Tichys Einblick
Brexit macht*s möglich

Großbritannien beschränkt Asylzuwanderung

Die britische Regierung plant eine „drastische Verschärfung des Asylrechts“. Großbritannien macht nun ernst mit einem der Gründe für den Brexit.

Ein Boot der britischen Küstenwache mit Illegalen Migranten an Bord in Dover

IMAGO / ZUMA Wire

Für viele EU-Europäer ist es vermutlich aufregend mitzuverfolgen, wie ein Staat souverän über seine Geschicke entscheiden kann. So haben die via Brexit von der EU entkoppelten Briten gerade beschlossen, ihr Asylsystem zu reformieren. Ein Nachrichten-Onlineportal berichtete, dass die britische Regierung eine „drastische Verschärfung des Asylrechts“ plane. Zitiert wird hier Großbritanniens Innenministerin Priti Patel, die das im BBC-Interview geäußert haben soll.

Was ist das Ziel? Zunächst einmal ist neben dem Brexit auch die Inselsituation für Großbritannien hinsichtlich der Verhinderung einer Massenzuwanderung viel komfortabler als für die noch in der Europäischen Gemeinschaft verbliebenen Staaten. Aber dennoch kommen nach Einschätzung der Innenministerin immer noch viel zu viele Migranten über den Ärmelkanal. Diesen Menschen will man die Einwanderung per Gesetzesverschärfungen zukünftig schwerer machen. Es soll für sie keinen direkten Asylzuzgang mehr geben. Um dieses Vorhaben durchzusetzen, bedarf es allerdings zahlreicher Reformen des bestehenden Rechts. Das will die Regierung nun in Angriff nehmen.

Brexit macht*s möglich
Man erinnert sich an die endlos erscheinenden Debatten rund um die Ursachen für die Brexit-Entscheidung der Briten. Der Ökonom Hans-Werner Sinn hatte schon 2016 unmissverständlich formuliert: „Das Flüchtlingsproblem ist schuld am Brexit.“ So betrachtet sind die aktuellen Reformbestrebungen nur folgerichtig am damaligem Votum der Mehrheit der Briten ausgerichtet.

Nochmal Sinn 2016: „Es war das überragende Thema beim Brexit-Referendum. Die Flüchtlingszahlen sind zwar direkt nach der Grenzschließung in Mazedonien im Februar gesunken, doch die EU ist noch immer nicht in der Lage, die Flüchtlingsströme aus Afrika zu verhindern.“

Schon im August 2020 berichtete die Neue Zürcher Zeitung darüber, dass immer mehr Migranten über den Ärmelkanal nach Großbritannien einwandern würden. Teilweise auch hier in Schlauchbooten Richtung Küste der Grafschaft Kent und eben nicht durch den Tunnel.

Es klingt aus deutscher Sicht fast ein bisschen bizarr, dass 4.000 Migranten im ersten Halbjahr 2020 von der britischen Regierung, namentlich der Innenministerin, als Bedrohung und Kollaps des britischen Asylsystems betrachten werden. Aber die Zahl ist geeignet, die Dimension der Verwerfung in Deutschland einzuordnen, wo ein Vielfaches an Migranten im selben Zeitraum aufgenommen wurden. Eine weitere Vergleichszahl: 2018 hatten weniger als 300 Migranten den Ärmelkanal überquert.

Selbstverständlich hat das Thema Zuwanderung im Kontext mit dem Brexit an Bedeutung gewonnen. Wo es um die Zurückgewinnung der Kontrolle über die Grenzen geht, muss eine Brexit-Regierung schon zwangsläufig harte Hand zeigen, um Glaubwürdigkeit zu generieren. Genau das sei es, was die Briten wollten, hatte schon im vergangenen Jahr besagte Innenministerin formuliert.

Nun weiß auch Großbritannien, dass es ohne Frankreich nicht geht. Es klingt fast grotesk, aber so wie Mitglieder der deutschen Regierung nach Nordafrika reisen, um dort zu verhandeln, oder die Italiener die libysche Küstenwache ausbilden, sprach die britische Regierung mehrfach in Paris vor, die Franzosen dazu zu bewegen, wie es die Neue Zürcher Zeitung formulierte, „entschlossener das Auslaufen der Boote“ zu verhindern.

Brexit macht*s möglich
Oder anders ausgedrückt: England bittet Frankreich, seine Asylanten doch selbst zu behalten. Frankreich mag das gleich sein, wohin es einen Teil seiner Migranten weiterziehen lässt, die viel größere Zahl landet sowieso in Deutschland. Rücküberstellungen gemäß Dublin-Verordnung sind hier kaum mehr zu erwarten. Nur einem geringen Bruchteil der Anträge auf Rücküberstellung wird überhaupt entsprochen. Der Rechtsbruch scheint schon im System implantiert – und das bereits seit Beginn der Zuwanderungskrise.

Großbritanniens Innenministerin Priti Patel möchte verhindern, dass Asylbewerber nur deshalb ins Land gelangen können, weil sie die Fähigkeit besitzen „Menschenhändler zu bezahlen“. Hilfsorganisationen sind über dieses Vorhaben empört. Für den Chef des britischen Roten Kreuzes ist das gar der Beginn eines „Zwei-Klassen-Systems“ bei den Asylentscheidungen. Es ginge nicht mehr nur um die Schutzbedürfigkeit, sondern nunmehr auch um die Art der Einreise.

Was in Deutschland vollkommen versandet ist, soll in Großbritannien zusätzlich verschärft und beschleunigt werden: die Abschiebungen. Und weil man schon mal dabei ist, soll auch die Ermittlung des tatsächlichen Alters der verbleibenden Asylantragsteller intensiviert werden, auch das war lange ein Thema in Deutschland, die Verfahren der Altersbestimmung kommen hierzulande allerdings kaum noch zum Einsatz.

Nun zeigt auch die neue Strenge in der Asylpolitik in Dänemark, dass man durchaus auch als EU-Staat souveräner mit dem Thema Zuwanderung umgehen kann. Aber wie lange hat das Bestand, ab wann muss sich Dänemark aus Sicht der EU-Wächter neben Ungarn und Polen auf die Sünderbank setzen? Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hatte zuletzt zur  Reform des Eu-Asylrechts Vorschläge unterbreitet, die durchaus geeignet waren, die wichtigsten Aufnahmestaaten wie Deutschland in Alarmstimmung zu versetzen. Aber es waren ja zunächst nur Vorschläge.

Wo aber ist das Papier zur Reform gelandet? Die Vorschläge wurden zerstückelt und sickern nun von EU-Arbeitsgruppe zu Arbeitsgruppe langsam ins EU-Recht ein. Den aktuellen Stand dieser Reformbemühungen aus den Tiefen der EU-Veröffentlichungen zu fischen, ist schon eine Aufgabe für Spezialisten. Die Briten brauchen sich diese Mühe nicht mehr zu machen.

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