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Deutscher Kulturrat: Talkshows spalten Gesellschaft und helfen den Falschen

Der Deutsche Kulturrat fordert eine einjährige Pause der vier öffentlich-rechtlichen Talk-Sendungen und fragt: „Vielleicht nützt eine talkshowfreie Zeit den Integrationsbemühungen in unserem Land?“ Wir fragen: Wie wäre es mit nur noch Merkel bei Will?

Screenprint: ARD/Anne Will

Der Deutsche Kulturrat fordert eine einjährige Pause der vier öffentlich-rechtlichen Talk-Sendungen. Hart aber fair, Illner, Will und Maischberger sollen in Klausur gehen. In einer Pressemitteilung fragt der Rat: „Vielleicht nützt eine talkshowfreie Zeit den Integrationsbemühungen in unserem Land?“

Geschäftsführer Olaf Zimmermann redet nicht lange um den heißen Brei, wenn er die Forderung begründet: „Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen.“ Er will erkannt haben, dass die Spaltung der Gesellschaft eben wegen dieser Talkshows seit 2015 deutlich zugenommen hätte.

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Das allerdings ist höchst erstaunlich. Denn seit Jahren sind es viel mehr zuwanderungskritische Bürger und Medien in nicht geringer Zahl, die sich in schöner Regelmäßigkeit über diese Talk-Formate empören, wenn wieder ein Reihe zuwanderungskritischer Wortbeiträge von den Moderationen abgebügelt und die Vortragenden öffentlich-rechtlich diskreditiert werden. Was für eine Querfront wider Willen ist da entstanden?

Präziser kann man diesen Graben in der Gesellschaft kaum erklären, als mit dieser Doppeldeutigkeit im Wortsinne. Wenn zwei Parteien in der Beurteilung ein und des Selben so dermaßen uneins sind, wenn beide Seiten aber davon überzeugt sind, absolut richtig zu liegen und dafür zudem bereit sind, über Leichen zu gehen (Talkshows beerdigen), dann muss dieser ominöse Graben wirklich tief sein. Oder den Zuwanderungsbefürwortern geht Besagter verdammt auf Grundeis.

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Um nun genauer zu verstehen, was es bedeutet, wenn der Kulturrat eine solche Forderung aufstellt und wer möglicherweise dahinter steckt, lohnt es, denn vorwiegend aus Bundesmitteln finanzierten eingetragenen Verein näher zu beschauen. So wird der genannte Geschäftsführer seine Gründe gehabt haben, schon viel früher darauf hinzuweisen, dass „die Trennung zwischen Verband und Staat enorm wichtig“ sei. Nicht ganz unerheblich dürfte es auch sein, dass es schon Anfang der 90er Jahre Überlegung gab, den Kulturrat mit der Kulturabteilung des Innenministeriums ein gemeinsames Haus beziehen zu lassen. Als das nicht zustande kam, erklärte Zimmermann „Ich bin froh, das wir unabhängig sind.“ Aber stimmt das wirklich?

Schon 2001 kündigte der Geschäftsführer (der offensichtlich so was wie eine Anstellung auf Lebenszeit im Verein zu haben scheint) an, man sei „wild entschlossen die Arbeit des Kulturrates stärker zu politisieren“.

Hatten Zimmermann und seine Mitstreiter schon damals im Sinn, diese Politisierung dahingehend zu gestalten, sich zum Sprachrohr der Kanzlerin, der Bundesregierung zu machen? Ein überdeutlicher wie nachgereichter Hinweisgeber ist die aktuelle Startseite des Internetauftritts des Deutschen Kulturrats: Dort wird gerade ein neues „Zeichen“ vorgestellt. Unter der thematischen Überschrift „Zusammenhalt in Vielfalt“ wird eine „Initiative kulturelle Integration“ ausgelobt. Mehr Hinweise braucht es ja kaum. Nein, hier wird die Hand, die einen füttert nicht nur nicht gebissen, sie wird auf Seite eins dick und fett eingesalbt.

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Aber was ist die Erkenntnis aus dieser Gemengelage? Mindestens doch jene, dass die Regierung, wenn ein ihr offensichtlich gewogener und aus Bundesmitteln finanzierter Verein Stimmung gegen Talk-Sendungen macht, dass dann zuvor die Bundesregierung und ihr Kanzlerin die einst großen Hoffnung in diese Sendungen haben fahren lassen. Der Auftrag, via öffentlich-rechtliches Fernsehen Stimmung für die Zuwanderung und gegen ihre Kritiker zu machen, ist also gescheitert. Krachend gescheitert. Die gegenteiligen Hoffnungen mögen sogar möglicherweise berechtigt gewesen sein, wenn wir uns daran erinnern, wer alles bereit war, diesen modernen Volksempfänger zu bespielen.

Den Höhepunkt dieser Politgroteske erlebten die Zuschauer im Januar 2016, als Maischberger unterstützt von Augstein und Stegner einen Großangriff auf die ebenfalls geladene Frauke Petry (damals noch AfD) unternahmen, den wir damals so beschreiben mussten: „Die Sendung droht völlig zu entgleiten (…) im Sinne von Respekt, Stil und Anstand. Augstein und Stegner sind wie entfesselt. Alle toben und geifern. Es ist beschämend. Das Schlimmste: Sie merken es nicht einmal. Man muss Petry nicht mögen, vielleicht sollte man das auch nicht. Die Augsteins und Stegners mit ihrer Unanständigkeit besorgen es. Unfreiwillig.“

Man hatte also maßlos überrissen. Und viele Zuschauer positionierten sich argumentativ wie empathisch in Richtung Petry. Wenn es also über eine berechtigte Kritik an der Zuwanderung hinaus um die Frage gehen soll, wer hier der AfD den Steigbügel gehalten hat, dann haben sich die Stallknechte hier auf besondere Weise ins Scheinwerferlicht gestellt.

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Nachdem nun deutlich geworden ist, aus welcher Geisteshaltung heraus dieser Verein mit dem großspurigen Namen „Deutscher Kulturrat“ operiert, noch ein kurzer Blick auf jene Medienvertreter, die von der Widersprüchlichkeit völlig unbeeindruckt, die Forderung des Vereins aufgenommen haben. Machen wir es an einem ganz besonders haarsträubenden Beispiel fest: An der aktuellen Kolumne von Georg Diez auf Spiegel Online. Der 1969 geborene Kolumnist stellt zunächst zu Recht fest: „Die TV-Talkshows stecken in der Krise.“ Aber er meint es ganz anders. Was ihn stört, ist nicht etwa die Zuwanderungsagenda, die so tief und kritiklos in diese Formate eingesickert ist. Was Diez stört, ist der Zusammenbruch einer kampagnenartigen öffentlich-rechtlichen Penetration des Zuschauers. Diez empört sich tatsächlich darüber, dass die Talk-Sendungen erste zaghafte Schritte unternehmen, sich von dieser Selbstkneblung zu befreien.

Nein, dieser Journalist kann nicht von dieser Welt sein, wenn er sich dazu versteigt, die großen deutschen Talkshows würden sich nun „auf die Schultern klopfen können für das, was sie in den vergangenen drei Jahren geleistet haben – den Rechtsruck herbeigetalkt, die Spaltungen in der Gesellschaft vertieft, das AfD-Reden im Alarmmodus reproduziert.“ Georg Diez will nicht nur ein Jahr Pause, er will diese Formate gleich ganz von den Bildschirmen hinwegfegen. Warum? Weil in diesen Shows nach Diez „der Islam als mediale Waffe genutzt wird, um Feindbilder zu schaffen.“ Weil „Geflüchtete pauschal abgeurteilt werden im deutschen Talk-Tribunal.“ Weltfremder kann es kaum beschrieben werden. Oder ist da am Ende einer zutiefst empört drüber, dass immer die anderen SPON-Kolumnisten eingeladen werden, nur er nicht? Alles nur ein großer Ego-Trip? Wahrscheinlich auch das.

Aber weil das alles nun so amüsant ist, noch ein paar weitere Stilblüten aus dieser Kolumne: Für Diez stellt sich die Frage gar nicht mehr, „ob man mit Rechten reden soll.“ Für ihn sitzen da sowieso fast nur Gäste, die „eh schon wie Rechte reden.“ Dann macht sich Diez noch eine Twitter-Meldung seines Mit-Kolumnisten Jan Fleischhauer zu eigen, ohne diese freilich als solche zu kennzeichnen, wenn er die Ächtung eines Bürgers nach Aristoteles ins Spiel bringt, die also auf ihm unbequeme Diskutanten anzuwenden sei. Wäre das alles nicht so wahnwitzig, wäre es Comedy.

Wie verquer, wie verzweifelt sich das alles darstellt, auch dafür liefert Georg Diez uns die Blaupause, wenn er sich – in größter Not und in Abwesenheit jeglicher Sinnhaftigkeit – der Argumente der so genannten Rechten bedient und für sich feststellt, die etablierten Medien würden so tun, „als seien sie diejenigen, die darüber entscheiden, was und wie diskutiert wird.“

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Es gäbe eine Sehnsucht „nach Ernsthaftigkeit und Engagement, die sich nicht spiegelt in den bisherigen Talk-Formaten.“, befindet Diez. Aber wer will ihm hier widersprechen? Ironischerweise scheint nun der Moment gekommen zu sein, wo es Sinn machen könnte, diese Talk-Formate vehement gegen diese neuen Kritiker zu verteidigen. Denn wenn etwas vom Establishment so gefürchtet wird, dann könnte es sich lohnen, für den Erhalt zu kämpfen.

Leider wahrscheinlicher ist aber wohl doch eine andere Wahrheit: Dieser Überraschungsangriff, dieses friendly fire gegen diese Formate, will sie gar nicht abschalten, hierbei dürfte es sich am Ende nur um einen weiteren verzweifelten Disziplinierungsversuch handeln. Um eine hysterische Angst, dass sich die in Stellung gebrachten Panzer nun gegen die eigene Frontlinie der Gutmeinenden wenden könnten. Dazu passt es gut, das Georg Diez seine Kolumne damit abschließt, dass die „Schneidigkeit der Argumente“ in diesen Talkshows „Menschenverachtung feierabendlich normalisiert“ hätten. Nein, besser kann man sich nicht ins eigene Knie schießen.