkehren können“, so der türkische Außenminister.

Im selben Atemzug wird der Beinahe-Außenminister, der Grünen-Politiker Cem Özedmir allerdings brutal als „Lügner“ abgewatscht. Özedmir ist in der Türkei schon länger in Ungnade gefallen. Als er im Bundestag die Armenien-Resolution bestätigte, hatte ihm beispielsweise die türkische Heimatgemeinde seines Vaters symbolisch die „Mitbürgerschaft“ abgesprochen.

Mevlüt Cavusoglu ist also recht großzügig mit Lob für Schröder, macht Gabriel zu einer Art netten Bittsteller und beleidigt Cem Özedmir als Lügner. Ist das diplomatisch? Eher nicht. Durchschaubar? Eher schon. Wenn man nur die richtigen Schubladen zieht. Sicher hält Cavusoglu hier dem Blick seines Gegenübers stand, aber es sollte einem auch nicht entgehen, dass er dabei ein paar Mal heftig gezwinkert hat, jederzeit bereit, vehement seine eigene Ehre, die seiner Familie und die seines Vaterlandes oder seiner Religion zu verteidigen.