Tichys Einblick
Wiederkehr der TBC?

Der Tuberkulose auf der Spur: Eine telefonische Odyssee

Überraschend wäre es ja nicht, wenn Migranten aus hygienearmen Ländern auch Krankheiten einschleppten. Immer wieder hören wir beispielsweise von TBC. Wir haben uns auf die Suche gemacht und in das amtliche Schweigen hineingehört.

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Kratzt es im Hals? Andauerndes Unwohlsein, Schwindel, fiebrig? Fühlen Sie sich fünfzehn Jahre älter? Und das wochenlang und immer öfter seit ein paar Jahren? Wenn es nach dem Hamburger Innere & Allgemeinmediziner und Sozialdemokraten Dr. Shahram Kholgh Amoz ginge, er ist so etwas, wie ein Boris Palmer der SPD, wären daran wohl die Asylbewerber und Migranten schuld, die hunderttausendfach gefährliche Keime, Bakterien und in Europa noch völlig unbekannte Krankheiten einschleppen, denen wir Westeuropäer nichts entgegenzusetzen haben.

Besagter Shahram Kholgh Amoz postete nämlich vorgestern auf Facebook folgenden Praxisbericht:

„Seit 2003 Praxischef! Und noch nie, niemals so viele schwere und so hartnäckige Atemwegsinfektionen behandeln müssen. Es liegt nahe, dass es sich um eine zeitversetzte Infektionswelle mit „exotischen Keimen“ handelt. Ich frage mich, woher bloß? Und ob irgendjemand für das Leid der Menschen und die damit verbundenen Kosten durch Fahrlässigkeit, zur Verantwortung gezogen werden kann? Wäre ich bloß ein Jurist …“

Dieses Posting wurde 90 Mal gelikt und mehr als ein dutzend Mal kommentiert. Und Shahram Kholgh Amoz antwortete seinen Facebook-Freunden umfangreich.

P.B.: Man muesste zunächst einen Keimnachweis bringen

Shahram Kholgh Amoz: Nicht wenn man 15 Jahre am vordersten Front beobachtet und behandelt. Beim Hundebissspuren brauche ich auch nicht nach Zecken suchen. Die Kosten dafür würden das Bruttosozialprodukt des Landes übersteigen

P.B.: Gibt es schon eine konkrete Vermutung, was es sein koennte?

Shahram Kholgh Amoz: Die „normalen Abstriche“ auf die bekannten Erreger sind stets negativ. Der Allgemeinzustand der Patienten eine Etage unterm Keller. Fieberschübe wie bei Malaria. Hustenattacken bis zum Kreislaufversagen. Auch das spricht für Exotik! Meine Aufgabe zur Zeit sehe ich primär darin Leben zu retten und nicht Studien zu führen. Dennoch, beruflich bedingt stets und parallel dazu der schärfste Beobachter der gesundheitlichen Status, um Korrelationen und Signifikanz einzuschätzen. Mein Urteil ist eindeutig!

Der Doktor, der auch auf einem Foto mit Richard von Weizäcker zu sehen ist, teilte noch einen Link der Ärztezeitung vom 10. Januar 2018, der erzählt, dass Forscher einen neuen resistenten TBC-Erreger entdeckt haben und die Infektionskette – zumindest teilweise – rekonstruieren konnten: „Das Mycobacterium tuberculosis, das bei einem somalischen Asylbewerber aus dem Empfangszentrum in Chiasso im Februar 2016 nachgewiesen wurde, weise eine neuartige Kombination von Resistenzen auf: gegen Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol, Pyrazinamid und Capreomycin. In den folgenden Monaten wurde der Keim bei weiteren Patienten nachgewiesen, die alle aus Ländern am Horn von Afrika nach Europa migrierten …“

Die außergewöhnliche Häufung veranlassten die Leitungen des NZM und des Bundesamts für Gesundheit BAG zu einer Warnung an die europäischen Kollegen. „Der außerordentliche Fall hat zum Aufbau einer europäischen Warnorganisation für gefährliche Tuberkuloseerreger geführt“, erklärt ein Dr. Peter Keller vom Nationalen Referenzzentrum für Mykobakterien. Forscher der UNI Zürich wollen den Erreger zurückverfolgt haben, bis in ein überfülltes Lager rund 180 Kilometer südöstlich von Tripolis. Es sei „berüchtigt für seine unhygienischen und menschenunwürdigen Verhältnisse“. Etliche der später diagnostizierten TBC-Patienten passierten tatsächlich das Camp auf ihrem Weg Richtung Norden.

Aber, um zur Eingangsfrage zurückzukommen, kratzt es im Hals? Andauerndes Unwohlsein, Schwindel, fiebrig? Fühlen Sie sich fünfzehn Jahre älter? Und liegt es womöglich daran, dass sie bereits infiziert sind von einem Bakterium aus den Lagern in Tripolis, vielleicht, weil Ihnen ein Subsaharianer an der Kasse beim Penny in den Nacken gehustet hatte? Die Grippe-Welle hat derzeit Opfer vor allem in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Wann ist es eine andere Diagnose?

Dr. Shahram Kholgh Amoz muss ein guter Arzt sein, viele Bewertungen von Patienten im Internet sind geradezu mustergültig im Einserbereich. Man darf annehmen, er ist sich seiner Verantwortung bewusst, auch darüber, was seine Kommentare auslösen können, wenn beispielsweise eine „Anna Lee“ kommentiert: „Ja, hier an der Nordsee auch. Mehrere Schüler mit Krankenhausaufenthalten über die Ferien wegen sehr hohem Fiebers und Atemwegserkrankungen, hartnäckiger Husten. Jetzt laufen sie wieder über den Schulhof, wie kleine Gespenster, blass, dünn, Augenringe.“

Dr. Kholgh Amoz empfiehlt einen Tipp einer Facebook-Nutzerin weiter: „Desinfektionsmittel dabei haben. Nichts unnötig anfassen. Menschengruppen aus dem Weg gehen. Abstand halten. Nase/Mund abgewandt halten vom fremden Gegenüber.“

Ein Roy Bergwasser, Autor bei „eigentümlich frei“ und dort als Kenner der Juristerei vorgestellt, muss den Doktor leider enttäuschen, es gäbe keine Möglichkeit, die Regierung dafür in Haftung zu nehmen. Dr. Kholgh Amoz fragt nach: „Auch wenn jemand diese „Entwicklung“ beschleunigt, wenn nicht sogar massiv gefördert hat? Shit!“ Und dann fährt er schwerste Geschütze auf: „Es geht doch darum, dass die Schreibtischtäter sich erstmal in die Hose machen. Erstmals merken, dass Juristen sich nicht scheuen wie in den Staaten sich auch mal zu trauen und was die Richter entscheiden ist letztlich maßgebend und wie heißt es so schön? Im Sturm und vor Gericht… oder so. Verliere werden in allen Fällen die Schreibtischbestien sein, die Schreibtischmörder, die Schreibtischvergewaltiger. Gewinner Ihr, WIR! (…) Der Staat hat aber in seiner Grenzsicherung und die damit verbundenen Sicherung zur Seuchenvermeidung unmittelbar sabotiert, da die geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt.“

Das klingt nun alles sehr bedrohlich, noch dazu, wenn ein Mediziner solche Warnungen ausspricht. Aber ist es auch alarmistisch? Wir wollen der Frage nachgehen und den Doktor sowie die entsprechenden Stellen befragen, die sich damit auskennen müssten. Der Doktor hat gerade Patienten, seine Sprechstundenhilfe wurde um einen Rückruf gebeten, sollte der rechtzeitig erfolgen, kommen wir darauf zurück. Und werden dann auch nachfragen, wie viele Tripolis-Patienten er heute schon verarztet hat.

Fangen wir mal ganz oben an, beim Bundesgesundheitsamt, das empfiehlt gerade „Jetzt gegen Grippe impfen lassen!“ provoziert also mal wieder die Impfgegner, die hier sicher Lobbyarbeit vermuten werden. Die letzte Meldung auf der Internetseite zur Stichwortsuche „Flüchtlinge“ stammt vom 1.11.2016, hier geht es um „Verbesserung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen“ u.a. um „Psychotherapeutische Behandlung“. Wir rufen an. Sehr schnell werden wir mit einer der Pressesprecherinnen verbunden, die gerne Unterlagen zusenden will und darüber hinaus eine Anfrage beim Robert-Koch-Institut empfiehlt, die wären in Deutschland für die gesamte langfristige Gesundheitsberichterstattung zuständig.

Mit Einschränkung weiß aber schon die Sprecherin von keinen relevanten neuen Keimen, also auch von keiner Alarmstimmung. Auch werde bei Einreise der Flüchtlinge ein Tuberkulose-Screening durchgeführt im Rahmen der Erstuntersuchung. In wie weit die zwingend ist, kann sie nicht sicher sagen.

Zuständig für diese Screenings seien im Übrigen die Bundesländer. Also warten wir die Mail ab und rufen derweil beim niedersächsischen Ministerium Gesundheit an, aber die Pressestelle mit mehreren Mitarbeitern ist Freitag um 11:15 Uhr leider nicht mehr physisch anwesend oder den ganzen Tag im „Meeting“. Also Robert-Koch.

Und dort am Institut werden wir fündig. Die überaus kompetente Sprecherin des Hauses nimmt sich über eine halbe Stunde Zeit, mit uns den gesamten Themenkomplex zu besprechen. Zunächst einmal erinnert sie daran, dass der Arzt aus Hamburg im Verdachtsfalle natürlich die Pflicht hätte, an sein Gesundheitsamt zu melden. Ob er das denn getan hätte (fragen wir nach, wenn der Rückruf erfolgt).

Erkältungsfälle gebe es in der Tat häufiger. Es gäbe viele dutzend Erreger, die sich auch verändern würden. Das sei ein natürliches Geschehen. Es gäbe keine ausgewiesenen Erkältungsforscher. Und ein Tourist, der nach Asien fährt, bringe auch mal welche von dort mit. Mittlerweile gäbe es eine weltweite Zirkulation. Was jetzt speziell die Tuberkulose angehe, gäbe es in Deutschland ziemlich konstant 4.000-4.200 erkannte Erkrankungen. Nur zuletzt sei diese Zahl auf 5.000 angestiegen, was ursächlich auf die Migranten zurückzuführen sei. Aber selbst hier, so die Sprecherin des Robert-Koch-Institutes, kann man ziemlich sicher sagen, dass das auch damit zusammenhängen würde, dass eben diese Gruppe bei der Erstuntersuchung auch daraufhin untersucht werde. Würde man solche Untersuchungen beispielsweise bei Rentnern ab 70 machen, würden die festgestellten Fälle ebenfalls geringfügig ansteigen.

Nun geht es ja in erster Linie um die gefährlicheren multiresistenten Formen. In Deutschland wären das wohl 2-3 Prozent der gemeldeten Fälle, weiß das Institut. Aber die könnten wohl auch entstehen, weil Patienten von verschiedenen Ärzten lange Zeit mit unterschiedlichen Antibiotika behandelt würden. Es gäbe Länder, wo der Anteil der multiresistenten Erreger höher läge. Sie nennt uns Russland und Osteuropa ebenso wie Afrika, wo man von 10-20 Prozent ausgehen würde. Was man hier nicht vergessen dürfe, Tuberkulose sei eben auch eine Armutskrankheit. Viele ältere Deutsche würde sich schmerzlich daran erinnern, wenn sie an die Kriegs- und Nachkriegszeit denken. Das enge Zusammenleben in Lagern würde ebenfalls eine solche Verbreitung begünstigen. Auch Obdachlose in Deutschland seinen häufiger betroffen als andere. Aber eben auch im Prozentbereich.

Anschließend ruft dann noch das niedersächsische Sozialministerium zurück und bestätigt, dass bei der Erstuntersuchung ein Tuberkulose-Screening zwingend ist, das basiere auf dem Bundesrecht. Auf die Frage, ob man weiß, ob dieses Bundesrecht auch durchgesetzt werde, wird das Gespräch etwas ungenauer. Die Kollegin am Telefon weiß es schlicht nicht; die Durchführung stehe unter kommunaler Selbstverwaltung. Die Kommunen müssen also Bundesrecht durchsetzen. Aber machen sie das auch? Das wiederum müssten wir die Gesundheitsämter fragen.

Ok, machen wir auch noch. Wir rufen ein Gesundheitsamt an. Dort erhalten wir sechs alternative Telefonnummern von Kollegen, die es wissen müssten, aber am Freitag um mittlerweile 12:42 Uhr ist dort keiner mehr erreichbar, entweder ist man mächtig am Röntgen, zu Tisch oder schon zu Hause. Also letzter Versuch, Anruf direkt in der Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber. Die Behörde ist schon seit 12 Uhr ins Wochenende, nur noch die Wache vor Ort. Einigen wir uns also darauf: Zu klären ist noch, ob das Bundesgesetz in den Kommunen ordnungsgemäß umgesetzt werden kann.

Und dann ruft wider Erwarten noch eine nette Kollegin aus dem Niedersächsischen Landesgesundheitsamt zurück, die mehr weiß. Sie verweist auf das §36 Absatz 4 des Infektionsschutzgesetzes und auf § 62 Asylverfahrensgesetz.

Ersteres lautet: „Personen, die in eine Einrichtung nach Absatz 1 Nummer 2 bis 4 aufgenommen werden sollen, haben der Leitung der Einrichtung vor oder unverzüglich nach ihrer Aufnahme ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass bei ihnen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose vorhanden sind.“ (Auszug) und im Asylverfahrensgesetz steht: „Ausländer, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen haben, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden. Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmt den Umfang der Untersuchung und den Arzt, der die Untersuchung durchführt.“ (Auszug).

Und was den bei seinen Patienten so überaus beliebten Hamburger Arzt angeht, hat dieser die Möglichkeit, seinen Verdacht direkt an das Gesundheitsamt zu melden, davon ist in seinen Facebook-Postings allerdings nicht die Rede. Was ihn ehrt, ist die große Sorge um jene, denen er ärztlichen Beistand gibt. Sicher kann man sich so einen engagierten Arzt nur wünschen. Seine Facebook-Einträge haben auch ein Initial geben können, einmal nachzuhaken.

Was allerdings den alarmistischen Ton und Inhalt angeht, wären konkrete Nachweise hilfreicher bzw. wäre es hilfreich, der Doktor würde vor einem Posting seine Befürchtungen zunächst mit dem für ihn zuständigen Gesundheitsamt abklären, die weiteres in die Wege leiten. Und erst wenn da keine für ihn ausreichende Antwort kommt, könnte ein Alarmsignal nötig werden. Aber erst dann. So besteht die Gefahr, dass schlichtere Gemüter hier mit einem Generalverdacht weit über das Ziel hinausschießen.