Tichys Einblick
Tarnen und Täuschen

Internes Dienstpapier des BAMF: Mehr als jeder dritte Asylbewerber reiste mit Visum per Flugzeug ein

Was für ein Papier ist das? Der BAMF-Titel ist so lächerlich, dass man sich in ein Provinz-Reisebüro mit angeranztem Palmenplakat versetzt fühlt: „Die erste große Reisewegbefragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)“.

@ imago/Lars Reimann
Die Zeitung WELT berichtet nun endlich mal, wo andere Medien sich nicht rühren: Aber auch hier darf man irritiert sein, was diese hochgerüstete Redaktion doch für eine lange Leitung hat. WELT-Redakteur Marcel Leubacher legt dar, dass jeder dritte Asylbewerber mit dem Flugzeug einreist.

Warum? Weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dazu eine interne Erhebung erstellt hat (dazu gleich mehr) und diese dann der WELT zugespielt wurde. Also wird im Rahmen dessen berichtet. Und kommt zu der dramatischen Erkenntnis, dass das BAMF Einzelheiten beispielsweise zu Einreisen per Visa verweigern würde.

TE hatte allerdings schon vor Monaten ausführlich darüber nicht nur berichtet, sondern akribisch recherchiert und dazu die Resultate einer umfangreichen Kommunikation sowohl mit dem BAMF als auch mit dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigem Amt veröffentlicht.

Und TE erledigte das auf eine Weise exklusiv und umfänglich, dass sich sogar Nichtregierungsorganisationen (NGO) unserer Recherchergebnisse bedienten und diese samt Internetverlinkung als Informationen für ihre Klientel veröffentlichten.

Um das noch vorweg zu schieben: TE hatte hier nicht zum ersten Mal den Eindruck gewonnen, dass die Pressestellen in Behörde und Ministerium direkt erleichtert waren, dass endlich mal ein Journalist nachfragt. Denn Pressemitteilungen brauchen einen Anlass und eine Order von oben, Anfragen müssen hingegen beantwortet werden. Oder sollten zumindest. Mit anderen Worten: Selbst wenn den Pressestellen gravierende Missstände auffallen, braucht es jemanden, der von außen nachfragt, aber es fragte bisher wohl keiner.

TE titelte am 17 April 2020: „Schengenvisa für Afghanen in der Türkei: Zahlen unbekannt“. Und am 22. April 2020: „BAMF und BMI verheimlichen, wie viele Afghanen mit deutschen Visa aus der Türkei einreisen.“

Der Skandal bestand darin, dass Afghanen offensichtlich in großer Zahl die Möglichkeit bekommen, mit Visa aus der Türkei legal nach Deutschland einzureisen, während sich die Bundesrepublik seit Jahren bemüht, Afghanen ohne Aufenthaltsberechtigung auszuweisen.

Es fing damit an, dass TE von der Pressestelle des Auswärtigen Amtes wissen wollte, wie viele Afghanen aus der Türkei ganz legal mit Visa nach Deutschland eingereist sind. Eine Frage, die ein Sprecher des Auswärtigen Amtes nicht beantworten konnte, weil eine „Erfassung nach Staatsangehörigkeit“ nicht erfolgen würde. „Insofern können wir diese Zahlen leider nicht zur Verfügung stellen.“

Erstaunt stellte TE weiter fest, dass es auf der Internetseite der Deutschen Vertretungen in der Türkei nach wie vor schwarz auf weiß unter „Visa für afghanische Staatsangehörige“ steht: „Afghanische Staatsangehörige mit legalem Aufenthalt in der Türkei (d. h. Ikamet, Flüchtlingsausweis oder Visum) können Schengenvisaanträge in der Türkei beantragen. Schengenvisa, auch „C-Visa“ genannt, werden erteilt für Aufenthalte unter 90 Tagen zu Zwecken wie Besuchs- und Geschäftsreisen.“

Darauf folgen Hinweise zum korrekten Antrag, beispielsweise, dass Unterlagen auf deutsch oder englisch übersetzt werden müssen: „Wir empfehlen hierzu dringend, einen professionellen Übersetzungsservice zu nutzen. Unverständliche Übersetzungen können nicht verwendet werden und können zu einer Ablehnung führen.“

Tatsächlich kommt es weiterhin nicht zu einer Ablehnung von Visaanträgen von Afghanen in der Türkei trotz dringendem Verdacht, dass Afghanen über die Türkei per Flugzeug nach Deutschland kommen, um Asyl zu beantragen.

2019 erteilten die Auswärtigen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland weltweit knapp zwei Millionen Schengenvisa. Und schauen wir uns hier die Zahlen aus der Türkei an, dann sind das allein für 2019 weit über 200.000: In Ankara wurden 60.582 Visa erteilt, in Istanbul 122.569 und in Izmir 39.096.

Was liegt da näher, als zu fragen, wie viele dieser Einreisenden mit Visa später Asyl beantragen? Ein Pressesprecher des Auswärtigen Amtes bittet TE, sich an das Bundesinnenministerium zu wenden. Das machen wir und wollen wissen, wie viele Asylbewerber im vergangenen Jahr und in den ersten Monaten 2020 Asylanträge gestellt haben, die mit Schengenvisa eingereist sind. Und im speziellen die genauen Zahlen der Asylanträge von Afghanen, die über die Türkei mit Visa nach Deutschland eingereist sind.

Die deutschen Vertretungen in der Türkei boten zum Zeitpunkt der Recherche auf ihrer Internetseite übrigens einen interessanten Service an, wenn es da hieß: „Einige Fluggesellschaften bieten weitere Flüge nach Deutschland an, etwa SunExpress am 27., 28. und 29. April aus Ankara und Izmir.“ Es folgten Tipps, wie diese Flüge gebucht werden können. Es wäre also einmal interessant zu schauen, wer mit den genannten SunExpress-Flugzeugen und gegebenenfalls Schengenvisum eingeflogen ist.

Und dann haben wir weiter gefragt mit dem Ergebnis: Afghanen können in der Türkei mittlerweile einfach ein Visum für die EU erhalten. Wie viele dieser legal Eingereisten dann in Deutschland einen Asylantrag stellten, kann oder will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht sagen. Es läge keine Statistik vor.

Anfrage von TE beim BMI und beim BAMF: „Können Sie mir bitte mitteilen, wie viele Asylbewerber Antrag gestellt haben im vergangenen Jahr und in den ersten Monaten 2020, die mit einem Schengen Visa eingereist sind? Im speziellen bitte die genauen Zahlen der Asylanträge von Afghanen, die über die Türkei mit Visa nach Deutschland eingereist sind.“

Antwort eines Sprechers des BAMF: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass mir keine Statistik im Sinne Ihrer Fragestellung vorliegt.“

Nachfrage von TE: „Haben Sie denn eine Idee, warum Ihnen keine vorliegt?“

Antwort: ………………

Zwei Monate später stellt die WELT jetzt also fest: „Migration per Visum: Mehr als jeder dritte Asylbewerber reiste per Flugzeug ein“.

Und wie hat es die WELT herausgefunden? Jemand aus dem BAMF hat besagtes Papier in der Redaktion fallen lassen. Was steht da drin?

„Mehr als jeder dritte Asylbewerber kam laut Eigenauskunft mit dem Flugzeug in der Bundesrepublik an.“ Was für ein Papier ist das? Der BAMF-Titel ist so lächerlich, dass man sich in ein Provinz-Reisebüro mit angeranztem Palmenplakat versetzt fühlt: „Die erste große Reisewegbefragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)“.

Es wurden also Asylbewerber auf freiwilliger Basis vom BAMF irgendwann befragt und dann haben ein paar der Befragten freiwillig Auskunft gegeben.

Was macht das BAMF eigentlich den ganzen Tag? Da soll es akribische Befragungen geben samt Dokumentenschau, die Aufschluss geben sollen über ein Anrecht auf Asyl – und dieses Amt kann anschließend nicht einmal eindeutig sagen, wie die Leute ins Land gekommen sind?

Der Skandal weitet sich da noch aus, wo Innenministerium und BAMF nicht einmal in der Lage sind, vom Auswärtigen Amt einfach nur abzufragen, welche Visa die Vertretungen an wen und wann ausgestellt haben. Inklusive zusätzlichem Abgleich mit den Einreisebehörden am Flughafen.

Denn dann wüsste man schon Wochen oder Monate vorher, wer in Deutschland angekommen aller Wahrscheinlichkeit nach Asylantrag stellen wird. Warum verweigert die Regierung also so einen ganz einfachen übergreifenden Informationsaustausch? Weil dann völlig klar wäre, dass diese Visa-Politik auszusetzen ist, weil sie eher den UN-Flucht- und Migrationspakten folgt als der deutsche Gesetzgebung bzw. dem Wohle des deutschen Volkes?

BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer hatte schon im März vergangenen Jahres gesagt, dass etwa ein Drittel angebe, über Flughäfen eingereist zu sein. Ein großer Fremdschammoment ist das für diesen Mann, seine Behörde und dem ihr vorgesetzten Bundesinnenminister.

Man befragt dort also freundlich und freiwillig, was man doch nach Aktenlage präzise erheben könnte, wenn man nur willens dazu wäre. Und na klar: So verhindert man dann auch, das etwa Beamte, die mehr wissen wollen, die wissen wollen, worüber Auskunft verpflichtend ist, noch wegen Diskriminierung angezeigt zu werden.

Glückwunsch der WELT, dass sie nun aufgewacht ist und zu einem Schluss kommt, den sie vor Monaten bei TE hätte abschreiben können:

„Entweder wollen die Bundesregierung und die Ministerien selbst nicht genau wissen, wie bedeutend das Phänomen „Asylantrag nach Visum“ ist, oder sie wollen diese Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten.“

Nein, liebe WELT, keine Sorge: Eure Frage, ob die Regierung dem Volk etwas vorenthalten will, ist keine Verschwörungstheorie. Nur eine nahe liegende Schlussfolgerung.

Ach so: Das Papier zur Reisebefragung, welches der WELT zugespielt wurde, „wurde nur für den internen Dienstgebrauch erhoben.“ Wer das noch witzig findet, der hat wirklich goldigen Humor.

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