Tichys Einblick
2021 statt 2017?

Frauke Petry: High Noon in Köln

Frauke Petry möchte nicht alt und grau werden beim Marsch durch die Institutionen in dieselben. Möchte sich nicht wie die Grünen der ersten Generation verschleißen, um den Boden zu bereiten für die politische Macht erst der Folgegenerationen.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Leeve un levve losse? Nein, nicht mehr in Köln. Der Luftraum über der einstmals weltoffenen Stadt wurde gerade für vier Tage in eine Flugverbotszone verwandelt. So etwas gab es nicht einmal über Damaskus.

Über dem Rhein kreisen jetzt die Polizeihubschrauber. Aber was befürchtet der gute Rheinländer, wenn die AfD ihren Parteitag im Hotel Maritim abhalten wird? Zusätzlich zum gesperrten Luftraum zieht man 4.000 Polizisten zusammen, die Frauke Petry und Co. vor geschätzten 50.000 vermummten Demonstranten schützen sollen. Liebe Kölner Kinder, aufgepasst: Das Flugverbot gilt ausdrücklich auch für „Flugmodelle und unbemannte Luftfahrtsysteme“ – also für Drohnen und Drachen.

Aber der Dresdner Drachen aus der AfD-Spitze hat gerade ganz andere Probleme: Frauke Petrys Entscheidung, nicht als Spitzenkandidatin der AfD in den Bundeswahlkampf zu ziehen und nicht einmal eine Personalie im Wahlkampfteam zu übernehmen, hat viele überrascht. Die Medien feiern bereits ihren Abgang. Alles nur eine Übersprungshandlung? Ergebnis zu vieler innerparteilicher Gefechte, zu viel Kritik auch an der privaten Person Petry? Oder doch eine präzise gesetzte machtpolitische Offensive?

Nein, hier gibt niemand zerknirscht auf oder lässt den Fehdehandschuh liegen. Hier wird der Partei auch keine Entscheidung abverlangt im Sinne von „Wer nicht für mich ist …“. Die 41-jährige Parteisprecherin und Vorsitzende der AfD in Sachsen hat die Entscheidung über ihre politische Zukunft in der Partei einfach auf das Jahr 2021 vertagt – hin zu den übernächsten Bundestagswahlen. Das könnte zunächst auch aus privaten Motiven heraus (Schwangerschaft, Elternzeit usw.) sinnvoll sein, aber eine machttaktische Strategie ist die bessere Erklärung.

So hatte Petry offensichtlich Erfahrungen und Werdegang der Grünen und der Linken im Bundestag betrachtet und reagiert: Namentlich mit ihrem „Sachantrag zur strategischen Ausrichtung der AfD“ oder kürzer „Zukunftsantrag“, der auf dem Kölner Parteitag am 22.April eingereicht werden soll und der im Vorfeld bereits heiß diskutiert wurde.

AfD, Grüne und FDP
Petry lehnt Spitzenkandidatur ab
Der Antrag ist deshalb so interessant, weil er der AfD eine Entscheidung abverlangt, weil er alternativlos zwei Hauptströmungen innerhalb der Partei benennt, ihren Ursprung, ihre Intention und ihre Zukunftsfähigkeit. Petry unterscheidet darin im Grunde genommen ganz traditionell zwischen Fundis und Realos. Namentlich würden die Parteimitglieder um Alexander Gauland eine „Fundamentaloppositionelle Strategie“ bevorzugen, der Frauke Petry selbst eine „Realpolitische Strategie“ entgegensetzt: Gauland und Co. ständen dabei für eine Veränderung der politischen Landschaft durch Druck von außen. Und ihr eigener, der Realo-Flügel, für zukünftige Partizipation an der Macht von innen, für Koalitionsfähigkeit, also für politische Teilhabe im klassisch-parlamentarischen Sinne. Überspitzt gibt Gauland also die Jutta Ditfurth und Petry den Joschka Fischer. Eine erstaunliche Spiegelung. Und wohl auch ein Messer im Rücken der Delegierten:

Denn, so Petry in ihrem Strategiepapier, „(k)ommen beide Strategien nebeneinander zum Einsatz, zerstört die fundamentaloppositionelle Strategie die realpolitische Strategie.“ Ein realpolitischer Strategieansatz hingegen sei nur dann „erfolgversprechend, wenn er sich auf breiten Konsens der Partei und auf eine entsprechende Beschlusslage beziehen kann. Als Anhänger der realpolitischen Strategie können wir daher nicht in den Wettstreit um die vermeintliche bessere Strategie treten.“

Frauke Petry möchte offensichtlich nicht alt und grau werden beim Marsch durch die Institutionen in dieselben, sich nicht wie die Grünen der ersten Generation verschleißen, nur, um damit den Boden zu bereiten für eine kommende Generation dann endlich mit politischer Macht ausgestatteter Parteifreunde.

„Diese Strategie ist wesentlich bei den Grünen zur Anwendung gekommen und benötigt für ihre Wirksamkeit ungefähr eine Generation, also 20-30 Jahre, wenn die Partei sich über diesen langen Zeitraum im politischen Spektrum behaupten kann.“, schreibt Petry.

Damit nun dieses Drängen um eine Entscheidung nicht karrieristisch aussieht, hat sich Frauke Petry einer recht speziellen Argumentation bedient: bei ihr werden die Realos kurzerhand zu Fundis. Im O-Ton Ihrer Videobotschaft zum Rückzug klingt das dann so:

„Können Sie sich vorstellen, dass wir noch so lange Zeit haben? Ich meine, wir haben diese Zeit nicht. Denn ich fürchte, das Merkel, Schulz und Co. von Deutschland bis dahin nicht mehr viel übrig lassen werden.“

Wie viel Fundi-Realo gegen Realo-Fundi… 

Wie widersprüchlich das klingt, muss den Delegierten, an die ihre Videobotschaft ja gerichtet war, allerdings auffallen. Denn das hieße ja, dass man mit Merkel, Schulz und Co. koalieren soll, um zu verhindern, dass dieselben Deutschland zerstören. Ein Tanz auf dem Vulkan. Wie ein Angebot zur Zusammenarbeit klingt das nicht. Auch dann nicht, wenn Petry erklärt, man müsse sich nun realpolitisch darauf vorbereiten, Seniorpartner zu sein, in der Regierungsverantwortung für die übernächste Legislaturperiode. In diesem Zeitfenster liegt dann auch ihr größter Widerspruch.

Die Kluft ist tatsächlich viel größer, als nur zwischen Realos und Fundis. Also zwischen Fundamentalopposition und Zusammenarbeit mit den Mitbewerbern. Der Graben ist zu groß.

Auf der einen Seite stehen die systemverhafteten Kräfte und auf der anderen jene, die das politische System am liebsten ganz aus der Bundesrepublik hinwegfegen möchten. Auf der einen Seite die Annährung an die etablierten Parteien, auf der anderen die mit dem System unversöhnlichen Pegida-Adepten der AfD.

Interessant vielleicht, um das zuletzt genannte Lager um Gauland, Höcke und Meuthen besser zu verstehen, eine Rede eines politischen Freundes, ihres außerparteilichen Vordenkers Götz Kubitschek. Der sprach nämlich gerade erst in Dresden bei Pegida von einem „Elitenwechsel (…) der Berliner Polit-Blase“, von einer typischen „parteipolitischen Kleinmütigkeit“. Und konkreter werdend von einer „eigentlichen Auseinandersetzung“, die „verläuft zwischen dem Establishment, das die Karre in den Dreck geritten hat, und einer echten, das heißt grundsätzlich angelegten Alternative, die ihn wieder herauswuchten will. (…) Der große Austausch muss bei den Parlamentariern der Altparteien anfangen.“

… und wie viel Kubitschek gegen Pretzell

Das ist natürlich etwas ganz anderes, als ein Angebot an den Mitbewerber, gemeinsam um Schnittmengen zu streiten für zukünftige Koalitionen auf Landes- oder gar Bundesebene. Und Kubitschek gibt dann auch die Marschrichtung vor für all jene, die an seinen Lippen zu hängen scheinen, für seine politischen Freunde in der AfD: „Soll sich die AfD nun allen Ernstes ein „System Petry/Pretzell“ zulegen? Ist das der parteiinterne Zielpunkt alternativer Politik?“

Nein, der Vordenker hat andere Pläne: Für Götz Kubitschek ist sein politischer Weggefährte Björn Höcke einer „der wenigen Männer in dieser Partei, der die Sache des Volkes und der Nation über seine eigene Karriere stellt.“ Aber was ist die koalitionswillige Petry dann zukünftig für die Fundamentalopposition innerhalb der AfD? Eine „Volksverräterin“?

Für Petry ist es eigentlich fünf vor zwölf für die Vertrauensfrage. Aber ihre politische Zukunft mag sie trotzdem noch nicht in die Waagschale legen. Die kommende Bundestagswahl hat sie zwar abgeschrieben, aber die viel Erfolg versprechendere ist für sie sowieso die drauffolgende 2021.

Indiz für ihren Durchhaltewillen ist ihre Rückversicherung, falls sich die Fundis doch durchsetzen auf dem Parteitag, falls es überhaupt zu einer Abstimmung kommen sollte: Frauke Petry bemüht sich in ihrer Videobotschaft zu betonen, dass für sie natürlich auch die fundamentaloppositionelle Strategie eine legitime Entscheidung wäre, wenn sich denn eine Mehrheit der Delegierten dafür entschiede.