Tichys Einblick
Deutsche Corona-Soforthilfe für Bangladesh

Deutschland unterstützt Näherinnen in Bangladesh wegen Covid-19-Ausfällen

Was passiert, wenn sich die Lebensverhältnisse der Näherinnen von Bangladesh verbessert haben – wohin zieht dann die Karawane der Auftraggeber weiter, welches Armutsland produziert dann billiger als Bangladesh?

imago images / ZUMA Wire

Die Bundesregierung lässt keine Gelegenheit aus, zu beweisen, dass Deutschland aktuell gewillt ist, noch das entfernteste Problem auf der Welt finanziell aus derselbigen zu schaffen. Der neueste Coup der Merkel-Regierung: Am 10. Juni bat Bettina Hagedorn (SPD) als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium in einem 10-seitigen Schreiben an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses um Bewilligung von 20 Millionen Euro Corona-Soforthilfe für die Näherinnen von Bangladesh.

Und betrachtet man die mediale Vorarbeit beispielsweise des Magazins Der Spiegel, der u.a. über die Arbeitslosigkeit der Näherinnen durch Corona berichtet hatte, dann fällt diese Bitte um eine Alimentierung für Bangladesh wohl bereits auf fruchtbaren Boden der Mehrheitsgesellschaft.

Aber was für ein Fass wird damit aufgemacht? Was darf in Zukunft der Schuster aus Mali von der Bundesregierung als Corona-Soforthilfe erhoffen oder gar der Lachszüchter aus Norwegen?

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Nun gibt es seit Jahren etliche gutgemachte Reportagen, die über die prekären Verhältnisse der Textilindustrie in den Billiglohnländern berichten. Und die europäischen Geschichtsbücher zeugen zudem davon, dass das Elend der Textilarbeiter vor Jahrhunderten auch einmal ein europäisches war – Mitgefühl ist hier also angebracht. Aber ist das schon Grund genug, Millionenbeträge nach Bangladesh oder anderswohin zu überwiesen? Die Bundesregierung ist keine Kirche. Sie ist Interessenvertreterin der Bürger. Liegen Corona-Soforthilfen für Bangladesh also im Interesse der Deutschen?

Vor acht Jahren schickte die WirtschaftsWoche einen ihrer Redakteure nach Bangladesh, um sich einmal die Verhältnisse vor Ort genauer anzuschauen. Und was der Journalist damals aufschrieb, war durchaus geeignet, dem deutschen und europäischen Modebewussten seine Liebe zum Markentextil Made in Bangladesh zu versauern: „Markenklamotten entstehen zuweilen in abbruchreifen Fabriken, genäht von dürren Mädchen mit blutigen Fingern, die die Nächte auf verlausten Matratzen in Slums verbringen.“

Nichtsdestotrotz ist dieses Bangladesh in mehr oder weniger großen Schritten auf dem Wege seiner Armut zu entkommen, wie die Staatssekretärin in ihrem Ansinnen an den Haushaltsausschuss gleich seitenweise zu berichten weiß. Was da steht, ließt sich wie eine Pressemitteilung der Regierung von Bangladesh. Hagedorn schildert die Bemühungen des Landes den zahlreichen Forderungen diverser Weltorganisationen irgendwie zu entsprechen, um damit auch an die Welthonigtöpfe zu gelangen bzw. Teil der Weltwirtschaft als gleichwertiger Partner irgendwann sein zu dürfen.

Wo wenn nicht hier wird der banale Spruch besonders greifbar: Geld regiert die Welt. Bangladesh wird im Schreiben aus dem Finanzministerium u.a. bescheinigt, eine „Nachhaltige Politikgestaltung im Sinne der Agenda 2030“ zu vollziehen. Stolz berichtet das Papier davon, dass Bangladesh sich auch im Human Development Index kontinuierlich verbessern würde. 2018 wurde dem Land der Graduierungstatus der Vereinten Nationen zugestanden. Es wird aber auch gerügt: So würde Bangladesh bei den Governance-Indikatoren der Weltbank „wenig gut“ abschneiden.

Darf oder muss man das modernen Kolonialismus nennen?

Einige der großen Modehäuser und Textilhändler Europas und Deutschlands mussten ihre Aufträge in der Corona-Krise stornieren. Mit logischem Menschenverstand würde man nun denken, dass solche Unternehmen in der Krise ihrer Verantwortung gegenüber „ihren“ Näherinnen in Bangladesh nachkommen würden mit einer Reihe von privaten oder im Verbund organisierten Hilfsfonds. Stattdessen steuert mit C&A einer der großen Textilhändler gerade in einen Betrugsskandal – C&A soll laut Merkur Corona-Kurzarbeit „schamlos ausgenutzt haben“.

Da bleibt natürlich wenig Luft, sich in der Corona-Krise für „seine“ Näherinnen stark zu machen – so man dieses Engagement überhaupt für sich in Anspruch nehmen will. Denn eine rechtliche Verpflichtung besteht selbstredend nicht.

Aber warum soll jetzt der deutsche Staat deshalb zum Sozialamt der Welt werden? Will man damit verhindern, dass eine Armutsmigration nach Deutschland verschärft wird? Das würde Sinn machen, aber es darf in dem Zusammenhang auch darüber nachgedacht werden, ob diese Armutsmigration nicht viel mehr dadurch befeuert wird, dass sie überhaupt möglich ist, dass es via Asylantrag möglich ist, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen um hier Sozialhilfe zu kassieren?

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Weitere Gründe finden sich im Schreiben des Finanzministeriums: So geht es schlichtweg auch um politische Einflussnahme in Bangladesh bis hin zur Einführung eines bargeldlosen Bezahlsystems für die Näherinnen. Und weil das Land nach China der mittlerweile zweitgrößte Textilproduzent der Welt geworden ist, wachsen hier auch die Begehrlichkeit der westlichen Wohlstandgesellschaften und ihrer Textilhändler. Zum einen macht es unabhängig von China und zum anderen kann man sich so einen Vorteil gegenüber dem Mitbewerber verschaffen.

Die Tücken lauern allerdings im Detail: Der türkische Textilmarkt ist ebenfalls ein Mitbewerber und die Löhne sind hier höher als jene, welche die Näherinnen aus Bangladesh bekommen. Aber die Gesetze des Marktes sind brutal. Was passiert, wenn sich die Lebensverhältnisse der Näherinnen von Bangladesh verbessert haben – wohin zieht dann die Karawane der Auftraggeber weiter, welches Armutsland produziert dann billiger als Bangladesh? Auch dazu gleich mehr.

Die Konkurrenz schläft nicht. Wie begehrt das Niedriglohnland ist, zeigen die umfangreichen Soforthilfen für Bangladesh aus vielen Kanälen: Die Weltbank, die asiatische Entwicklungsbank, Japan und auch die Islamische Entwicklungsbank sind bereits Geber(-land).

Das deutsche Finanzministerium bittet den Haushaltsausschuss um eine so genannte „Umwidmung“ – daher sollen eigentlich zweckgebundene Gelder für Hilfen jetzt auch Bangladesh zu Gute kommen. Allerdings möchte Deutschland gar nicht selbst mit dem Scheckbuch in Bangladesh bei den Näherinnen erscheinen, das zusätzliche Geld soll eine Sektorbudgetfinanzierung aufstocken, welche die EU bereitgestellt hat. Die wird nun aber sowieso schon zu einem erheblichen Teil finanziell von Deutschland geschultert. Wozu also noch einmal 20 Millionen, die im Budget der EU für solche Zwecke offensichtlich nicht vorgesehen ist? Deutschland schichtet um, weil die EU bei der Verwaltung auch deutscher Gelder dazu zu unbeweglich ist?

Faktisch allerdings hat Deutschland auf diese Weise einfach mal seinen EU-Beitrag um 20 Millionen erhöht. Auch kleckerweise füllt sich das fette Töpfchen.

Was kommt also als nächstes möchte man zynisch fragen?

Übergangsweise während der Corona-Krise Kindergeld für die Näherinnen aus Bangladesh? Und warum nicht für die aus Myanmar oder gleich für ganz Indien? Ja, es darf und soll gerne dort geholfen werden, wo geholfen werden kann. Aber wenn sich Wirtschaftsinteressen deutscher und europäischer Unternehmen mit solchen von privaten Menschenrechtsorganisationen oder anderen NGOs vermischen und obendrein die Bundesregierung diesen beiden Playern die Geschäfte machen will, dann implodiert noch das ambitionierteste Hilfsangebot.

Wie pervers die Situation bisweilen ist, belegt doch, dass die Bundesregierung über eine deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Bangladesh eine „Gute Regierungsführung“ im Land fördert – aber wie sollte das anders funktionieren, als mit finanziellen Mitteln und Anreizen? Auch was die Umsetzung von Sozial- und Umweltstandards in der Textil- und Bekleidungsindustrie betrifft. Ist das dann wirklich der beste Weg für alle und vor allem für die Näherinnen?

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Wenn Angebot und Nachfrage nicht in der Lage sind, die Verhältnisse zu verbessern, können es dann staatliche Eingriffe noch dazu um den halben Erdball herum? Das Dilemma – oder nennen wir es humanitäres Paradoxon – besteht doch darin, dass eine Verbesserung der Produktionsverhältnisse vor Ort samt höherer Löhne und geringerer Arbeitzeiten eben auch das Produkt teurer machen und also die Karawane der deutschen und europäischen Textilhändler in Bewegung hält. Irgendwann zieht sie weiter. Und dann sind diese Frauen von Bangladesh arbeitslos auch ohne Corona.

Schon 2014 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung von Burmas Textilbranche, die Bangladesh Konkurrenz machen würde. Und die Türkei profitiert gerade kurzfristig von den Auswirkungen der Corona-Beschränkungen zu Lasten der chinesischen Mitbewerber. Noch. Was hier stattfindet, ist ein brutaler Verteilungskampf. Der Markt ist gesättigt. Das Gesamtvolumen der Textilexporte kann kaum noch gesteigert werden. Was man dem einen nimmt, bekommt der andere, was man hier gibt, fehlt auf der anderen Seite.

Und Unternehmen wie C&A beschäftigen sich zur Zeit laut Meldung des Merkur damit, per mutmaßlichem Betrug beim Kurzarbeitergeld den Staat zur Kasse zu bitten, während derselbe Staat gerade per Näherinnenalimentierung dafür sorgt, dass C&A und andere bald wieder Container-weise Bekleidung aus Bangladesh importieren können.

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