Tichys Einblick
Instrumentalisierung

Erdogan ruft in Sarajevo zur Eroberung der deutschen Parlamente auf

„Nehmt unbedingt die Staatsangehörigkeit der Länder an, in denen ihr lebt. Ich bitte Euch, dass Ihr eine aktive Rolle in den politischen Parteien in den Ländern übernehmt ... Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein, nicht diejenigen, die ihr Land verraten.“

KAYHAN OZER/AFP/Getty Images

Erdogan ruft die Deutsch-Türken auf, seine Sache in die deutschen Parlamente zu tragen. Dafür bedarf es allerdings der doppelten Staatsbürgerschaft, will man den türkischen Pass behalten.

Wenn auch jede Selbstkritik fehlte, die Bundeskanzlerin fand während ihrer Generalaussprache im Bundestag kritische Worte für potentielle Beitrittskandidaten der EU, aus dem Balkan. Sicherlich ein Fingerzeig hin zum Auftritt des türkischen Präsidenten Erdogan am Pfingstsonntag in der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina.

Nach Sarajevo fuhren geschätzte 5.000 Deutsch-Türken, um „ihren Präsidenten“ zu sehen. Für das, was der deutsche Doppelpassbesitzer und Nationalspieler Gündogan, aus seiner Komfortzone heraus in einem Londoner Hotel vormachte, nahmen 5.000 eine dreißigstündige Busfahrt auf sich. Der Sultan rief, seine „Deutschen“ folgten mit begeisterten „Sultan Erdogan“-Rufen in die Olympia-Halle, die ursprünglich einmal für die Olympischen Winterspiele 1984 gebaut wurde.

Vor seiner Reise nach Sarajevo hatte Erdogan seinen Anhängern versprochen, er werde „die europäischen Politiker, die seine Wahlkampfauftritte verboten hätten, im Herzen Europas, überraschen.“ Und Erdogans Bosnien-Engagement kommt nicht von ungefähr, er kam auf Einladung von Bakir Izetbegović, des bosnischen Vertreters im dreiköpfigen Staatspräsidium. Bakir ist Sohn des ehemaligen Präsidenten Alija Izetbegović. Und über den erzählt Präsident Erdogan im Oktober 2017 bei einer Gedenkfeier in Ankara: «Alija hielt meine Hand und sagte zu mir: „Ihr Türken, schützt mein Land, setzt euch für mein Bosnien ein.“ So erinnere ich mich an Alija. Für uns ist klar: Wir werden Bosnien weiterhin beschützen.»

Die „International University of Sarajevo“ verlieh Erdogan bei der Gelegenheit gleich mal einen Ehrendoktortitel. Amir Mujkic, Politologe der Universität, sagt anlässlich des Auftritts Erdogans: „Der politische und wirtschaftliche Einfluss der Türkei auf dem gesamten Balkan, wächst.“

Nun ist der Balkan für Erdogans religiös geprägte Mission für Europa, ein Nebenkriegsschauplatz. Was der türkische Präsident in Sarajevo gegenüber seinen deutsch-türkischen Anhängern sagte, sollte vielmehr in Deutschland für erhebliche Alarmstimmung sorgen, wenn Erdogan zu einer Eroberung der politischen Demokratien durch türkische Muslime aufrief:

„Nehmt unbedingt die Staatsangehörigkeit der Länder an, in denen ihr lebt. Ich bitte Euch, dass Ihr eine aktive Rolle in den politischen Parteien in den Ländern übernehmt, in denen Ihr lebt. Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein, nicht diejenigen, die ihr Land verraten.“

Damit bezog sich Erdogan indirekt auf Politiker wie Cem Özdemir, der seine türkische Staatsangehörigkeit zugunsten der deutschen zurückgegeben hatte.

Ein dringlicheres Signal an das deutsche Parlament, Doppel-Staatsbürgerschaften ein für alle Mal zu beenden, und, etwa einem regionalen Wahlrecht für Ausländer endgültig eine klare Absage zu erteilen, kann es kaum geben. Diese Sätze Erdogans kann man nicht genau genug betrachten: Der Präsident der Türkei bittet seine Landsleute mit doppelter Staatsbürgerschaft darum, sich aus einem einzigen Grunde in die deutschen Parlamente wählen zu lassen, um Erdogans Sache zu vertreten. Die Sache der Türkei. Klarer kann man ja einen Angriff auf die deutsche Demokratie kaum formulieren.

Symbolkraft
Erdogan und sein „Rabia“-Gruß
Deutlicher kann Erdogan den Auftrag an Deutschland kaum formulieren: Doppel-Staatsbürgerschaften endlich beenden. Der Sturm der Entrüstung deutscher Politiker über diese Aufforderung zur Formierung einer fünften Kolonne, bleibt freilich weitestgehend aus. An seine Deutsch-Türken gerichtet noch ein Rat des Präsidenten: „Schützt Eure Religion und Eure Sprache sehr gut. Wenn ihr sie verliert, werdet ihr verloren gehen.“ Die Türken sollen also die deutsche Staatbürgerschaft annehmen, überstreifen, wie eine Tarnburka, freilich ohne dabei die Kultur des Landes anzunehmen.

Nur in diesem einen Falle – und selbstverständlich nur theoretisch – ist es einmal mehr zutiefst bedauerlich, dass Cem Özedmir nicht deutscher Außenminister geworden ist. Der hatte zwar noch die beiden deutsch-türkisch-britischen Fußballnationalspieler hart attackiert, aber zu Erdogans Auftritt in Sarajevo, der ja indirekt Bezug auf Özdemirs politische Arbeit in Deutschland nahm, auf Twitter und anderswo von Özdemir bisher kein weiteres Wort. Dafür muss man fast Verständnis aufbringen, der Grüne nimmt sonst kein Blatt vor den Mund, wenn es um Erdogan-Kritik geht, hier haben den teilweise (oder bereits durchgängig?) unter Polizeischutz stehenden zweifachen Familienvater Mut und Kraft einmal verlassen.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Filiz Polat, Tochter eines türkischen Arztes, hatte gerade erst im Bundestag bekundet, sie sei „tief schockiert“ darüber, dass die AfD andere Bundestagsabgeordnete mit doppelter (oder dreifacher, gibt es auch) Staatsbürgerschaft diskriminieren würde. Diese Abgeordneten ständen stellvertretend für „die Realität in unserer Migrationsgesellschaft.“ (Applaus von SPD, FDP, Linke und der Union). Erstaunlich sicher für die meisten deutschen Normalbürger, dass es so etwas überhaupt geben kann: Bundestagsabgeordnete mit zwei oder mehr Staatsbürgerschaften.

Weiter bei Filiz Polat, die ja gerade erst von allen Parteien (außer der AfD) beklatscht wurde: „Zu einer offenen, globalisierten und modernen Gesellschaft gehört eine Politik der Mehrstaatigkeit.“ Und Polat fragt anschließend: „Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage beruht eigentlich der Vorwurf, eine Doppelstaatlerin könne gar nicht in demselben Maße dem deutschen Staat gegenüber loyal sein, wie ein Deutscher ohne zweite deutsche Staatsangehörigkeit?“

Auf diese Frage hat ihr Recep Tayyip Erdogan mit langem Arm von Sarajevo aus gerade eine schallende „osmanische Ohrfeige“ gegeben. Und klar ist damit auch: Die Grünen im deutschen Bundestag spielen die Karte Erdogans, nicht die der Deutschen, denen gegenüber sie eigentlich verpflichtet sind. Der grüne Parteigenosse Cem Özedmir muss gerade verdammt tapfer sein.