Tichys Einblick
"Verteidiger" und "Entdecker"

Die Universität Münster teilt Deutschland in zwei Lager

Die einen sehen sich bedroht, die anderen sehen "Zuwanderung und wachsende Vielfalt als Chance". Nach einer Befragung in Deutschland, Frankreich, Schweden und Polen wollen Münsteraner Wissenschaftler zwei sich diametral entgegenstehende Gruppen in Europa feststellen. Wem ihre Sympathie gilt, ist unverkennbar.

IMAGO / Markus Tischler

Die Welt spricht von einer „Studie“, der Deutschlandfunk ebenso und auch die Bild-Zeitung schreibt „Studie“. Doch eigentlich ist es eher ein Arbeitspapier von ein paar dutzend Seiten aus der Universität Münster.

Dieser „Working Report“ stellt eine „identitätspolitische Spaltung“ der Gesellschaft fest, für die man nun „erstmals“ einen empirischen Nachweis vorlege, so jedenfalls trommeln es die Autoren um den Psychologen Mitja Back. Jetzt soll also die Spaltung der Gesellschaft einmal offiziell besiegelt werden. Die Bild-Zeitung titelt reißerisch zum Arbeitspapier, was spätestens im Zusammenhang mit der Zuwanderungsdebatte ab 2015 jedem halbwegs aufmerksam im Leben stehenden Bürger bekannt sein müsste: „Deutschland in zwei Lager gespalten!“

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Belege dafür sind nun allerdings in tausendfacher Ausführung längst beispielsweise im Archiv von Tichys Einblick nachzulesen: Dort finden sich Artikel, die sich in Ausführlichkeit damit beschäftigen, wer und an welcher Stelle in Deutschland das Gespräch mit dem Gegenüber verweigert und wie dieser obendrauf noch diffamiert und diskreditiert wurde. Konkret hat TE auch diverse Studien unterschiedlichster Herkunft rezensiert.

Schon Anfang 2018 musste TE feststellen: „Der Staat subventioniert Studien. Die beauftragten privaten Studienmacher wissen um die gewünschten Ergebnisse, fälschen ihre Umfragen und liefern eine Interpretation, die keine kritischen Fragen mehr offen lassen soll.

Bertelsmann Stiftung, Heinrich Böll Stiftung, Otto Brenner Stiftung, Amadeu Antonio Stiftung, Rosa Luxemburg Stiftung, Stiftung Mercator usw. – die Liste ist lang. Und die Medien schlucken diese politisch motivierten und meistens auch politisch beauftragten Studien regelmäßig wie Verdurstende: Spiegel und Tagesschau und andere Medien gehen Studien auf den Leim, ohne ihre Inhalte auch nur halbwegs zu prüfen.

Und immer wieder sind auch deutsche Universitäten mit im Boot oder auch einzelgängerisch tätig, ganz vorne mit dabei, die Uni Bielefeld – hier namentlich der in den öffentlich-rechtlichen Medien omnipräsente Konfliktforscher Andreas Zick – aber auch weitere Universitäten wie die in Münster. Zuletzt war hier ein außerordentlicher Professor ins Visier des AStA geraten. Er wurde als Antifeminist und Covid-Verharmloser diskreditiert. „Doch die Vorwürfe des AStA entspringen eher einem politischen Wahn“, attestierte TE Anfang 2021.

TE will mit einem der Macher des Arbeitspapiers in Münster, mit dem Psychologen Prof. Dr. Mitja Back, sprechen. Der ist grundsätzlich einverstanden, aber der Termin müsse noch mit der „Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters „Religion und Politik““ abgestimmt werden. Die allerdings sagen den Termin wenig später per Email ohne Begründung ab, „leider ist ein Interview nicht möglich. Wir bitten Sie, auf das umfängliche Material (https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2021/PM_Umfrage_Identitaetskonflikte.html) und ggfs. auch die dpa-Berichterstattung zurückzugreifen.“

Ist das nun schon selbst ein Teil der attestierten Spaltung der Gesellschaft, wenn die mutmaßlich kritischen Medienstimmen von einem Gespräch ausgeschlossen werden und sich ausgerechnet bei dpa informieren sollen? Und das, obwohl der Interviewpartner der Uni Münster kurz zuvor noch generelle Gesprächsbereitschaft erklärt hatte?

Dpa? Die Presseagentur ist in der Sache tatsächlich auch Lieferant zur Besprechung in der Bild-Zeitung.

"Verteidiger" und "Entdecker"
Aber schauen wir uns das Arbeitspapier noch etwas genauer an: „Internationale Erhebung zu Identitätskonflikten in Europa“, steht da auf der Internetseite der Uni Münster einleitend in einer Pressemitteilung. Da schreibt der zunächst für TE gesprächsbereite, dann ausgebremste Professor: „Wir sehen zwei ausgeprägte Gruppen mit entgegengesetzten Positionen, die wir ‚Verteidiger‘ und ‚Entdecker‘ nennen. Wer gehört zu unserem Land, wer bedroht wen, wer ist benachteiligt?“

Eine erste Auswertung von Erhebungen, heißt es weiter, soll eine neue Konfliktlinie zwischen den beiden Gruppen, die fast spiegelbildliche Meinungen zeigen, ergeben haben: „In Identitätsdebatten haben sich die Meinungen zu scheinbar unvereinbaren Konfliktpositionen verhärtet.“

Die Zahl der von der Kantar-Group für das Arbeitspapier Befragten ist überraschend dünn. Befragt wurden gerade einmal 5.011 Menschen, noch dazu in den vier europäischen Ländern Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden zusammengenommen. Bei annähernd gleicher Verteilung wären das für Deutschland kaum mehr als tausend Personen – bezogen auf die Bevölkerungszahl auch nur unwesentlich mehr. Die Ende 2020 Befragten hätten 20 Fragen zur Beantwortung vorgelegt bekommen. Und die Beteiligten der Uni-Münster wollen daraus abgelesen haben, dass es Menschen gäbe, die „sehr ähnliche Haltungen zeigen, und die als Gruppen wiederum starke Unterschiede untereinander aufweisen würden.“

Und so will man „Entdecker und Verteidiger“ identifiziert haben: Die „Verteidiger“ stünden „in allen Ländern für ein enges Konzept der Zugehörigkeit zum eigenen Land, wonach nur dazugehört, wer im Land geboren wurde, Vorfahren der ethnisch-nationalen Mehrheit hat und/oder der dominanten Religion angehört.“ Diese würden „somit traditionelle Kriterien wie ethnische und religiöse Homogenität“ verteidigen. Und weiter: „Zugleich fühlen sich ‚Verteidiger’ durch Fremde wie Muslime und Geflüchtete bedroht sowie selbst benachteiligt. Sie sind unzufriedener mit der Demokratie und misstrauischer gegenüber politischen Institutionen.“

Das ist zumindest tendenziös, wenn nicht unappetitlich interpretierend. Man könnte schließlich genauso sagen, diese „Verteidiger“ wüssten sehr wohl was echte Demokratie ist, seien also nicht „mit der Demokratie“ unzufrieden, sondern mit dem Zustand in dem sich diese im zweiten Pandemie-Jahr befindet.

Hier kommt das Prinzip Böse und Gut durch – oder eben „Verteidiger und Entdecker.“ Die Entdecker würden, so die Autoren, „ein enges Konzept von Zugehörigkeit nach ethnisch-religiösen Kriterien“ ablehnen. Noch besser: „Mitglieder dieser Gruppe fühlen sich nicht durch Fremde bedroht. Vielmehr entdecken sie Zuwanderung und wachsende Vielfalt als Chance und plädieren für eine Gesellschaft mit vielen gleichberechtigten Lebenskonzepten.“ Diese Entdecker seien „zufriedener mit der Demokratie und vertrauen eher den politischen Institutionen.

Nachtigall, ick hör dir trapsen!

Und weiter: „Auch sind ‚Entdecker‘ eher recht jung, hoch gebildet, sie wohnen eher in der Stadt und sind eher nicht von sozioökonomischer Not betroffen. ‚Verteidiger‘ finden sich eher als ‚Entdecker‘ unter den Älteren und niedrig Gebildeten.“ Hier die besser Situierten, dort die Asozialen? Da mag auch akademischer Hochmut durchklingen.

Verteidiger bevorzugen demnach „populistische Parteien und sprechen sich deutlich eher für das Konzept eines „starken Führers” aus, sie neigen auch zu Verschwörungstheorien und sprechen sich für Elemente einer direkten Demokratie aus. ‚Entdecker‘ vertreten spiegelbildliche Meinungen. Die Wahrscheinlichkeit für die Wahl einer populistischen Partei liegt bei ‚Verteidigern‘ etwa in Deutschland bei 26% und in Polen bei 57%, während ‚Entdecker‘ dazu nicht neigen.“

Hier werden Regeln des Zusammenlebens neu definiert, um eine regierungskritische Masse dann zu diffamieren durch den an Hitler erinnernden Begriff des „starken Führers“!

Laut der am Arbeitspapier Beteiligten stehen die „Verteidiger“ für Sicherheit und Stabilität und dem gegenüber die Entdecker für „Offenheit und Veränderung“.

Oder nochmal anders: Dort diese doofen Menschen von früher und auf der guten Seite die pfiffigen und engagierten Weltenbürger. Und um das nicht zu vergessen: Auch die Schuldfrage an der Spaltung wird in Münster beantwortet, Schuld sind natürlich jene, durch die „Identitätsvorstellungen religiös oder fundamentalistisch gerahmt würden“.

"Verteidiger" und "Entdecker"
Erstaunlich: Die Umfrage-Interpreteure aus Münster empfehlen der Politik, „sich nicht auf eine Seite der polarisierten Positionen zu schlagen.“ Denn „weder in liberalen Demokratien noch in autoritär geführten Ländern habe das zum Ziel geführt, Bewegung in verkrustete Konflikte zu bringen, da sich immer mindestens eine Gruppe ausgegrenzt fühle.“

Für die Gruppe der Entdecker gilt also, dass sie Fremdes willkommen heißen „und sich durch Fremde nicht bedroht fühlt, die Verteidiger würden „in beiden Hinsichten die entgegengesetzte Position“ einnehmen.

Nicht die Konsensidee wird gefördert, sondern im Gegenteil: Hier werden Bürger befragt und dann werden ein Töpfchen und ein Kröpfchen aufgestellt und die Aussagen entsprechend einer ideologisch zu verortenden Geisteshaltung sortiert. Es wird eine Aufteilung in Gut und Böse vorgenommen. Und weil den Münsteranern wohl selbst diese ideologische Aufladung ihrer Vorgehensweise bewusst war, wird halt von „Verteidigern und Entdeckern“ gesprochen.

Sprachbilder, wie aus der Piratengruppe der Kita übernommen. Und das würde sicher auch den vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären gefallen, die sich ja samt Lambda-Symbol als „Verteidiger“ der europäischen Identität an den Thermophylen verstehen.

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