Tichys Einblick
Schubumkehr?

Der Staat soll’s nun regeln: Grüne erteilen Umweltsündern Absolution

Warum noch mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es dank Zuwachsraten für die Grünen überflüssig ist, sich weiter als Moralapostel hinzustellen. Dann wird dieses sowieso eingestaubte grüne Gewissen eben zu Grabe getragen und ein immer enger gezogener gesetzlicher Rahmen übernimmt die Umwelt-Volkserziehung.

© oatawa/Getty Images

„Framing, blaming, shaming“ ist keine poppige Liedzeile, sondern eine Aufzählung von Anglizismen, die verschiedene menschliche Interaktionen einordnen oder negativ klassifizieren sollen. Oder kürzer beschrieben: eine inflationäre Soziologisierung.

Jamila Schäfer ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen und wohl auch eine Hobby-Soziologin. Sie schreibt aktuell auf ihrem Blog über Rechtsliberale und Konservative, die für sich einen neuen Zeitvertreib entdeckt hätten, nämlich „das Blaming und Shaming Einzelner für ihre Konsumentscheidungen.“ Deutlich geworden sei das durch persönliche Angriffe gegen Politiker und Politikerinnen der Grünen, aber auch durch Angriffe gegen „Protagonistinnen der Jugend-Klimabewegung „Friday for Future“ wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer.“

Oder noch viel, viel schlimmer: „Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, wurde von einem WELT-Journalisten dafür kritisiert, eine Jacke von „Esprit“ zu tragen“ anstatt eines Lodenmantels aus Schurwolle, wie ihn der Autor tragen würde.

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Bis dahin ein öder Kindergeburtstag, aber dann wird es doch noch lustig bei der stellvertretenden Grünen, wenn sie Konservativen unterstellt, diese würden „Heuchelei-Vorwürfe gegen Klimaschützer*innen gegen ambitionierte Klimapolitik ins Feld führen“, das sei ein klassisches Scheinargument, das versuchen würde, ein gegnerisches Argument „durch Diskreditierung der persönlichen Umstände und Eigenschaften seiner Vertreter*innen anzugreifen, um es nicht argumentativ widerlegen zu müssen.“

Sagt ausgerechnet eine Grüne und ausgerechnet mit den Mitteln, die sie dem Gegenüber im Moment zum Vorwurf macht, wenn sie ihre verbale Schraube im Verständnisgewinde hoffnungslos überdreht.

Und weil nun eine komplette Drehung noch nicht reicht, um eine Haltung genug durchgedreht zu haben, folgt bei Jamila Schäfer eine Verdrehung, die schon ihresgleichen sucht, wenn die Grüne weiter ausführt, Konservativen würden „sich selbst zu moralisierenden Richtern über Konsumentscheidungen werden, also genau das tun, was sie den Gegnern als negative Eigenschaften zu attestieren versuchen.“

Sie können noch folgen? Ja, es ist tatsächlich schwer. Und ja, „grüne Logik“ ist hier als Begriff ein Oxymoron, eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen.

Aber weiter bei Schäfer und ihrer Kritik an „rechtsliberaler Konsumkritik“, wenn bei der Grünen dann kein geringerer als Friedrich Nietzsche als Zeuge aufgerufen wird, der in „Zur Genealogie der Moral“ in etwa gesagt haben soll, „wie sich ein schlechtes Gewissen und ein Ideal der Askese, also die Erhebung des Verzichts zur Tugend, gegenseitig bedingen.“ Hä?

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Nietzsche hätte, so Schäfer, „den Zusammenhang des asketischen Ideals und der Abwehr grundlegender Schuldgefühle plausibel beschrieben.“ Ja, es hat etwas Verwirrtes, aber wir wollen trotzdem einmal versuchen, zu verstehen, was Schäfer uns sagen will, wenn sie annimmt, das Nietzsche recht hatte damit, dass das Predigen von Askese auch dem Wunsch entspringen würde, von der eigenen Unvollkommenheit abzulenken und sich moralisch über andere zu stellen.

Was soll das sein? Größtmögliche grüne Selbstkritik? Steht bei Jamila Schäfer nicht, passt aber viel besser zu dieser Irrfahrt, wenn der neue Lieblingsphilosoph der grünen Bewegung schreibt:

„Der Mensch ist nicht zu allen Stunden gleich moralisch, dies ist bekannt: beurteilt man seine Moralität nach der Fähigkeit zu großer aufopfernder Entschließung und Selbstverleugnung (welche, dauernd und zur Gewohnheit geworden, Heiligkeit ist), so ist er im Affekt am moralischsten; die höhere Erregung reicht ihm ganz neue Motive dar, welcher er, nüchtern und kalt wie sonst, vielleicht nicht einmal fähig zu sein glaubte.“

Ist das nicht eine viel schönere Umschreibung der grünen Motivation, die in ihrer Hysterie oft soviel Unverständnis hervorruft? Nun ist doch alles klar. Dank Nietzsche.

Frau Schäfer sagt über ihre eigene Klientel, die würde ihr schlechtes Gewissen mit Verzicht beruhigen, während andere diese tun, „indem sie mit dem Finger auf andere zeigen.“ Es ist alles so küchenpsychologisch. Aber es ist der Autorin auch gar nicht so wichtig, sie weiß längst, wie sehr sie sich verheddert hat bis tief hinein in den Bart von Nietzsche, das sie schon die Kehrtwende macht und befindet: „Dabei geht es am Ende nicht nur um Moral und Verzicht. Wir können Klimaschutz nicht auf einen Wettbewerb um ein moralisches Standing verkürzen.“

Jamila Schäfer von Gottes einstiger erster Moralpartei, möchte nun weg vom Moralisieren: Dass Klima- und Umweltpolitik häufig auf einer rein moralischen Ebene verhandelt würde, läge auch an einer häufig eher handlungsunfähig anmutenden Politik. Jetzt wäre es endlich an der Zeit für Gesetze und Verbote, es reiche nicht mehr, den identifizierten Umweltsünder nur zu ächten.

Auch Angela Merkels Leitplanken aus deren Davos-Vortrag finden den Weg direkt in den Vortrag auf dem Blog der stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen, wenn es da weiter heißt: „Wir dürfen aber nicht verpassen, die Leitplanken für unser Wirtschaften als Gesellschaft, als Politik sozial-ökologisch zu gestalten.“

Offensichtlich will uns die Grüne begreiflich machen, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, dass Grüne zukünftig auch nur Menschen sein wollen, die zwar weiter lautstark ihr moralschwangeres grünes Umweltdiktat in die Welt hinausposaunen möchten, aber bei sich selbst den Hannes Jaennecke geben, der den Supermann-Anzug des Umweltaktivisten auch dann noch überstreift, wenn er beim Öko-Tomatensaft oder beim Gläschen Champagner auf einer seiner zahlreichen Flüge rund um die Welt unterwegs ist.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen endet mit einer Art Absolution an die Menschen da draußen, an die ewigen Sünder, die es eben einfach nicht besser können, denen man nun aber kein schlechtes Gewissen mehr machen darf, wenn man gewählt werden will, die Partei öffnet sich nun dem Volk, dem ganzen Volk:

„Wir wollen dem einzelnen Menschen ein Leben auf einem intakten Planeten ermöglichen, ohne dass sich jeder jeden Tag fragen muss, ob man an der Supermarktkasse ein guter oder böser Konsument gewesen ist.“

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Die Grünen wollen die Verantwortung für ihre klima- und umweltfreundliche Politik fortan nicht mehr auf die einzelnen Konsumenten und die einzelne Konsumentin abwälzen. Sie betrachten Klima- und Umweltschutz von nun an „als Aufgabe von Politik“. Und Schäfer endet folgerichtig auch mit einer Selbstabsolution: „Deshalb wollen wir Grüne auch nicht die besseren Menschen sein, sondern die bessere Politik machen.“

Warum mit gutem Beispiel vorangehen, warum noch vierzig weitere Jahre andere nötigen, wenn man sich den Prognosen folgend auf dem direkten Weg hin zu den Honigtöpfen der Macht befindet, dann ist es überflüssig geworden, nein, es ist sogar kontraproduktiv geworden, sich weiter als Moralapostel hinzustellen.

Dann kann man die Vorbildfunktion endlich beerdigen, dann wird nun dieses zu etwas ziemlich Hässlichem hin transformierte grüne Gewissen zu Grabe getragen und ein immer enger gezogener gesetzlicher Rahmen übernimmt die Volkserziehung. Der Mensch als Idiot.