Tichys Einblick
Bewusste Irreführung

EU-Außenbeauftragte Mogherini für ein Offenhalten der Zuwanderung über das Mittelmeer

Seit Beginn der Operation wurden rund fünfzigtausend in Seenot Gebrachte nach Europa geschifft und nur etwas mehr als einhundertfünfzig Personen aus diesen Booten als vermeintliche Schlepper bzw. Schleuser verdächtigt.

Jean Catuffe/Getty Images

Soviel Zynismus und Unwahrheit muss man erst einmal hinkriegen, wie das jetzt Federica Mogherini, die kommunistisch-sozialistische ehemalige Außenministerin Italiens, die amtierende „Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“ gerade hinbekommen hat, als sie eine Fortführung bzw. Wiederaufnahme der Operation „Sophia“ (European Union Naval Force – Mediterranean) auf dem Mittelmeer forderte – mit der Begründung, diese Operation würde dazu beitragen, Schleppern das Handwerk zu legen.

Im Parlament der EU hatte Mogherini erklärt, die Zahl der „Flüchtlinge” sei um mehr als 80 Prozent zurückgegangen. Und das hätte ursächlich mit der Gegenwart der EU-Schiffe im Mittelmeer zu tun. Die Realität ist freilich eine ganz andere, wenn seit Beginn der Operation rund fünfzigtausend Schiffbrüchige an Bord genommen und nach Europa gebracht und lediglich etwas mehr als einhundertfünfzig Personen aus diesen Booten als vermeintliche Schlepper bzw. Schleuser verdächtigt und festgesetzt wurden. Faktisch waren die Besatzungen der EU-Schiffe also fast ausschließlich damit beschäftigt, die in Schlauchboote gesetzten Zuwanderer aufzunehmen, die ihnen die Schlepper unverlangt, aber gezielt entgegengeschickt hatten.

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Mogherini sieht nun einen eklatanten Rückgang der Überfahrten nach Europa und begründet diesen nicht etwa mit dem Fernbleiben der militärischen und NGO-Schiffe und dem der privaten Boote, sondern damit, dass die Operation erfolgreich über 150 Schlepper festgesetzt hätte. So etwas dem Parlament der EU vorzutragen, ohne selbst über die eigene Dreistigkeit in schallendes Lachen auszubrechen, muss einem erst einmal gelingen. Mogherini findet nichts dabei. Und wie nebenbei unterstützt die Italienerin mit ihrem Vorstoß den von 210 deutschen Bundestagsabgeordneten unterschrieben „Osterappell“, der vor ein paar Tagen gefordert hatte, die privaten Seeaktivitäten diverser Nichtregierungsorganisationen auf dem Mittelmeer staatlicherseits nicht nur zu legitimieren, sondern zu subventionieren und quasi im Staatsauftrag aufs Meer zu entsenden, um zu retten, wen Schlepper und Schleuser in maroden Schlauchbooten zuführen.

Interessanterweise bescheinigte ausgerechnet ProAsyl der Operation schon Mitte 2016, in der Schlepperbekämpfung nichts erreichen zu können:

„Bei den allermeisten Festgenommen handelt es sich nicht um Hintermänner oder Mitglieder von Schleuserbanden – sondern schlicht um Flüchtlinge, die beispielsweise das Schiff steuerten und dafür umsonst mitfahren durften. In der Bekämpfung krimineller Schleuserbanden hat die Operation rein gar nichts bewirkt.“

Das ist deshalb von besonderem Interesse, weil ProAsyl damit die spätere Aussetzung der Operation quasi selbst begründet hat. Aber natürlich war die Intention der privaten Hilfsorganisation eine andere, wenn es ihr darum ging und geht, doch endlich eine Operation zu formen, die ihre Seenotrettungsarbeit vor der europäischen Öffentlichkeit nicht mehr hinter der Schlepperbekämpfung verstecken muss.

Damals hieß es: „Die Seenotrettung übernehmen derweil zahlreiche private Organisationen wie Sea-Watch, SOS Mediterranee, MOAS oder MSF. Auch Bundeswehrschiffe sind zwar an Rettungseinsätzen beteiligt, ihre Kriegsschiffe sind dafür aber eher ungeeignet – und ein teurer Spaß: Wie Monitor berichtet, kostet der Einsatz der deutschen Schiffe über 45 Millionen im Jahr. Eine Summe, die in einer zivilen europäischen Seenotrettung und vor allem der Schaffung von legalen und gefahrenfreien Wegen deutlich besser angelegt wäre. Neben­bei hätte man damit dann Schlepperbanden auch die Geschäftsgrundlage entzogen.“

Den Schleppern die Grundlage entziehen, indem man so etwas wie eine staatlich geförderte private regelmäßige Fährverbindung von Libyen nach Europa etabliert?

Heute, fast drei Jahre später, ist diese Forderung deshalb wieder hochaktuell, wenn sie von deutschen Bundestagsabgeordneten in doppelter Hundertschaft in einem Osterapell gefordert wird, und wenn diesen osterbewegten Abgeordneten die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik zu Hilfe eilt, wenn Federica Mogherini dazu aufruft, wieder militärische Schiffe ins Mittelmeer zurück zu entsenden. Klar: Wenn, was wahrscheinlich ist, ein Neustart der Operation scheitert, dann wird Mogherini ihre Forderung abschwächen, dass doch wenigstens die privaten Schiffe der Nichtregierungsorganisationen von der EU gefördert ihre Beförderungsarbeit fortsetzen sollen, dann wird sie es noch so aussehen lassen können, als wäre es nur ein Kompromiss.

Doch, Politik bleibt leider ein schmutziges Geschäft. Besonders da, wo mit Menschenleben geschachert wird, wo auf Teufel komm raus die Zahl der Überfahrten über das Mittelmeer nach Europa gesteigert werden soll, ganz gleich, wie viele dabei umkommen. Hauptsache, die Quote stimmt. Hauptsache, es werden nur immer mehr: Denn am Ende werden wieder voller stolz die Überlebenden gezählt, die auf europäischem Festland „Asyl“ gerufen haben.

Dazu passt, dass die Verhältnisse in Libyen immer undurchsichtiger und weitere Kampfhandlungen wahrscheinlicher werden. Europäische Bemühungen, dieses Desaster dort zu beheben sind nicht erkennbar. Ebenso wenig übrigens wie internationale Überlegungen, diesem Konflikt durch wie auch immer geartete militärische Operationen auf libyschen Boden zu beruhigen. Also das Chaos zu beseitigen, welches die Nato beim Einsatz gegen Gaddafi hinterlassen hat. Und damit dann auch diese vorgeschobenen Fluchtgründe zu beseitigen, wenn sich immer mehr Afrikaner auf den Weg ins unsichere Libyen machen, um sich dort in Verhältnisse zu begeben, die eine humanitäre Intervention samt Evakuierung nach Europa notwendig erscheinen lassen.