Tichys Einblick

Freispruch im BAMF-Skandal: Schlagzeilen wie aus dem Stille-Post-Spiel

„Nur wenige Flüchtlinge haben Bleiberecht erschlichen“ - suggeriert nach dem Skandal um die Bremer Filiale des BAMF: Das Amt funktioniert. Doch untersucht wurde ganz etwas anderes. Aber was macht das schon aus, wenn Qualitätsmedien berichten?

© Sean Gallup/Getty Images

Sie haben es gelesen, wir haben es alle gelesen, die Medien haben ja ausführlich berichtet, die Süddeutsche bekam es aus dem Büro der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke exklusiv für eine Vorab-Berichterstattung: Die Rede ist von einer Anfrage zur Asylstatistik, zum Ergebnis von Widerrufprüfungen im Zusammenhang mit dem BAMF-Skandal.

Die daraus entstandene Überschrift bei der Süddeutschen ging so: „Nur wenige Flüchtlinge haben Bleiberecht erschlichen“ (20. August). Identische Headlines beispielsweise beim Hamburger Abendblatt, dem Merkur oder Handelsblatt. Die taz variiert schon selbstbewusster und titelt: „Zu Unrecht Asyl? Gibt es fast nie“. Die Tagesschau mag zwar die Süddeutsche nicht explizit nennen, schreibt also „einem Zeitungsbericht zufolge“ und titelte dann: „Nur wenige BAMF-Entscheidungen widerrufen“.

Tatsächlich ist die Liste der berichtenden Medien zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage aus dem Büro Jelpke noch um etliches länger, immer Bezug nehmend auf die „Exklusiv“-Geschichte der Süddeutschen. Nun haben allerdings alle berichtenden Medien billigend in Kauf genommen, dass, was sie berichten, nicht dem entspricht, was die Bundesregierung tatsächlich mitgeteilt hat, sondern zunächst einmal dem, was die Süddeutsche daraus machte. Wenn die Leser und Zuschauer nach Konsum dieser Artikel nun davon ausgehen, dass es keinen BAMF-Skandal gegeben hat, dass sich der Innenminister also völlig umsonst bei „der Bevölkerung“ entschuldigt hat, ist diese Meldung aber leider zweifelhaft bis unbegründet.

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Denn in der kleinen Anfrage werden lediglich Ergebnisse genannt, die sich noch auf eine Überprüfung der Asylentscheidungen beziehen, die der damalige Innenminister Thomas de Maizière im Fall Franco A. angeordnet hatte. Zur Erinnerung: Der Bundeswehroffizier Franco A. war wegen Terrorverdachts festgenommen worden, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ließ alle Offizierspinde, Schlafsäle und Kasernen durchsuchen, weil sie eine breit angelegte rechtsradikale Verschwörung witterte. Gefunden wurde nichts – aber Franco A. hatte sich zuvor als Flüchtling ausgegeben und in einer Flüchtlingsunterkunft gewohnt. Ein Bundeswehroffizier, der sich als Flüchtling ausgibt und zum Sold noch Flüchtlingsgehalt kassiert? Das hat die Untersuchung ausgelöst, die jetzt zitiert wird – aber in einen völlig anderen Kontext gestellt: Die viel später angeordneten zehntausendfachen Überprüfungen auf Anordnung Seehofers, die aufgrund der Betrugsverdachtsfälle in der Außenstelle Bremen und der auffällig abweichende Zahlen in weiteren Außenstellen angeordnet wurden, sind bisher ergebnislos geblieben! Bekannt ist, wie schwer sich Deutschland mit der Überprüfung tut, weil die Behörden nicht dürfen, was sie eigentlich sollen.

Die Bundesregierung macht daraus überhaupt kein Geheimnis und teilt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage explizit mit, dass die Arbeiten der Prüfgruppe zu den Bremer Fällen zwar abgeschlossen sei, die finale Auswertung allerdings noch nicht vorläge. Gleiches gelte für die Überprüfungen der Schutzquotenabweichungen in zehn weiteren Außenstellen, dazu schreibt die Bundesregierung dem Büro Jelpke wörtlich:

„Die Prüfgruppe Schutzquotenabweichung wird voraussichtlich Mitte September 2018 ihren Prüfauftrag erledigt haben.“

Das allerdings hinderte nun leider auch die Abgeordnete Ulla Jelpke nicht daran, gegenüber dpa zu interpretieren:

„Es wird Zeit, endlich mit dem Gerede über einen angeblichen großen Bremer Bamf-Skandal aufzuhören.“

Wie aber kann das sein, wenn Jelpke exklusiv sogar noch vor der exklusiv berichtenden Süddeutschen von der Bundesregierung mitgeteilt bekam, dass zwar Ergebnisse der von von de Maizière angeordneten Prüfungen zum Fall Franco A. laut interner Ermittlungen vorliegen würden, aber eben nicht jene zum mutmaßlichen Bremer BAMF-Skandal und dem weiterer mindestens zehn Außenstellen? Wurden hier Äpfel mit Birnen verglichen? Denn der Fall Franco A. ließ den Verdacht eines Behördenversagens und großer Schlamperei vermuten. In Bremen ging es mutmaßlich um schwerwiegenden Betrug (beide Fälle wurden nun intern untersucht, eine unabhängige Untersuchungskommission war politisch nicht gewollt).

Nochmal: Sie haben es gelesen, wir haben es alle gelesen, die Medien haben ja ausführlich berichtet. Und was war bei Ihnen und den meisten anderen Lesern die Bezugsgröße? Jedenfalls sicher nicht der fast eineinhalb Jahre alte Fall „Franco A.“ sondern vielmehr die viel jüngeren Verdachtsmomente des massenhaften Betrugs in der Außenstelle Bremen und die abweichenden Zahlen in weiteren Außenstellen.

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Wir dürfen es mit Recht annehmen: Die überwiegende Mehrheit der Leser und Zuschauer werten, nachdem sie ihre Zeitungen und Nachrichtensender konsumiert haben, was sie gelesen und geschaut haben, nun vor allem anderen als Freispruch für die Bremer und alle weiteren Verdachtfälle: Leider nur liegen die Auswertungen dazu schlicht nicht vor, wie die Bundesregierung dem Büro Jelpke uninterpretierbar und völlig unmissverständlich mitteilt. Allerdings erst im hinteren Teil der 21-seitigen Beantwortung der Kleinen Anfrage.

21 Seiten, die zu lesen wenige Tage später jedem berichtenden Redakteur jeder Redaktion möglich gewesen wäre – Ulla Jelpke stellte sie ja schnell auf ihrer Website zur Verfügung – der sich zuvor lediglich auf die Berichterstattung der Süddeutschen berufen hatte. Die allerdings hat hier nicht einmal falsch berichtet. Auch hier sind im Subtext alle Fakten und fehlenden Fakten genannt und ausgewiesen, auch, wenn sie dann im Ergebnis die Schlagzeile nicht rechtfertigen, so wie bei weiteren zitierenden Medien. Wer hier nun ein Zusammenspiel aus Politik und Medien behauptete, der könnte Unrecht haben, dann nämlich, wenn man mit extrem viel gutem Willen nur von Faulheit und Leseschwäche, also von einer eklatanten Schlechtleistung ausginge.