Tichys Einblick
Berliner Landgericht

Gericht nennt Beleidigungen gegen Renate Künast „Meinungsäußerungen“

Das Urteil des Berliner Landgerichts zu den unterirdischen Beleidigungen gegen die grüne Politikerin stößt breit auf Unverständnis und Empörung. Liest man die Beleidigungen, ist das verständlich. Wo aber bleiben Unverständnis und Empörung, wenn Beleidigungen gegen andere gehen?

imago images / photothek

Gerade erst hieß es, es würden nur noch Kapitalverbrechen vor Gericht kommen, die Justiz wäre hoffnungslos überlastet. Die gute Nachricht ausgerechnet aus Berlin: Es werden auch noch Gartenzaundelikte verhandelt – jedenfalls, wenn die politische Prominenz jammert.

Die schlechte Nachricht: Selbst wenn es um die Durchsetzung des Rechts auf der Bagatelle-Ebene geht, sorgen die Urteile für Kopfschütteln, wie jetzt im Falle der Grünen Renate Künast, die sich nicht „Drecksf…“ nennen lassen wollte und damit vor Gericht ging. Severin Riemenschneider, der Anwalt der ehemaligen Ministerin war nach dem Urteil vor dem Berliner Landgericht fassungslos, wie die Morgenpost zu berichten wusste, genannte Beschimpfung sei für ihn „eine klare Formalbeleidigung“.

Keine Frage ist es ihr gutes Recht: Frau Künast möchte gegen den Beschluss des Gerichtes vorgehen und beruft sich dabei auch darauf, dass sie eine Frau sei. Sie möchte so etwas wie ein Zeichen setzen für alle Frauen im Netz: „Der Beschluss des Landgerichts sendet ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, welchen Umgang Frauen sich dort gefallen lassen sollen“, sagte sie gegenüber dpa.

Für alle Frauen? Offensichtlich für alle, außer …. also nicht für Alice Weidel von der AfD. Oder hatte Frau Künast sich 2017 genauso empört und solidarisch hinter Frau Weidel gestellt, die nicht von irgendeinem Internet-Troll, sondern sogar vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen – namentlich von extra3 – als „Nazi-Schlampe“ bezeichnet wurde und vor einem Hamburger Gericht gegen den Sender scheiterte.

Renate Künast wollte übrigens eine Art Grundsatzurteil erreichen, als sie gleich gegen 21 weitere Facebook-Nutzer vorging, die sie mit drastischer Fäkalsprache beleidigt hätten. Auch mit diesem Anliegen kam Renate Künast in Berlin vor Gericht nicht durch. Ein Anlass für Schadenfreude mag hier gegeben sein, wenn bei jemandem das Gerechtigkeitsgefühl dahingehend angestupst wird, wenn es noch bei politisch weniger genehmen Politikerinnen hieß, „Nazi-Schlampe“ sei okay, weil Satire. Aber wenn das schadenfrohe Grinsen dann verflogen ist, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Kritik an der Politik der Frau Künast nicht bissig genug sein kann, dass allerdings ein Gerichtsurteil zunächst für Kopfschütteln sorgt, wenn es solche Beschlüsse fällt. Zu Recht?

Nein, „Drecksf….“ ist kein Spaßbegriff, keine Satire und kein irgendwas. Und „Nazi-Schlampe“ geht sogar noch darüber hinaus, weil es zum einen die Person selbst als Frau beleidigt und zum anderen noch die politische Haltung von Frau Weidel aufs übelste diskreditieren will. Aber es soll hier um kein Mimimi-Ranking gehen zwischen Künast und Weidel.

Die Berliner Morgenpost hat den Original-Beschluss bereits vorliegen und zitiert daraus, es handle sich in allen 22 Fällen nicht um Beleidigungen sondern um „zulässige Meinungsäußerungen“. Weiter: „Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerungen im Kontext einer Sachauseinandersetzung steht“, heißt es. Und genau das liegt nach Auffassung der Richter hier vor. Weiter heißt es da, als Politikerin müsse sich Künast auch weit überzogene Kritik gefallen lassen. Ein besonders groteskes Beispiel ist die Haltung des Gerichtes zu folgender Beleidigung gegen Frau Künast: „Knatter sie doch mal so richtig durch, bis sie wieder normal wird“. Solche Äußerungen wären in Ordnung, weil es „mit dem Stilmittel der Polemik geäußerte Kritik“ sei. Wie bitte?

„Die Unterstellung, dass Künast „vielleicht als Kind ein wenig zu viel gef…“ wurde, ist laut Beschluss „überspitzt, aber nicht unzulässig“. Die Forderung, sie als „Sondermüll“ zu entsorgen, habe „Sachbezug“. Attribute wie „Stück Scheiße“, „Schlampe“ sowie „Geisteskranke“ wurden als „Auseinandersetzung in der Sache“ gewertet.“

Sicher hat das Gericht hier jene an der Verfassung orientierte Trumpfkarte ausgespielt, die verhindern soll, dass Bürger einen Maulkorb aufgesetzt bekommen, dass sie sich genau überlegen mögen, wo sie Kritik üben und in welcher Form, wenn jede ätzende Kritik zu einer Strafverfolgungssache werden könnte. Auch der türkische Präsident teilt jedenfalls gegen Böhmermann die bittere Erfahrung der Frau Künast, wie es ist, wenn die Meinungsfreiheit so ziemlich jeden verbalen Ausraster deckt. Aber vor allem durfte Renate Künast jetzt einmal erleben, wie sich das anfühlt, für einen Tag Alice Weidel zu sein.

Dass nun allerdings ausgerechnet der Grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Volker Beck – der sonst kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es darum geht, den politischen Gegner verbal abzuwatschen – dass ausgerechnet Beck in der Causa Künast per Twitter „Anstand und Respekt“ anmahnt, dass entbehrt bedauerlicherweise nicht einer gewissen Komik.

Anstand und Respekt sind nahe Verwandte des Mutes. Sich für Anstand und Respekt einzusetzen ist noch einmal mehr wert, wird es für den politischen Gegner bzw. noch allgemeiner: für so jemanden angemahnt, den man partout nicht mag, dem man sonst nicht einmal einen Eimer Wasser über den Hof tragen würde. Möglicherweise haben sich ja seinerzeit Beck und Künast für Weidel eingesetzt – eine Internet-Recherche weiß allerdings nichts dazu (wer dazu etwas findet, gerne hier in den Kommentaren hinterlassen).

Abschließend müssen auch Beck und Künast noch auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hingewiesen werden, als sich die Grünen bei der Verabschiedung dieses politischen Instrumentes zur Meinungsunterdrückung im Internet einfach mal ihrer Stimmen enthielten, um sich bloß weiterhin den Partt keine Meinungein der Großen Koalition als potentielle zukünftige Partner anzudienen, obwohl selbst ein Konstantin von Notz (Die Grünen) damals davor gewarnt hatte, die großen Netzwerkanbieter in eine Richterrolle zu drängen. In Berlin wurde nun analog entschieden und von einem echten Gericht zu Ungunsten der Renate Künast.

Leider fällt genau auf dieser Seite des politischen Spektrums immer nur dann die Empörung über solche Urteile auf, wenn es die jeweiligen Personen selbst betrifft – oder warum hat man z.B. von den Grünen nichts zu den folgenden Urteilen gehört?

Renate Künast hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Hass ist keine Meinung”. Das Landgericht urteilte genau anders herum: Hass ist Meinungsäußerung.

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