Tichys Einblick
Muay-Thai-Kämpfer Carsten „The Lion“ Ringler

Hilferuf: Wir überleben mit unseren Gyms den Sommer nicht!

Carsten „The Lion“ Ringler ist Muay-Thai-Kämpfer und betreibt ein kleines Gym, eine Sportstätte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die wegen der Corona-Maßnahmen geschlossen ist. Er ist in einer Notsituation. Sein Appell an die Politik: „Findet endlich einen Weg, der gesund ist für alle!“

picture alliance / NurPhoto | Carsten Ringler

Alexander Wallasch: Sie sind Muay Thai Kämpfer aus dem Ruhrgebiet.

Carsten Ringler: Ich habe ein kleines Gym in Bochum. Und zusätzlich gebe ich im Sportverein in Recklinghausen weitere Trainings in Muay Thai und Capoeira. Ich bin 33 Jahre alt und habe mit Kampfsport angefangen, als ich sechs Jahre alt war. Bei mir in der Familie haben alle Judo gemacht. Da bin ich hineingeboren worden. Ich habe aber auch andere Sache ausprobiert wie Judo, Jiu-Jitsu, Taekwondo, Kickboxen, und mit fünfzehn Jahren bin ich dann bei Capoeira und Muay Thai gelandet und bis heute gerne dabei geblieben.

Diese Bandbreite gibt es ja für Kinder nicht an jedem Ort …

Nein, (lacht) wirklich nicht, das war alles in Bochum. Bei uns im Viertel gab es eine kleine Sportschule, da bin ich zufällig mit einem Kumpel vorbeigelaufen. Wir haben im Schaufenster Fotos der Trainer gesehen, die da für die Kamera ein bisschen posiert haben, da sind wir dann reingegangen und haben mal nach einem Probetraining gefragt, gleich mitgemacht und sind dabei geblieben.

Kommen wir zu den Corona-Maßnahmen und zum Hauptanliegen unseres Gespräches: Wie sieht das mit dem Hygiene-Konzept im Gym aus?

Bei uns im Gym war das so, dass wir ein strenges Hygiene-Konzept hatten, es durften beispielsweise keine Umkleiden benutzt werden, nicht geduscht werden und es ging nur mit Maske und Desinfektionsmitteln, die zur Verfügung standen, bevor irgendjemand überhaupt das Gym betreten durfte. Aber die Gym-Situation hatten wir beim ersten Lockdown gar nicht so lange: Als die erste Lockerung kam, trainierten wir längst schon draußen im Freien.

Während des Sommers und Herbst 2020 war das draußen von den Temperaturen her möglich – trainiert ihr auch im Winter draußen?

Eigentlich nicht, aber jetzt dürfen wir sowieso draußen nicht mehr.

Wieviele Sportler trainieren normalerweise bei Ihnen im Gym?

Im Bochum sind es ungefährt einhundert. Und in Recklinghausen etwa fünfzig Erwachsene, Kinder und Jugendliche beim Capoeira.

Wo brennt der Schuh finanziell, jetzt, wo geschlossen ist?

Das Problem ist, in den Jugend- und Erwachsenengruppen sind auch viele Studenten. Und die arbeiten nebenbei oft in der Gastronomie. Selbst wenn die wollten, wie sollten die ihre Beiträge weiter bezahlen? Deren Jobs sind teilweise selbst weggebrochen. Was soll ich also tun? Soll ich denen das Leben schwer machen mit tausend Mahnungen? Beiträge würde ich ja trotzdem nicht bekommen. Das sind gute Leute, wenn die es hätten, würden sie auch weiterzahlen.

Wie sehen die Corona-Maßnahmen konkret für Ihre Existenz aus? Haben Sie Anträge gestellt, ist schon Geld geflossen?

Ich hatte beim ersten Lockdown die Soforthilfe beantragt. Da habe ich auch den vollen Satz bekommen, das ging sogar relativ fix. Aber diese 9000 Euro decken nur den Zeitraum des ersten Lockdowns ab. Und die sind nicht geschenkt, müssen ja zurückgezahlt werden. Ich habe auch weitere Folgeverluste – schon dadurch, dass ich zwar im Juli mit einigen Leuten draußen weiter machen konnte, aber dann sind ja welche in den Urlaub gefahren. Also die Leute waren im Lockdown raus aus dem Training, dann kamen die Ferien, da haben sich viele abgemeldet und der nächste Lockdown kam dann ja schon bald.

Wie sieht das mit der Gym-Miete aus? Muss die weiter bezahlt werden?

Zum Glück brauche ich das im Moment nicht mehr bezahlen, aber es ist nur verschoben. Irgendwann muss ich zahlen. Das nächste Problem, mein Mietvertrag endet im Mai. Ich wollte also sowieso wechseln. Aber wie kann ich in so einer Situation neue Örtlichkeiten anmieten, wenn nicht einmal klar ist, wann wir da zum ersten Mal trainieren können? Und kein Vermieter würde einen Vertrag an den Lockdown koppeln. Die wollen sich ja auch ihrer Einnahmen versichern.

Aber was genau wollen Sie von der Regierung? Was soll sich ändern?

Grundsätzlich bin ich kein Corona-Leugner, überhaupt nicht. Ich denke halt, dass die Schließungen der Gyms und grundsätzlich das Sportverbot mehr Schaden anrichtet, als es helfen würde. Ich wünsche mir einheitliche Regelungen, damit wir den Sport irgendwie durchsetzen können.

Sie müssten es doch aus der Erfahrung wissen: Wie groß ist der Schaden an den Kindern, wenn sie keinen Sport machen dürfen?

Ich habe hunderten von Kindern überhaupt erst das Rückwärtslaufen beigebracht! Aus meiner eigenen Erfahrung gesprochen: Die Kinder dieser Generation, wenn die – sagen wir einmal – acht Jahre alt sind und sollen rückwärtslaufen, dann legen die sich lang hin.

Die fallen um?

Genau! Die können nicht auf einem Bein stehen, die können nicht auf einem Bein hüpfen, manche können nicht einmal krabbeln. Da habe ich echt krasse Sachen gesehen, aber wir bekommen das meistens hin. Die sind nicht ganz klein, die sind teilweise acht, neun oder gar zehn Jahr alt. Und das fangen wir alles auf. Das fängt nicht der Sportunterricht in der Schule auf. Der fällt eben sowieso aus, aber grundsätzlich kümmern wir uns dann.

Welche staatliche Unterstützung habt ihr normalerweise? Gab es Fördermittel? Jugendförderung oder so etwas?

Nein, da gab es nichts. Nie davon gehört.

Wie ist die Familiensituation bei Ihnen privat?

Wir leben zu viert, zwei Erwachsene, zwei Kinder.

Geld wird also laufend benötigt.

Ja selbstverständlich! Ich kenne Freunde mit Gyms in anderen Städten, die sind in einer ähnlichen Situation wie ich, die sagen, wenn das jetzt so weitergeht, wenn alles zubleiben muss, dann werden wir nicht bis zum Sommer kommen mit unserem Gym. Dann war es das in diesen Städten und für die Kinder, die Jugendlichen und auch die Erwachsenen die dort bisher trainiert haben.

Jetzt bedeutet Sport in so einem Gym und noch dazu bei dieser Sportart engen Körperkontakt. Den gibt es allerdings auch beim Fußball, die Bundesliga spielt, die werden doppelt getestet usw. Wie sieht das bei Ihren Wettkämpfen aus? Sind Sie noch im Wettkampf oder ausschließlich im Training?

Nein, ich muss sogar kämpfen.

Für die Muskeln?

Nein, ich absolviere professionelle Kämpfe und bekomme Geld dafür, das ist eine wichtige Einnahmequelle für die Familie. Das nächste Turnier ist in Tschechien. Da gibt es eine sogenannte Bubble, das heißt, vor der Abreise wird jeder Teilnehmer, ob der Kämpfer ist oder Trainer, jeder wird auf Corona getestet. Ohne negatives Ergebnis bekommt man schon den Flug nicht. Sobald man ankommt am Veranstaltungsort, wirst du direkt sofort vom Veranstalter noch einmal getestet. Die haben dafür ein Labor beauftragt, die haben da extra Testverfahren, da kommt man kurz in Quarantäne nach dem Test, bis das negative Ergebnis da ist. Dann darf man die Quarantäne verlassen. Die professionellen Wettkämpfe finden also noch statt.

Aber ohne Zuschauer kommt doch kein Geld rein für die Veranstalter.

Klar, das ist komplett weg, die Wettkämpfe laufen nur noch über Streams, aber über Online-Spenden während der Wettkämpfe und auch über die Paywalls kommen Einnahmen, wo jeder bezahlt, der live dabei sein will.

Haben Sie schon Titel gewonnen während Ihrer bisherigen Laufbahn?

Deutsche Meisterschaft und Europameisterschaft habe ich gewonnen in der Klasse 69,5 und 71 Kg. Das war 2016 und 2018.

Glückwunsch!

Danke, aber mit den Titeln mache ich nicht soviel Werbung, die Leute beurteilen einen dann zu sehr nur daran entlang. Meine Titelkämpfe fand ich gar nicht so schwer wie manch andere Kämpfe, wo es eigentlich um nichts ging.

Ihr Sport geht an die körperlichen Grenzen?

Natürlich, einhundertzehn Prozent. Jetzt in der Vorbereitung für Tschechien – das ist ein Acht-Mann-Turnier mit internationaler Besetzung, wir kämpfen alle Muay Thai aber mit MMA-Handschuhen – wenn wir uns dafür im Sparing vorbereiten, dann sehen wir danach auch so aus, dass jeder sieht, dass es maximal hart zur Sache ging.

Was macht Ihr Sport mit Menschen beispielsweise auf der mentalen Ebene? Warum würden Sie – würden Sie überhaupt? – Ihren Sport sagen wir mal einem 15-Jährigen empfehlen?

Punkt 1 ist natürlich das Physische; Koordination, dass die Leute fit werden und beweglich, sich ein bisschen koordieren können. Das ist echter Gesundheitssport, wenn derjenige sonst den ganzen Tag vor dem Rechner hängen würde. Da werden schon Mal ein paar Muskeln drangebaut, damit der überhaupt erstmal gerade laufen kann (lacht). Das nächste – und nicht weniger wichtig – ist die soziale Komponente, sind die sozialen Kompetenzen, die Kinder verlernen heute komplett überhaupt erst einmal Mimik und Gestik zu deuten. Was übrigens jetzt durch die Masken noch schlimmer ist.

Gestik lernen, um zu erahnen, was der Gegner im nächsten Moment macht?

Nicht nur das, auch um zu sehen, wie ist der überhaupt drauf? Was kommt da auf mich zu? Oder wichtiger: Habe ich den gerade verletzt? Das spielt im Kleinen, im Verein eine wichtige Rolle für den Kampf, aber auch außerhalb des Trainings und des Kampfes im richtigen Leben, dass ich bei meinem Gegenüber lesen kann, ob ich mit dem, was ich gesagt habe, vielleicht jemandem weh getan habe oder nicht. Fairness und Empathie sind ebenfalls wichtige Stichwörter hier, zu wissen: Jetzt ist genug! Das ist ganz wichtig, dass man Grenzen kennenlernt.

Wie halten Sie aktuell den Kontakt zu ihren Kunden?

Ich mache ein Online-Livetraining. Ich habe einen Youtube-Kanal eingerichtet, wo ich Videos mache zwei-, dreimal die Woche und tägliche Live-Trainings. Ich habe Fragebogen rumgeschickt, was wir verbessern können im Online-Angebot usw. Wir haben Whats-App-Gruppen, wo wir uns austauschen, wo ich alles mögliche an Infos herumschicke, wo ich Fragen stelle, wo man mir Fragen stellt, wo ich kritisiert werde, was wir online noch verbessern können. Wir sind im ständigen Kontakt, ich bemühe mich echt, die Gruppe zusammenzuhalten.

Zum Abschluss: Was soll die Regierung machen? Was ist Ihr dringender Appell an Ihren Ministerpräsidenten Armin Laschet?

Grundsätzlich was Sport angeht: Lasst Kinder endlich wieder Kinder sein! Lasst die raus, lasst die mit anderen Kindern spielen. Lasst die Sport machen. Das ist letztendlich gesünder, wenn sich das mit dem Schutz der Risikogruppen irgendwie vereinbaren lässt. Es gibt doch genug Schlauköpfe irgendwo in der Regierung und wenn nicht, sollen sie welche finden und fragen und endlich einen Mittelweg finden, der gesund ist für alle.

Vielen Dank für das Gespräch.

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