Tichys Einblick
Dialektisch oder einfach nur orientierungslos

Linke und Zuwanderung: Das Volk hört keine Signale

Wie wird die Debatte um Zuwanderung innerhalb der Linken geführt? Wie schafft sie den Spagat zwischen Parteiprogramm und Oskar Lafontaines Aussage von offenen Grenzen als "eine zentrale Forderung des Neoliberalismus"?

© Sean Gallup/Getty Images

Warum profitierte die Partei Die Linke nicht von den Verlusten von CDU und SPD, warum konnte sie ein wachsendes Misstrauen gegen diese so genannten etablierten Parteien nicht für sich nutzen? Einfach zu beantworten wäre das mit einem Verweis auf die Verweigerung, sich seit Ende 2015 der Massenzuwanderungsproblematik zu stellen.

Nun passiert, was nicht passiert, nicht ohne Grund. Genau dort, wo die Verteilungskämpfe der Zukunft zuerst wirken, hatte die Linkspartei bisher ihr größtes Wählerpotential, bei den Abgehängten. Die Linke wird von Leuten gewählt, die das niedrigste Nettoeinkommen haben. Nur die Nichtwähler sind noch schlechter dran. Die AfD wird prozentual mit Abstand am meisten von Arbeitern gewählt. Die Betriebsräte der großen Unternehmen haben längst Alarm geschlagen, weil AfD-Sympathisanten in die Arbeitervertretungen einziehen.

Zwischen unvereinbaren Klientelen?

Die Linke verliert also weiter in der sowieso schrumpfenden Gruppe der Arbeiter und konzentriert sich auf die Abgehängten. Aber wie schwer sie sich hier tut, zeigt die verquaste Dialektik gegenüber dieser Gruppe. Beispielhaft soll hier ein Zitat vom Blog der parteinahen Rosa Luxemburg Stiftung sein, wo man sich schon viel früher mit der Frage beschäftigt hatte, warum die Linke nicht aus der Krise profitiert – hier wurde allerdings ungewollt der Grund gleich mitgeliefert. Wer Sätze wie den folgenden schreibt, der zeigt an, wie ideologisch gefangen und wie wenig anpassungsfähig er ist:

„Bislang aber gibt es keinen signifikanten offenen Kampf zwischen den neoliberalen Eliten und den Beherrschten, in dem es um eine gegenhegemonialen Perspektive ginge, die den Rahmen des Neoliberalismus verlässt.“

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Aufgeschrieben hat das Rainer Rilling, Marburger Professor der Soziologie und Senior Research Fellow der Stiftung. Der über Siebzigjährige bringt die klassische linke Biografie mit. Bis zu dessen Selbstauflösung war er als Student Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Rilling beklagt ein Verschwinden der sozialistischen Vision, Rhetorik und Diskurse aus den Medien des Liberalismus (Zeit, Stern, FR, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau). Hier sieht er „ein klares Indiz für eine galoppierende und wirklich massive, zunächst ganz unerwartete Illegitimisierung und Exklusion der politisch-sozialen Linken und der Partei Die Linke aus dem politischen „akzeptierten“ Raum.“

Aufgeschrieben hatte Rilling seine düstere Analyse für die Linke allerdings schon 2009. Und wenn er von „Krise“ spricht, meinte er also die globale Banken- und Finanzkrise. Aber auch 2018 und nach fast drei Jahren anhaltender Zuwanderungskrise schaut Rilling düster in eine linke Zukunft, wenn er befindet, dass keine neuen linken Zeiten kommen: „Wer jetzt und zuvor Ohnmacht erfährt, sieht oft auch Zukunft als Schicksal. Wer dagegen Macht hat, setzt auf Gestaltung.“ Gut, das ist mit dicker linker Hose aufgeschrieben, aber besser kann man das Schicksal der Partei Die Linke kaum umschreiben: Die Ohnmacht des kleinen Mannes ist die Ohnmacht einer Partei, die gegenüber der Zuwanderungskrise die wenigsten Lösungsansätze aller im Parlament sitzenden Parteien anbieten kann.

Zwischen Abgehängten und Zuwanderern?

Fragen Sie einen x-beliebigen Linken, wie sich seine Partei gegenüber der Zuwanderungsproblematik aufstellt, die Antworten sind kaum der Rede wert. Unter jedem Sonnenschirm der Grünen und der SPD vor Edeka werden sie mehr Haltung dazu erleben, als bei der Linkspartei. Selbstredend bei SPD und Grünen keine explizit zuwanderungskritischen, aber immerhin abgesichert mit einem Wurf von Argumenten, so widerlegbar diese auch sein mögen. Denn was der Wähler am wenigsten mag, sind offene Fragen und sichtbare Unsicherheiten. Und die Linkspartei ist gegenüber ihren Stammwählern so unsicher, so unsichtbar wie nie zuvor.

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Nun hat diese oft bildungsferne Wählerklientel kaum Schwierigkeiten, vorbei an so einer komplizierten Dialektik, die Willensbekundungen der Linkspartei zur Zuwanderung als absurd zu empfinden. Denn dort, wo Zuwanderung massenhaft passiert, nimmt sie auch im sozialen Netz Platz, also in direkter Nachbarschaft zu den Zuwanderern. An den Tafeln in den Jobcentern und dort, wo legale und illegale Hilfsjobs angeboten und umkämpft sind. Hier braucht es keine intellektuell unterfütterten Erkenntnisse, hier ist die Realität der Lehrmeister.

Denn was sollte ein Arbeitsloser in der Schlange vor einer Tafel auch davon halten, wenn die Linke, was er gerade erlebt, folgendermaßen umschreibt: „Diskriminierungen von Asylsuchenden und Geduldeten bei der sozialen Versorgung und Unterbringung sind zu beenden. Die Menschenrechte müssen auch für Menschen ohne Papiere gelten, sie brauchen Perspektiven einer Legalisierung.“

Schlimmer noch, wenn die Partei ausgerechnet hier noch ihre potentiellen Stammwählerschaft erweitern will: „Wir setzen uns ein für das aktive und passive Wahlrecht für jene, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sowie für gleiche Rechte beim Zugang zum Arbeitsmarkt.“ Zudem setzt man unverdrossen weiter auf die doppelte Staatbürgerschaft, also zukünftige Wählerstimmen. Macht- und Parteipolitik in Reinkultur.

So etwas ist nicht mehr erklärbar, wird sogar als Verrat bei jenen empfunden, die in der Linkspartei bisher so etwa wie eine natürliche Vertretung ihrer Belange gesehen hatte. Nun ist es nicht so, dass es dazu innerhalb der Partei keine Debatte gebe, aber sie kommt nicht dort an, wo sie hingehört, beim potentiellen Wähler.

Zwischen Migrantenunterkunft und Tafel?

Wenn Sahra Wagenknecht sich gelegentlich kritisch zur Zuwanderungseuphorie geäußert hat oder die Kritik an der Essener Tafelentscheidung bemängelt, dann ist das halbherzig und allenfalls Schadensbegrenzung. Wenn im Parteiprogramm steht: „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“, nennt Wagenknecht das einen Satz für die Zukunft, nicht die Gegenwart. Das versteht niemand mehr, dass ist die Dialektik der Kanzlerin und ihrer Unternehmensführer zum Segen der Zuwanderung, der schon irgendwann einmal kommen wird.

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Wie wird nun die Debatte innerhalb der Linken geführt? Wie schafft man den Spagat beispielsweise zwischen dem Parteiprogramm und Oskar Lafontaines Aussage, dass offene Grenzen „eine zentrale Forderung des Neoliberalismus“ seien? Dazu lohnt ein Blick ins Neue Deutschland zu einem Artikel Uwe Kalbes, Ressortleiter Inland. Kalbe hat sich über die Wende hinweg in der Redaktion gehalten, war schon 1988 beim ehemaligen Zentralorgan der SED tätig. Aber lassen wir das für den Moment beiseite und schauen wir, was Kalbe zur linken Zuwanderungsdebatte zu erzählen hat. Auch für Kalbe fehlt eine eigene Haltung der Partei zur Frage der Einwanderung. Die Solidarität mit einheimischen Prekarisierten gegenüber zugewanderten Prekarisierten, sei eine „hochproblematische Position.“ Hier könne man nicht bei der AfD wildern, meint Kalbe.

Nun stellt Kalbe zunächst richtig fest, dass die linke Verweigerung eines Einwanderungsgesetzes ebenfalls in der Ideologie der Partei verankert ist:
„In der Linkspartei wurde ein Einwanderungsgesetz bisher vehement abgelehnt – als Einfallstor für die Ideologie der Arbeitskraftverwerter, die Migranten per Punktesystem auf einer Skala der Nützlichkeit einsortieren.“

Nein, auch Uwe Kalbe hat keine Lösung, wenn doch seine Analyse im Wesentlichen zutrifft. Er sieht seine Aufgabe im Neuen Deutschland wohl eher darin, die Partei mit Wagenknecht zu versöhnen, wenn er – wieder halbherzig – befindet: „Zuwanderung ohne Begrenzung kann zum Problem werden.“ Die Linke schmort hier dauerhaft im eigenen Saft.

Die Rechten als Ausrede

Kalbe macht der Linkspartei dann im Schlussabsatz seines Artikels noch vor, wie man in so einer wichtigen Debatte veritabel abstürzt, wenn er aus chronischem Mangel an Ideen der Einfachheit halber gleich die ganze „Flüchtlingskrise“ zu einer Erfindung der Rechten macht: Die „Flüchtlingskrise“ wurde erst „durch den Vormarsch der Rechten und (der) hysterischen Reaktionen der etablierten Politik zu einer solchen. (…) Nicht zu einer Flüchtlings-, sondern zu einer Krise der Menschlichkeit.“

Dass ist die ganz große Trommel. Aber die Stammwählerschaft der Linkspartei weiß es besser. Auf diesem Ohr ist sie taub. „Völker hört die Signale“ darf hier gerne zu erst ein Signal für das eigene Volk sein. Aber wenn das nun so ist, dann macht die Linkspartei ja vielleicht doch alles richtig. Dann ist das eben nicht mehr ihr Wunschvolk. So wie dieses Deutschland nicht mehr das Land der Kanzlerin ist, wenn es nun Mal ist, wie es ist. Dass Volk hat sich also zum größten Problem entwickelt.